In der Rechtssache betreffend die Anwendung der Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes im Gazastreifen (Südafrika gegen Israel) klagt Südafrika vor dem Internationalen Gerichthof, dass Israel gegen die Völkermordkonvention verstößt. Bereits am 29. Dezember 2023 reichte Südafrika bei dem Gerichtshof eine Klage gegen den Staat Israel ein, in der ihm Verstöße gegen seine Verpflichtungen aus der Völkermordkonvention vorgeworfen werden. Beide Parteien haben am 11. und 12. Januar 2024 ihre Argumente vor dem Gerichtshof in Den Haag angeführt. Im folgenden Text werden diese Argumente gegenübergestellt und jeweils auf die ausführlichen Protokolle vom Gerichtshof verwiesen.
- Risiko von Völkermord und die ständige Anfälligkeit für Völkermord
Südafrika beschuldigt Israel, völkermörderische Handlungen gemäß der Völkermordkonvention zu begehen, insbesondere gegenüber den Palästinensern im Gazastreifen. Diese Handlungen umfassen Tötungen, Verursachung schwerer körperlicher und seelischer Schäden sowie die absichtliche Schaffung von Lebensbedingungen, die darauf abzielen, die Gruppe ganz oder teilweise zu zerstören, sowie reproduktive Gewalt. Südafrika behauptet, dass Israels Handlungen ein systematisches Muster aufweisen, das auf die Absicht hindeutet, einen Völkermord zu begehen. (Ausführliches Protokoll, 11. Januar 2024, S. 21-30)
Israel fordert den Gerichtshof auf, die Klage abzuweisen, da sie als Verleumdung betrachtet wird, die Israel das Recht auf Selbstverteidigung und Befreiung der von der Hamas festgehaltenen Geiseln absprechen soll. Israel argumentiert, dass Südafrika ein bestimmtes Maß an völkermörderischen Handlungen und Vorsatz nachweisen muss, wobei die Relevanz der Völkermordkonvention betont wird. Israel kritisiert den Antrag Südafrikas als verzerrt und betont die Herausforderungen durch die Hamas, darunter die Nutzung ziviler Infrastruktur für militärische Zwecke. Es unterstreicht seine Bemühungen, den Schaden für die Zivilbevölkerung zu begrenzen, und argumentiert, dass diese Maßnahmen dem Schutz der Zivilbevölkerung dienen, nicht dem Völkermord. Trotz der Herausforderungen setzt sich Israel weiterhin für eine Erhöhung der Hilfe für Gaza ein. (Ausführliches Protokoll, 12. Januar 2024, S. 22-24)
- Israels angebliche völkermörderische Absicht
Südafrika beschuldigt Israel, durch verschiedene Mittel einen Völkermord gegen die Palästinenser im Gazastreifen zu begehen. Diese Mittel umfassen militärische Angriffe, Äußerungen von Führern und Militärs, völkermörderische Aussagen von Soldaten sowie öffentliche Aufrufe zum Völkermord. Südafrika behauptet, dass ein klares Verhaltensmuster darauf hinweist, dass Israel beabsichtigt, die Palästinenser in Gaza ganz oder teilweise zu vernichten. Es wird auch behauptet, dass israelische Minister und Koordinatoren die Politik des Staates widerspiegeln und öffentlich zum Völkermord aufrufen. Zusätzlich behauptet Südafrika, dass israelische Soldaten völkermörderische Worte äußern und in die Tat umsetzen. Es wird betont, dass öffentlich zum Völkermord aufgerufen wird und die Zivilgesellschaft in solche Reden eingebunden ist. Schließlich behauptet Südafrika, dass Israel über das Ausmaß der Zerstörungen durch seine militärischen Aktivitäten im Gazastreifen informiert ist. (Ausführliches Protokoll, 11. Januar 2024, S. 32-41)
Israel plant, die angeblichen Rechte zu verteidigen. Der Kontext, insbesondere die Ereignisse vom 7. Oktober 2023, wird als relevant betont. Israel sieht die Ereignisse als bewaffneten Konflikt an und beruft sich auf das Recht zur Selbstverteidigung gemäß dem humanitären Völkerrecht. Es beschreibt die Gräueltaten der Hamas, betont aber, dass dies keine Rechtsverletzungen rechtfertigt. Israel versichert die Einhaltung des humanitären Völkerrechts und hebt die Einzigartigkeit des Völkermords als Verbrechen hervor. Israel bezieht sich auf den Beschluss des Gerichtshofs vom 2. Juni 1999, in dem hervorgehoben wird, dass die Androhung oder Anwendung von Gewalt allein keinen Völkermord im Sinne der Völkermordkonvention darstellen kann, wobei insbesondere Bombenangriffe als nicht vorsätzlich eingestuft werden. (Ausführliches Protokoll, 12. Januar 2024, S. 24)
- Prima-facie-Zuständigkeit des Gerichtshofs
Südafrika argumentiert, dass der Gerichtshof befugt ist, einstweilige Maßnahmen zu erlassen, da zwischen Südafrika und Israel ein Streit über Israels Einhaltung der Völkermordkonvention besteht. Gemäß Artikel IX der Konvention ist keine vorherige Verhandlung erforderlich, um den Gerichtshof anzurufen, daher kann ein beklagter Staat dies nicht verhindern, indem er behauptet, es gebe keinen Streit. Südafrika ist fest davon überzeugt, dass Israels Handlungen im Gazastreifen als Völkermord betrachtet werden können, während Israel dies bestreitet und die Anschuldigungen als rechtlich und faktisch falsch sowie obszön bezeichnet. Daher gibt es eine klare Meinungsverschiedenheit zwischen beiden Parteien. (Ausführliches Protokoll, 11. Januar 2024, S. 46-47)
Israel bestreitet die Prima-facie-Zuständigkeit des Internationalen Gerichtshofs und führt mehrere Argumente an. Es betont gemäß Artikel IX der Völkermordkonvention die Notwendigkeit einer echten Streitigkeit mit positiver Opposition zwischen den Parteien und kritisiert einseitige Behauptungen ohne Engagement. Israel weist darauf hin, dass es keinen relevanten Austausch mit Südafrika bezüglich der Völkermordvorwürfe gab. Es bestreitet die Beweise Südafrikas, argumentiert gegen selektive Zitate israelischer Politiker und hebt hervor, dass es einen diplomatischen Dialog initiieren wollte, während Südafrika sofort einen Antrag eingereicht hat. Israel betont die Bedeutung des Nachweises eines spezifischen Vorsatzes und weist den Vorwurf des Völkermords zurück, indem es auf Maßnahmen zur Schadensbegrenzung und humanitäre Hilfe verweist. Abschließend behauptet Israel, dass bestimmte Zitate aus dem Zusammenhang gerissen und falsch interpretiert wurden. Alle Argumente zielen darauf ab, die Prima-facie-Zuständigkeit des Gerichtshofs anzufechten und zu betonen, dass Israels Handlungen nicht den Kriterien für Völkermord entsprechen. (Ausführliches Protokoll, 12. Januar 2024, S. 24-34)
- Verschiedene gefährdete Rechte
Südafrika argumentiert, dass Israel die grundlegenden Rechte der Palästinenser im Gazastreifen bedroht, die geschützt werden müssen. Dazu gehören das Existenz- und Selbstbestimmungsrecht gemäß der Völkermordkonvention. Israel wird beschuldigt, den Palästinensern humanitäre Hilfe und das Recht, nicht dem Völkermord ausgesetzt zu sein, vorzuenthalten. Südafrika betont seine Verpflichtung als Mitglied der Völkermordkonvention, Völkermord zu verhindern und zu bestrafen. Es wird betont, dass diese Verpflichtung darauf abzielt, bestimmte Gruppen vor Völkermord zu schützen, und dass die Palästinenser im Gazastreifen ein solcher Schutz bedürfen. (Ausführliches Protokoll, 11. Januar 2024, S. 48-56)
Israel fordert, dass der Gerichtshof in den vorläufigen Maßnahmen die Plausibilität seiner Rechte anerkennt. Dabei betont Israel, dass der Gerichtshof nicht verpflichtet ist, die Existenz der geltend gemachten Rechte endgültig festzustellen, sondern sie als rechtlich möglich ansehen sollte. Israel unterstützt den Ansatz, die Plausibilität an spezifische Vertragsbestimmungen oder allgemeine Regeln des Völkerrechts zu knüpfen. Die Abwägung der Rechte beider Parteien wird als wichtig betont. Israel argumentiert, dass die vorläufigen Maßnahmen sein Recht schützen sollten, sich gegen die Vorwürfe des Völkermords aufgrund eines Hamas-Angriffs zu verteidigen. Es betont, dass seine Reaktion legitim, notwendig und im Einklang mit dem Völkerrecht war, ohne völkermörderische Absicht. Der Gerichtshof wird dringend gebeten, die Rechte Israels bei der Entscheidung über vorläufige Maßnahmen zu berücksichtigen. (Ausführliches Protokoll, 12. Januar 2024, S.35-36)
- Argument der Dringlichkeit und des möglichen nicht wiedergutzumachenden Schadens
Südafrika argumentiert, dass die Gefahr weiterer Völkermorde besteht und dringende Maßnahmen des Internationalen Gerichtshofs erforderlich sind. Die Situation im Gazastreifen könnte sich verschlechtern und zu mehr Tod und Zerstörung führen. Obwohl internationale Versammlungen Waffenstillstände angeordnet haben, setzt die humanitäre Krise weiterhin fort. Südafrika warnt vor einer Hungersnot aufgrund blockierter humanitärer Hilfe durch Israel und fordert Maßnahmen, um die Palästinenser vor Unterdrückung und Angriffen zu schützen. Es betont die Notwendigkeit, nicht nur den nicht wiedergutzumachenden Schaden zu mindern, sondern auch das Risiko für die palästinensische Bevölkerung zu beseitigen. Die tägliche Gefahr von Tod, Schaden und Zerstörung für die Palästinenser macht laut Südafrika dringendes Handeln des Gerichtshofs erforderlich. (Ausführliches Protokoll, 11. Januar 2024, S. 57-71)
Israel bestreitet die Notwendigkeit vorläufiger Maßnahmen, indem es argumentiert, dass die Gefahr eines nicht wiedergutzumachenden Schadens und die Dringlichkeit fehlen. Israel behauptet, dass die vom Antragsteller geltend gemachten Rechte nicht plausibel sind und dass die angebliche Missachtung der Völkermordkonvention nicht die Ursache für die humanitäre Lage im Konflikt ist. Israel betont laufende Bemühungen zur Linderung des Leids und weist darauf hin, dass die Feindseligkeiten abgenommen haben. Es verweist auf eine UN-Resolution und einen hochrangigen Koordinator zur Verbesserung der humanitären Lage. Israel argumentiert, dass die jüngsten Entwicklungen keinen dringenden Bedarf an vorläufiger Hilfe zeigen. Die Bevollmächtigten betonen Israels Bindung an völkerrechtliche Verpflichtungen, einschließlich der Völkermordkonvention. Insgesamt lehnt Israel den Antrag auf vorläufige Maßnahmen ab, da die Voraussetzungen des nicht wiedergutzumachenden Schadens und der Dringlichkeit nicht erfüllt sind. (Ausführliches Protokoll, 12. Januar 2024, S. 49-54)
- Vorläufige Maßnahmen und Zusammenfassung der Einreichungen
Südafrika argumentiert, dass alle Voraussetzungen (Prima-facie-Zuständigkeit des Gerichtshofs, Zusammenhang zwischen den beantragten Maßnahmen und den der Klage zugrunde liegenden Rechten, Plausibilität der geltend gemachten Rechte, Gefahr eines nicht wiedergutzumachenden Schadens und Dringlichkeit) für die Anordnung einstweiliger Maßnahmen durch den Gerichtshof erfüllt sind. Südafrika hebt hervor, dass die Hamas nicht Vertragspartei der Völkermordkonvention ist und daher nicht Teil des Verfahrens oder der Anordnungen des Gerichtshofs sein kann. Es wird argumentiert, dass Selbstverteidigung keine Rechtfertigung für Völkermord sein kann, da Völkermord eine unbedingte Norm ist, für die es keine Rechtfertigung oder Ausnahme gibt. Südafrika betont auch, dass einseitige Verpflichtungen nicht ausreichen, um die Gefahr eines nicht wiedergutzumachenden Schadens zu beseitigen, und dass die Autorität des Gerichtshofs erforderlich ist, um die Einhaltung der Verpflichtungen anzuordnen. (Ausführliches Protokoll, 11. Januar 2024, S. 74-82)
Israel lehnt die beantragten vorläufigen Maßnahmen ab und sieht sie als ungerechtfertigt an. Es betont die Ungleichheit einer einseitigen Aussetzung seiner Militäroperationen im Vergleich zur Fortsetzung der Angriffe durch die Hamas. Israel argumentiert, dass seine Militäroperationen nicht unter die Völkermordkonvention fallen und vorläufige Maßnahmen unverhältnismäßigen Schaden verursachen würden. Die Notwendigkeit einer Abwägung der Rechte beider Parteien wird hervorgehoben, und Israel warnt vor potenziellen weiteren Anschlägen, wenn die Hamas ihre Operationen fortsetzen kann. Israel sieht den Antrag Südafrikas als unbegründet an, da keine Prima-facie-Zuständigkeit besteht und keine plausiblen Rechte nachgewiesen wurden. Es betrachtet die Ereignisse als Teil eines von der Hamas angezettelten Krieges, der dem humanitären Völkerrecht unterliegt und nicht unter die Völkermordkonvention fällt. Der Standard des nicht wiedergutzumachenden Schadens und der Dringlichkeit wird als nicht erfüllt betrachtet, wobei Israel laufende Maßnahmen zur Verbesserung der humanitären Situation in Gaza betont. Israel bezeichnet die beantragten Maßnahmen als ungerechtfertigt und nachteilig, betont seine Verpflichtung zum Völkerrecht und warnt vor negativen Auswirkungen und dem Missbrauch von Völkermordansprüchen. (Ausführliches Protokoll, 12. Januar 2024, S. 55-74)
- Endgültige Einreichungen
Südafrika bekräftigt seine internationale Verpflichtung zur Verhinderung von Völkermord gemäß der Völkermordkonvention und ersucht den Internationalen Gerichtshof um vorläufige Maßnahmen gemäß Artikel 41 seiner Satzung. Es wird beantragt, dass alle militärischen Operationen Israels in und gegen Gaza, die gegen die Völkermordkonvention verstoßen, ausgesetzt werden. Zudem wird betont, dass Israel verpflichtet ist, alle Handlungen von Völkermord zu verhindern und diejenigen zu bestrafen, die an solchen Handlungen teilnehmen, sie anstiften oder unterstützen. (Ausführliches Protokoll, 11. Januar 2024, S. 82-84)
Israel beantragt gemäß Artikel 60 Absatz 2 der Verfahrensordnung beim Gerichtshof den Antrag Südafrikas auf Erlass vorläufiger Maßnahmen abzulehnen und den Fall von der allgemeinen Liste zu streichen. (Ausführliches Protokoll, 12. Januar 2024, S. 75)