Mit der neuen Bundesregierung unter Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) beginnt eine neue politische Phase, die tiefgreifende Auswirkungen auf den Schutz der Menschenrechte im In- und Ausland haben könnte. Die LIGA warnt vor Entwicklungen, die demokratische Freiheiten, menschenrechtliche Verpflichtungen und solidarische Grundhaltungen zunehmend untergraben. Im Folgenden werden exemplarisch vier Politikfelder skizziert, in denen sich diese Tendenzen bereits jetzt abzeichnen.
1. Militarisierung
Die Militarisierung Deutschlands schreitet nicht nur materiell, sondern auch gesellschaftlich voran. Begriffe wie „Zeitenwende“ und „Kriegstüchtigkeit“ dominieren sicherheitspolitische Debatten und markieren eine ideologische Verschiebung hin zur Normalisierung militärischer Logik, die zunehmend auch in zivilen Kontexten wie z.B. Schulen beworben wird. Der Verteidigungshaushalt soll auch durch die Umgehung der Schuldenbremse mittels des Sondervermögens weiterhin steigen, flankiert von einer sogenannten „Wehrpflicht light“ für junge Erwachsene. Friedenspolitische Alternativen werden hingegen marginalisiert, Diplomatie und Deeskalation verlieren an Gewicht. Diese Verschiebung ist Ausdruck eines sicherheitspolitischen Paradigmenwechsels.
2. Entdemokratisierung
Demokratieabbau vollzieht sich nicht immer laut – er schreitet oft schleichend voran, legitimiert durch Sicherheitsrhetorik und administrative Technokratie. So ist die Kleine Anfrage der CDU zur Förderung gemeinnütziger Vereine weniger Ausdruck parlamentarischer Kontrolle als Teil eines breiteren entdemokratisierenden Kurses, der kritische Zivilgesellschaft delegitimiert und politische Teilhabe unter Vorbehalt stellt. Gleichzeitig soll der Verfassungsschutz weitreichende Befugnisse zum Zugriff auf verschlüsselte Kommunikation zivilgesellschaftlicher Akteur*innen erhalten. Proteste, beispielsweise vor Rüstungskonzernen, könnten künftig als „Störung kritischer Infrastruktur“ kriminalisiert werden. Diese Dynamiken stehen exemplarisch für das Aufkommen autoritärer Mechanismen innerhalb formaler Demokratie.
3. Migrationspolitik
Die geplanten Auslagerungszentren für Asylverfahren in Drittstaaten, drastische Begrenzungen beim Familiennachzug und eine Ausweitung der Liste vermeintlich „sicherer Herkunftsstaaten“ laufen auf eine faktische Abschaffung des individuellen Rechts auf Asyl hinaus. Ergänzt wird dies durch die angekündigte Einführung stationärer Grenzkontrollen sowie das erklärte Ziel, Menschen ohne gültige Papiere direkt an der Grenze zurückzuweisen. Diese Politik steht nicht isoliert, sondern verschärft eine Entwicklung, die seit Jahren auf eine systematische Aushöhlung menschenrechtlicher Standards im Asylrecht abzielt. Schutzsuchende werden zunehmend als sicherheitspolitisches Risiko behandelt, nicht als Menschen mit verbrieften Rechten. Die Genfer Flüchtlingskonvention wird damit nicht nur unterlaufen, sondern in ihren Grundsätzen ausgehöhlt.
4. Völkerrecht und Gaza
Die Bundesregierung vermeidet eine klare Positionierung zu den dokumentierten Völkerrechtsverstößen Israels im Gazastreifen und bevorzugt stattdessen eine Fortführung und Ausweitung von Rüstungslieferungen. Die explizite Bevorzugung von Waffenlieferungen an Israel, trotz laufender Untersuchungen zu möglichen Kriegsverbrechen, konterkariert die Rüstungsexportrichtlinien der Bundesregierung. Führende CDU-Politiker*innen haben sich gegen eine Umsetzung des internationalen Haftbefehls gegen den israelischen Premierminister Netanyahu ausgesprochen, sollte dieser nach Deutschland einreisen. Damit wird nicht nur die Glaubwürdigkeit internationaler Gerichtsbarkeit untergraben, sondern auch das Signal gesendet, dass völkerrechtliche Standards selektiv anwendbar sind.
Die LIGA fordert die Rücknahme geplanter Einschränkungen zivilgesellschaftlicher Freiheitsräume, die uneingeschränkte Anerkennung und Anwendung internationalen Rechts, die Rückkehr zu einer menschenrechtsbasierten, rechtsstaatlich abgesicherten Migrationspolitik und eine sicherheitspolitische Neuorientierung, die auf Diplomatie und Prävention statt auf Aufrüstung und Repression setzt. Nur wenn demokratische Grundrechte konsequent verteidigt und internationale Normen ohne doppelte Standards angewendet werden, steht das Bekenntnis zu Menschenrechten nicht im Widerspruch zur politischen Wirklichkeit