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Aus: die tageszeitung, Wochenendausgabe 02./03. Mai 2015, S. 11, http://taz.de/Essay-BND-und-NSA/!159201/
Mit einer Reform der Geheimdienste ist es nicht getan. Denn: Geheimdienste und Demokratie sind nicht miteinander vereinbar. Schon wieder ein Geheimdienstskandal. Der Bundesnachrichtendienst (BND) hat offenbar im Rahmen seiner Auslandsüberwachung auch Wirtschaftsspionage betrieben – aber nicht etwa im Auftrag der Bundesregierung, sondern klammheimlich im Dienst des US-Geheimdienstes NSA unter dem Deckmantel des gemeinsamen Kampfes gegen den internationalen Terrorismus. Die enge Kollaboration zwischen beiden Geheimdiensten machte es möglich. Der Whistleblower Edward Snowden hatte Recht als er davon sprach, dass NSA und BND „miteinander ins Bett gehen“ – eine wahrlich grauenhaft Vorstellung. Tatsächlich tauschen sie nicht nur massenhaft Informationen, sondern teilen auch Instrumente, gemeinsame Datenbanken, Spähprogramme sowie Infrastrukturen; und im neuesten Fall nutzte der BND so genannte Selektoren wie Telefonnummern, Email- oder IP-Adressen, die ihm die NSA geliefert hatte. Zigtausende dieser Suchkriterien betrafen deutsche und europäische Firmen und Politiker, deren Kommunikation der BND auf diese Weise für die NSA ausspionierte – ob vorsätzlich, fahrlässig oder einfach willfährig muss sich noch zeigen.
Nun hat sich herausgestellt, dass das Bundeskanzleramt, das den BND zu beaufsichtigen hat, bereits seit Jahren über diese illegale Massenspionage im Auftrag der NSA informiert ist – offenbar ohne sie gestoppt zu haben. Also haben wir es sowohl mit einem Geheimdienst- als auch mit einem Regierungsskandal zu tun.
Skandal? Das klingt so wie Ausnahme, Einzelfall oder Ausreißer. Doch davon müssen wir uns schnellstens verabschieden – denn die zahlreichen „Skandale“, von denen wir seit Snowdens Enthüllungen, seit Aufdeckung der NSU-Mordserie und der Verwicklungen des „Verfassungsschutzes“ in Neonaziszenen erfahren mussten, führen uns deutlich vor Augen: Diese Skandale haben System und dieses System ist ein Geheimsystem, das mit den technologischen Möglichkeiten des digitalen Zeitalters Gesellschaften und Demokratien auf immer aggressivere Weise durchsetzt. Der „tiefe Staat“ lässt grüßen. Dafür verantwortlich sind Bundesregierungen und Parlamentsmehrheiten, die dieses System aufrechterhalten und wuchern lassen – trotz aller Gefährdungen des demokratischen Rechtsstaats und seiner Bürger, trotz millionenfacher Verletzung ihrer Freiheitsrechte und Privatsphäre.
BigBrotherAward für BND und Kanzleramt
Da fällt mir ein, dass ich erst kürzlich die zweifelhafte „Ehre“ hatte, den BND mit dem berühmt-berüchtigten Negativpreis „BigBrotherAward“ auszuzeichnen. Und vor einem Jahr durfte ich die „Laudatio“ auf das Bundeskanzleramt halten, vertreten durch die Hausherrin, Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), den Bundeskanzleramtschef Peter Altmaier (CDU) und den Staatssekretär für Nachrichtendienst-Angelegenheiten, Klaus-Dieter Fritsche (CSU). Wie sich zeigt, hat es tatsächlich die richtige „Kombi“ erwischt, die Richtigen ohnehin, die es aber versäumten (oder: zu feige waren), die Preistrophäe auch abzuholen.
Der Auslandsgeheimdienst BND erhielt den „Preis“ unter anderem, weil er aufs Engste in den menschenrechtswidrigen NSA-Überwachungsverbund verflochten ist und damit in die globale Massenüberwachung; und weil er täglich Abermillionen von Telekommunikationsdaten sammelt, speichert, auswertet und millionenfach an ausländische Partnerdienste übermittelt. Darunter auch grundrechtlich geschützte Daten von Bundesbürgern und Unternehmen, deren Weitergabe illegal ist.
Dreiste Vertuschungen
Nicht zuletzt erhielt der BND den Negativpreis für seine Informationsblockade und dreisten Vertuschungen geheimdienstlicher Praktiken gegenüber dem NSA-Untersuchungsausschuss des Bundestags – frei nach Negativpreisträger Klaus-Dieter Fritsche, das “Staatswohl“ sei nun mal weit wichtiger als parlamentarische Aufklärung.
Und womit verdiente sich das Bundeskanzleramt den BigBrotherAward? Weil ihm als zentraler Schaltstelle der Bundesregierungen die oberste Fachaufsicht über den BND obliegt sowie die Koordination aller drei Bundesgeheimdienste untereinander und mit anderen Dienststellen im In- und Ausland. Just hier in dieser politischen Machtzentrale sitzen also die Hauptverantwortlichen dafür, dass deutsche Geheimdienste in die menschen- und völkerrechtswidrige NSA-Überwachungsstruktur verzahnt sind, dass Deutschland das am stärksten überwachte Land Europas ist und dass notwendige Abwehr- und Schutzmaßnahmen unterlassen wurden.
Gehilfen und Mittäter
Denn sämtliche Bundesregierungen haben es bis heute sträflich unterlassen, die Bürger und von Wirtschaftsspionage betroffene Betriebe vor illegalen Überwachungsattacken zu schützen – obwohl es zu ihren verfassungsrechtlichen Kernaufgaben gehört, diesen Schutz zu gewährleisten. Die geradezu unterwürfige Haltung der Bundesregierung gegenüber den USA ist der engen deutsch-amerikanischen Kooperation geschuldet und auch der Tatsache, dass Deutschland längst Teil des US-„Kriegs gegen den Terror“ geworden ist. Seit Jahren und Jahrzehnten sind die Bundesregierungen und ihre Nachrichtendienste Komplizen, Gehilfen, ja Mittäter im großen aggressiven Zusammenspiel westlicher Geheimdienste – oder anders formuliert: willfährige Partner.
Deshalb und angesichts der amtlichen Lethargie nach Snowdens Enthüllungen haben sich die Internationale Liga für Menschenrechte und die Datenschutzvereine Digitalcourage und ChaosComputerClub 2014 genötigt gesehen, beim Generalbundesanwalt Strafanzeige gegen Bundesregierung und Geheimdienst-Verantwortliche zu erstatten, um die politisch und strafrechtlich Mitverantwortlichen endlich zur Rechenschaft zu ziehen. Bekanntlich hat der oberste Ankläger ein offizielles Strafermittlungsverfahren eingeleitet – aber nur wegen des unfreundlichen US-Spionage-Angriffs auf das Handy der Kanzlerin. Eine Entscheidung, die an der Gleichheit aller Menschen vor dem Gesetz zweifeln lässt. Denn auf ein Ermittlungsverfahren wegen der ungleich schwerer wiegenden massenhaften Ausspähung der ganzen Bevölkerung verzichtet der Generalbundesanwalt – kurioserweise mangels „zureichender Tatsachen“.
Angesichts der Fülle an Belastungsbeweisen und -zeugen ist das Realitätsverleugnung und Willfährigkeit – jedenfalls hart an der Grenze zur Strafvereitelung im Amt. Diese Rechtsschutzverweigerung ist eine Kapitulation des Rechtsstaats vor staatlichem Unrecht – nach den neuesten Erkenntnissen mehr denn je. Die Geheimdienste können sich so jeder Verantwortung entziehen, können munter weitermachen wie bisher – ja, werden, wie zur Belohnung, auch noch weiter aufgerüstet: so etwa mit der Ermächtigung zur systematischen, flächendeckenden und anlasslosen Ausforschung „sozialer Netzwerke“ im Internet.
Globaler Informationskrieg
Offenbar soll der BND sein Image als „Wurmfortsatz“ der NSA, wie ihn Ex-NSA-Mitarbeiter Thomas Drake despektierlich nannte, loswerden und sich vom Großen Bruder emanzipieren. Was wir gerade erleben ist kein Insichgehen, kein Innehalten angesichts der ungeheuerlichen Praktiken – im Gegenteil: Anstatt endlich die Menschen und Unternehmen vor geheimdienstlicher Ausforschung zu schützen, werden wir Zeugen eines fatalen Wettrüstens im globalen Informationskrieg der Geheimdienste – einem Informationskrieg, in dem es nicht nur um „Terrorbekämpfung“ und „Sicherheit“ geht, sondern um geostrategisch-wirtschaftliche Interessen sowie um präventive Vormacht- und Herrschaftssicherung, bis hin zur Absicherung militärischer Operationen.
Mit Enthüllungen und „lückenloser“ Aufklärung, so wichtig sie auch sind, ist es angesichts solcher Entwicklungen nicht mehr getan. Auch bloße Reformen, wie derzeit in Planung, werden an den grundsätzlichen Problemen, die Geheimdienste verursachen, nicht allzu viel ändern. Warum? Weil Geheimdienste, die Staat, Verfassung und Demokratie schützen sollen, selbst demokratischen Prinzipien der Transparenz und Kontrollierbarkeit widersprechen und deshalb auch in Demokratien zu Verselbständigung, Machtmissbrauch und Willkür neigen. Wenn Geheimdienste ihre Finger im Spiel haben, dann bleibt Aufklärung regelmäßig auf der Strecke. Denn das Geheimhaltungssystem etwa zum Schutz von Informanten, V-Leuten und Verdeckten Ermittlern („Quellenschutz“) umschlingt auch Justiz und Parlamente, die Geheimdienste kontrollieren sollen und zumeist daran scheitern.
Geheime Kontrolle ist nicht demokratisch
Die parlamentarische Kontrolle erfolgt ihrerseits geheim, also wenig demokratisch; und Gerichtsprozesse, in denen etwa V-Leute eine Rolle spielen, werden zu Geheimverfahren, in denen Akten manipuliert und geschwärzt, Zeugen gesperrt werden oder nur mit beschränkten Aussagegenehmigungen auftreten dürfen. Diese systematische Verdunkelungsstrategie widerspricht zwar rechtsstaatlichen Prinzipien, ist aber für Geheimdienste geradezu systemrelevant. Das heißt: Die einzig funktionierende demokratische Kontrolle von Geheimdiensten besteht in deren Auflösung.
Angesichts solch struktureller Defizite und Bedrohungen ist es tatsächlich höchste Zeit, das fundamentale Problem von Geheimdiensten in einer Demokratie anzugehen und diesen undurchsichtigen und übergriffigen Überwachungs- und Datenkraken das Handwerk zu legen. Dazu bedarf es einer wirksamen Abrüstung und Zerschlagung des ausufernden geheimdienstlich – informationell – militärischen Komplexes. Um dafür den nötigen politischen Druck aufzubauen, braucht dieses Land dringend eine starke Bürgerrechtsbewegung und widerständige Menschen, die demokratische Gegenwehr entwickeln, die Bürgerrechte und Privatsphäre für das digitale Zeitalter neu erkämpfen und die sich staatlichem Überwachungswahn mit Phantasie widersetzen.
Dr. Rolf Gössner ist Anwalt, Publizist und Vizepräsident der Internationalen Liga für Menschenrechte, Mitherausgeber des „Grundrechte-Reports“, Mitglied der Jury zur Vergabe des Negativpreises „Big-BrotherAward“ (https://bigbrotherawards.de) und Sachverständiger in Gesetzgebungsverfahren. Autor zahlreicher Bücher zu Innerer Sicherheit und Bürgerrechten. Ausgezeichnet mit der Theodor-Heuss-Medaille, dem Kölner Karlspreis für engagierte Literatur und dem Bremer Kultur- und Friedenspreis. Der Autor stand vier Jahrzehnte unter Beobachtung des „Verfassungsschutzes“ – grundrechtswidrig, wie das Verwaltungsgericht Köln 2011 urteilte. Er ist Miterstatter der Strafanzeige gegen Bundesregierung und Geheimdienste (2014; www.ilmr.de) sowie Mitautor eines Memorandums zur Auflösung des „Verfassungsschutzes“ (Berlin 2013; www.verfassung-schuetzen.de).