Von Petra Buch, dpa
Dessau-Roßlau (dpa/sa) – Wehrlos, gefesselt an Händen und Füßen, starb der Asylbewerber Oury Jalloh am 7. Januar 2005 grauenvoll bei einem Brand in der Gewahrsamzelle 5 des Polizeireviers Dessau. Das Obduktionsergebnis: Todesursache Hitzeschock. Der Afrikaner aus Sierra Leone wurde nur 23 Jahre alt. »Die Umstände seines qualvollen Feuertodes und wer dafür die Verantwortung und die Schuld trägt, ist auch fünf Monate nach Beginn des international Aufsehen erregenden Prozesses ungeklärt«, sagt Rolf Gössner, Präsident der »Internationalen Liga für Menschenrechte (Berlin)«, der auch für »Pro Asyl« (Frankfurt/Main), das Verfahren seit Beginn beobachtet. Angeklagt sind zwei Dessauer Polizisten.
Sachverständige kamen im Vorfeld zu dem Schluss, der Afrikaner könnte noch am Leben sein, wenn ihm rechtzeitig geholfen worden wäre. Das Landgericht der neuen Doppelstadt Dessau-Roßlau setzt nach bisher 19 Verhandlungstagen am Montag (20.8.) den Prozess nach dem Sommerurlaub fort. »Es sollen eine ganze Reihe weiterer Zeugen befragt werden, 14 Verhandlungstage sind zunächst bis zum 15. November terminiert«, berichtet Gerichtssprecher Frank Straube. Ob sich dann der Prozess dem Ende nähert, sei völlig offen.
Seit Ende März müssen sich der damalige und zwischenzeitlich suspendierte Dienstgruppenleiter und ein weiterer Polizeibeamter vor Gericht verantworten. Die Staatsanwaltschaft wirft dem Vorgesetzten Körperverletzung mit Todesfolge, dem zweiten Polizisten fahrlässige Tötung – jeweils durch Unterlassen – vor. Die beiden Beamten haben dies im Wesentlichen bestritten. So soll der Dienstgruppenleiter den Brandmelder aus der Zelle weggedrückt und dem Asylbewerber nicht rechtzeitig geholfen haben, sein Kollege soll zuvor bei der Durchsuchung des Afrikaners ein Feuerzeug übersehen haben. Damit soll Jalloh trotz seiner Fesselung die Matratze, die als feuerfest galt, angezündet haben – doch wie und warum er das getan haben soll, sind weitere offene Fragen.
Nach Ansicht von Gössner sind während der Befragung von Zeugen aus den Reihen der Polizei zahlreiche Erinnerungslücken und eklatante Widersprüche aufgetreten. Dem Vorsitzenden Richter der 6. großen Strafkammer, Manfred Steinhoff, platzte deshalb regelrecht der Kragen. Er kündigte an, der Prozess werde so lange dauern, bis der Fall restlos aufgeklärt sei. »Das ist bisher aber keineswegs in greifbare Nähe gerückt«, sagt Gössner, der selbst Jurist ist.
Richter Steinhoff hatte in seiner Standpauke betont, dass ein demokratischer Rechtsstaat nicht damit leben könne, dass Polizeibeamte vor Gericht die Unwahrheit sagen und damit auch Angeklagte schützen wollen. Sie seien zur Wahrheit gesetzlich und moralisch verpflichtet. Auch falsch verstandene Kollegialität lasse er nicht zu, so werden Beamte als Zeugen nochmals befragt. »Ursprünglich waren nur sechs Verhandlungstage in dem Fall vorgesehen, es ist gut, dass nun während der Verhandlung vieles hinterfragt wird« meint Marco Steckel, Chef der Beratungsstelle für Opfer rechter Gewalt, die eng mit dem multikulturellen Zentrum in Dessau-Roßlau zusammenarbeitet.
Er sieht den Prozess als eine »Nagelprobe für den Rechtsstaat in Sachsen-Anhalt« und fordert wie auch der Menschenrechtler Gössner eine konsequente Aufarbeitung der Geschehnisse innerhalb der Polizei, auch im Nachklapp des Prozesses. »Die bisherigen Zeugenvernehmungen ergeben ein teilweise erschreckendes Bild von den Zuständen im Verantwortungsbereich des Hauptangeklagten Dienstgruppenleiters – man könnte auch von organisierter Verantwortungslosigkeit sprechen«, sagt Gössner, der zudem eine »latent rassistische Motivation« bei den angeklagten Polizisten nicht ausschließen mag. Steckel sieht Rassismus bei der Polizei als eine »Grauzone« und dies auch im Alltag der Polizisten begründet, die mit Kriminalität und auch mit kriminellen Ausländern zu tun hätten.
»Wir brauchen mehr Aufklärung, mehr Hintergrundwissen bei der Polizei für den Umgang mit Migranten«, sagte er. »Polizisten müssen konkret selbst erfahren, es gibt auch positive Erlebnisse mit Ausländern, es gibt auch andere Migranten, die nicht kriminell sind«, sagte Steckel. Ein multikulturelles Fest sei zwar eine gute Sache. »Das reicht aber nicht aus«. Jalloh war in Gewahrsam genommen worden, weil im Stadtgebiet Ein-Euro-Jobberinnen belästigt haben soll.