Die Internationale Liga für Menschenrechte fordert eine umfassende Aufklärung der Umstände, die zum Verbrennungstod von Oury Jalloh im Polizeigewahrsam führten.
Vor genau vier Jahren, am 7. Jan. 2005, verbrannte der aus Sierra Leone stammende und in der Bundesrepublik Schutz und Asyl suchende Oury Jalloh in Zelle Nr. 5 des Polizeireviers Dessau. Am 8. Dez. 2008 wurden die angeklagten Polizeibeamten frei gesprochen. Wie der Vorsitzende Richter Manfred Steinhoff es ausdrückte, war der Prozess „schlicht und ergreifend gescheitert“.
Der lange Zeit verschleppte Strafprozess gegen die beiden Polizisten wurde erst nach massivem Druck der schwarzen Community und der Initiative Im Gedenken an Oury Jalloh möglich. In dem 22 Monate dauernden Prozess mit 60 Verhandlungstagen ging es allerdings keineswegs primär um die Aufklärung der Umstände, die zum Tod von Oury Jalloh geführt hatten. Im Mittelpunkt stand vielmehr die Rekonstruktion der letzten Minuten und Sekunden unmittelbar davor. Deshalb ging es letztlich nur noch um die Frage, ob die Angeklagten möglicherweise fahrlässig gehandelt bzw. sich der unterlassenen Hilfeleistung schuldig gemacht hatten (oder nicht).
Das Gericht hatte sich, der Anklage folgend, von Anbeginn auf Selbsttötung festgelegt. Oury Jalloh, so die unwahrscheinliche und im Prozess nicht bewiesene These, habe die feuerfeste Matratze selbst angezündet – obwohl er auf dieser von den Polizisten an Händen und Füßen fixiert worden war. Die systematische Untersuchung der Möglichkeit eines Fremdverschuldens am Tod Oury Jalloh war damit frühzeitig verbaut, wenn nicht sogar von vorneherein ausgeschlossen.
Man konnte im Laufe des Verfahrens den Eindruck gewinnen, dass die Lügen und widersprüchlichen Aussagen von Polizeizeugen sowie die Manipulationen und verschwundenen Beweise nicht lediglich das Werk einzelner Polizisten seien, sondern der Vertuschung der Brandursache und der Irreführung des Gerichts durch die Polizei dienten. Richter Steinhoff stellte folglich am Ende fest: „Sie dieses Corps der Polizeibeamtinnen und Beamten, die Leitung eingeschlossen alle haben dem Rechtsstaat geschadet“. Allerdings ignorierte das Gericht die vielen Indizien, die auf andere Todesursachen hätten hinweisen können. Die formale und strukturelle Stimmigkeit des Verfahrens und ein alternativer Zugang zur Untersuchung und Beurteilung der Umstände des Todes Oury Jallohs im Polizeigewahrsam wurden nicht erörtert.
Das Gericht ging sogar so weit, zum Ende des Prozesses der Familie Jalloh 5000 Euro anzubieten, die dem Hauptangeklagten als Auflage aufgebürdet werden sollte, wenn sie mit der Einstellung des Verfahrens einverstanden wären. Was die Eltern zutiefst als Beleidigung empfanden, drückte der Bruder von Oury Jalloh offen aus: Das Gericht will „Wahrheit gegen Geld tauschen“. Fragwürdig bleibt überdies auch, mit welcher Absicht der Richter der Familie auf diese Weise noch zum Ende des Verfahrens die Möglichkeit zur Revision zu verbauen versuchte.
Zweifel am Willen zur Wahrheitsfindung und folglich auch am Umgang der Polizei, der Staatsanwalt- und Richterschaft mit der Verpflichtung Rechtsstaatlichkeit in Sachen Rassismus rigoros durchzusetzen, kommen unweigerlich auf. Dies umso mehr als der „Fall Oury Jalloh“ für die Behandlung von Flüchtlingen, ImmigrantInnen und Minderheiten durch staatliche Institutionen keineswegs einzigartig ist.
Institutioneller und struktureller Rassismus in der Bundesrepublik Deutschland, insbesondere im Bereich Justiz und Polizei, wurden daher wiederholt auch von internationalen Gremien in deutlicher Form kritisiert. Zuletzt im August 2008 vom UN-Ausschuss zur Beseitigung der rassistischen Diskriminierung (CERD). Die Europäische Kommission gegen Rassismus und Intoleranz (ECRI) wies in ihrem dritten Bericht zu Deutschland gleichfalls auf Erscheinungen des Rassismus in Staat und Gesellschaft hin. Ebenso die Menschenrechtsbeauftragte des Europarats.
„Nicht nur die Polizei ist eine Antwort angesichts dieser eklatanten Menschenrechtsverletzung schuldig, sondern die Bundesrepublik Deutschland insgesamt“, so die Präsidentin der Internationalen Liga für Menschenrechte, Prof. Dr. Fanny-Michaela Reisin.
Die Internationale Liga für Menschenrechte unterstützt die Forderung der schwarzen Community und der Initiative im Gedenken an Oury Jalloh, zur Aufklärung der Umstände, die zum Tod von Oury Jalloh führten, eine unabhängige internationale Expertenkommission einzusetzen.
Eine gemeinsame Presseerklärung von:
Afrikarat, Diakon Alimamy L Sesay (Vorsitzender)
Migrationsrat Berlin Brandenburg, André Degbeon (Sprecher)
Flüchtlingsrat Berlin, Jens-Uwe Thomas
Komitee für Grundrechte und Demokratie, Dirk Vogelkamp (Sprecher)
Internationale Liga für Menschenrechte, Prof. Dr. Fanny-Michaela Reisin (Präsidentin)
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