Wir möchten Sie auf den soeben in
„BLÄTTER FÜR DEUTSCHE UND INTERNATIONALE POLITIK“ (3/2009)
erschienenen Beitrag
von ROLF GÖSSNER
aufmerksam machen, der eine besonders brisante Antiterrormaßnahme
der Europäischen Union kritisch beleuchtet:
Zusammenfassung:
In der EU-Terrorliste werden zahlreiche Organisationen und Einzelpersonen als „terroristisch“ eingestuft und gravierenden Sanktionen unterworfen, die zwangsläufig zu Menschenrechtsverletzungen führen. Dieser Index ist weder demokratisch legitimiert noch unterliegt er einer demokratischen Kontrolle. Lange Zeit ist den Betroffenen noch nicht einmal rechtliches Gehör gewährt, geschweige denn Rechtsschutz gegen das amtliche Terrorstigma zugestanden worden.
Die Terrorliste wird von einem geheim tagenden Gremium des Ministerrates erstellt. Die Entscheidungen erfolgen im Konsens, wobei die für eine Aufnahme vorgebrachten Verdachtsmomente und Indizien zumeist auf dubiosen Geheimdienstinformationen einzelner Mitgliedsstaaten beruhen. Eine unabhängige Beurteilung der Fälle auf Grundlage von gesicherten Beweisen findet jedenfalls nicht statt.
Wer einmal auf der Liste steht, hat kaum mehr eine Chance auf ein normales Leben. Er ist quasi vogelfrei, wird politisch geächtet, wirtschaftlich ruiniert und sozial isoliert. Das gesamte Vermögen wird eingefroren, alle Konten und Kreditkarten werden gesperrt, Barmittel beschlagnahmt, Arbeits- und Geschäftsverträge faktisch aufhoben; weder Arbeitsentgelt noch staatliche Sozialleistungen dürfen noch ausbezahlt werden; hinzu kommen Passentzug und Ausreisesperre sowie Überwachungs- und Fahndungsmaßnahmen. Mit Verweis auf die Terrorliste werden Wohnungsdurchsuchungen, Beschlagnahmungen oder Festnahmen begründet. Zu den Fernwirkungen zählen die Verweigerung von Einbürgerungen und Asylanerkennungen sowie der Widerruf des Asylstatus von Mitgliedern oder Anhängern gelisteter Gruppen.
Die EU greift mit ihrer Terrorliste im „Kampf gegen den Terror“ gewissermaßen selbst zu einem Terrorinstrument aus dem Arsenal des sogenannten Feindstrafrechts — eines menschenrechtswidrigen Sonderrechts gegen angebliche „Staatsfeinde“, die praktisch rechtlos gestellt und gesellschaftlich ausgegrenzt werden. Ihre drakonische Bestrafung erfolgt vorsorglich und wird im rechtsfreien Raum exekutiert — ohne Gesetz, ohne fairen Prozess, ohne Beweise, ohne Urteil und ohne Rechtsschutz. Ein Serienkiller habe mehr Rechte, so der EU-Sonderermittler Dick Marty, als ein Mensch, der auf einer Terrorliste steht.
Trotz der systematischen Entrechtung der Gelisteten sind beim Europäischen Gerichtshof in Luxemburg einige Klagen von Betroffenen eingegangen. Und es gibt auch Urteile, mit denen die Aufnahme einzelner Personen und Organisationen auf die Terrorliste und das Einfrieren ihrer Gelder für rechtswidrig und nichtig erklärt werden. Ihr Anspruch auf rechtliches Gehör und effektive Verteidigung, so die Richter, sei grob missachtet worden.
Das gilt u.a. für die iranische Oppositionsgruppe der Volksmudschaheddin, für die kurdische PKK, die niederländischen Stiftung Al-Aksa und den philippinischen Professor Jose Maria Sison. Zwar sind die Betroffenen inzwischen pro forma benachrichtigt und angehört worden, doch konkrete Abhilfe geschaffen wurde offenbar immer noch nicht – mit einer Ausnahme: Im Januar 2009 mussten die Volksmudschaheddin aus der Terrorliste gestrichen werden, nachdem der Europäische Gerichtshof bereits in mehreren Urteilen die Rechtswidrigkeit und Nichtigkeit ihrer Aufnahme in die Liste festgestellt hatte.
Ausführliche Behandlung der EU-Terrorliste und ihrer Auswirkungen in „Blätter“ 3/09 siehe anhängende pdf-Datei.