Internationale Liga für Menschenrechte

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Vorratsdatenspeicherung: Bedrohung von freier Kommunikation – morgen: Verhandlung vor Bundesverfassungsgericht

Bundesverfassungsgericht verhandelt morgen über Verfassungsbeschwerde gegen Vorratsdatenspeicherung – die größte Massenbeschwerde in der bundesdeutschen Rechtsgeschichte

Endlich ist es so weit: Am morgigen Dienstag, 15.12. 2009, verhandelt das Bundesverfassungsgericht über die Verfassungsbeschwerden gegen die umstrittene verdachtsunabhängige Vorratsspeicherung von Telekommunikationsverbindungs- und Standortdaten. Fast 35.000 Menschen – darunter auch die heutige Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger – legten dagegen Anfang 2008 Beschwerden beim Bundesverfassungsgericht ein.

Der Bremer Rechtsanwalt Rolf Gössner, Vizepräsident der Internationalen Liga für Menschenrechte, ist einer der Erstbeschwerdeführer. Anlässlich der Mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverfassungsgericht, an der er teilnehmen wird, erklärt er heute in Bremen:

„Seit Anfang 2008 werden sämtliche Telekommunikations- und Standortdaten, also Telefon-, Handy-, Email- und Internetverbindungsdaten, zwangsweise sechs Monate lang auf Vorrat gespeichert — ohne Verdacht und Anlass, nur um sie bei Bedarf zweckentfremdet zur Strafverfolgung verwenden zu können. Mit Hilfe dieses riesigen Datenreservoirs praktisch über die gesamte Bevölkerung können Bewegungsprofile erstellt, geschäftliche Kontakte rekonstruiert und Freundschaftsbeziehungen identifiziert werden. Wie schnell dies passieren kann, zeigen die Missbrauchsfälle bei der Telekom, die diese Daten, quasi als Hilfspolizei des Staates, vorrätig halten muss. Auch Rückschlüsse auf den Inhalt der Kommunikation, auf persönliche Interessen und die Lebenssituation der Kommunizierenden werden möglich. Insgesamt eine Bedrohung von freier Kommunikation und Privatheit, aber auch von Berufsgeheimnissen und Pressefreiheit – weshalb fast 35.000 Menschen eine Sammelbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht eingereicht haben; es ist die größte Massenbeschwerde in der bundesdeutschen Rechtsgeschichte.“

Die Vorratsdatenspeicherung könne besonders für Berufsgeheimnisträger wie Rechtsanwälte, Ärzte oder Journalisten zum Problem werden, so Rolf Gössner, der selbst in allen seinen beruflichen und ehrenamtlichen Tätigkeitsfeldern als Anwalt, Publizist und Bürgerrechtler von der Vorratsdatenspeicherung betroffen ist. Denn unter den Bedingungen der Vorratsdatenspeicherung sind Berufsgeheimnisse wie der Informantenschutz oder das besondere Vertrauensverhältnis zwischen Anwalt und Mandanten kaum noch zu gewährleisten. Auch das Beratungsgeheimnis, die unkontrollierte Arbeit und prinzipiell ausforschungsfreie Sphäre von Nichtregierungsorganisationen wie der Internationalen Liga für Menschenrechte sind fährdet.

Im Eilverfahren konnten die Erstbeschwerdeführer bereits einen ersten Teilsieg erringen: Das Bundesverfassungsgericht hat mit mehreren einstweiligen Anordnungen seit dem 11. 03.2008 Auskünfte über die auf Vorrat gespeicherten Telekommunikationsdaten an staatliche Sicherheitsbehörden erheblich eingeschränkt. Das heißt: Die Vorratsdaten dürfen danach – anders als es das Gesetz erlaubt – nur noch zur Ermittlung und Aufklärung besonders schwerer Straftaten verwendet werden.

Die Internationale Liga für Menschenrechte erinnert in diesem Zusammenhang daran, dass das Bundesverfassungsgericht in den vergangenen Jahren bereits eine ganze Reihe von so genannten Antiterror-Gesetzen und -Maßnahmen ganz oder teilweise für verfassungswidrig erklären musste. Das Gericht rügte dabei eindrücklich die besorgniserregende Tatsache, dass Regierungen und Parlamente in diesen Fällen unveräußerliche Grund- und Bürgerrechte, die Menschenwürde und den Kern privater Lebensgestaltung einer vermeintlichen Sicherheit geopfert haben. Dies zeige deutlich, so die Liga, dass das Verfassungsbewusstsein der politischen Klasse im Zuge des staatlichen Antiterrorkampfes erheblich gelitten habe.

Mündliche Verhandlung vor dem Bundesverfassungsgericht über Verfassungsbeschwerden gegen Vorratsdatenspeicherung am Dienstag, 15. Dezember 2009, ab 10 Uhr

Pressekonferenz der Beschwerdeführer und des Arbeitskreises Vorratsdatenspeicherung ebenfalls am 15.12.09, 8 Uhr. Ort: Großer Konferenzsaal des DGB, Karlsruhe, Ettlinger Str. 3a.

Bei dem Pressegespräch werden anwesend sein und Ihre Fragen beantworten:
die Erstbeschwerdeführer:
Prof. Dr. Christoph Gusy (Rechtswissenschaftler Uni Bielefeld)
RA Dr. Rolf Gössner (Vizepräsident der Internationalen Liga für Menschenrechte),
Albrecht Ude (Journalist) vom Journalistenverein „Netzwerk Recherche“,
Patrick Breyer vom Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung und
Heinz Raschdorf (Steuerberater).

Als Beschwerdeführerinnen ihrer Parteien:
Claudia Roth und Petra Pau.

Die Bevollmächtigten der Beschwerdeführer:
RA Meinhard Starostik, Burkhard Hirsch, Prof. Dr. Jens-Peter Schneider,
und als Sachverständiger Prof. Dr. Hans-Jörg Albrecht.

Unter http://verfassungsbeschwerde.vorratsdatenspeicherung.de finden Sie alle Originaldokumente (Schriftsätze der Beschwerdeführer, Schriftsätze der Bundesregierung, Stellungnahmen der Sachverständigen usw.).
Pressekonferenz und Live-Berichterstattung zur mündlichen Verhandlung im Internet: nähere Informationen dazu unter http://verfassungsbeschwerde.vorratsdatenspeicherung.de

UPDATE: Erweiterte Liveberichterstattung zur mündlichen Anhörung unter http://www.netzpolitik.org/2009/ticker-muendliche-anhoerung-zur-vorratsdatenspeicherung/

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