Internationale Liga für Menschenrechte

Internetpräsenz der Internationalen Liga für Menschenrechte

Sexualisierte Gewalt in Kriegen und bewaffneten Konflikten

| Keine Kommentare

Ein Beitrag von Mareike Warmboldt, Praktikantin der ILMR im Herbst 2023.

Inhalt

  • 1. Einleitung
  • 2. Definitionen und Rechtsrahmen.
  • 2.1 Definition.
  • 2.2 Rechtsrahmen.
  • 3. Die Komplexität sexualisierter Gewalt.
  • 3.1 Dynamiken und Funktionen.
  • 3.2 Patriarchale Strukturen.
  • 3.3 Sexualisierte Gewalt als Form des Genozids
  • 4. Transitional Justice.
  • 4.1. Der Internationale Strafgerichtshof und Ad-hoc-Tribunale.
  • 4.2. Nationale Gerichte.
  • 4.3. Wahrheits- und Versöhnungskommissionen.
  • 4.4. Entschädigungsprogramme.
  • 5. Aktuelle Beispiele.
  • 5.1. Sudan.
  • 5.2. Ukraine.
  • 6. Fazit
  • 7. Quellenverzeichnis

1. Einleitung

Die Welt erlebt derzeit die höchste Anzahl an Konflikten seit dem Zweiten Weltkrieg, wodurch die Zivilbevölkerung einem erhöhten Maß an konfliktbedingter sexueller Gewalt ausgesetzt ist, die durch Waffenproliferation, die Missachtung des Völkerrechts und zunehmende Militarisierung verschärft wird. Die UN-Sonderbeauftragte für sexuelle Gewalt, wies auf einen Anstieg der verifizierten Fälle um 50 % in 2023 hin. Sowohl staatliche als auch nichtstaatliche bewaffnete Gruppen verüben Vergewaltigungen, Gruppenvergewaltigungen und Entführungen, von denen Vertriebene unverhältnismäßig stark betroffen sind (United Nations 2024). Sexualisierte Gewalt im Krieg ist ein allgegenwärtiges Problem, das von Politik, Wissenschaft und Medien aufgegriffen und verurteilt, aber oft auf einzelne Ereignisse reduziert wird. Zu den Täter:innen gehören Militär, Polizei, bewaffnete Gruppen und Zivilist:innen, wobei die Opfer überwiegend Frauen sind. Aber auch LGBTQ+, nicht-binäre und männliche Personen sind betroffen. Die unzureichende Dokumentation erschwert es jedoch, das volle Ausmaß dieser Verbrechen zu erfassen (Heinrich Böll Stiftung 2023). Bis zur Einführung von sexualisierter Gewalt als ein theoretisch und empirisch zu untersuchendes Konzept wurden Geschlechterfragen in der Konfliktforschung historisch vernachlässigt, sind jedoch heute ein zentraler Bestandteil der Literatur zur Viktimisierung von Zivilpersonen (Nordås und Cohen 2021, 195). Trotz eines wachsenden Forschungskorpus zu den Mustern und Dynamiken sexualisierter Gewalt in bewaffneten Konflikten bleibt das Problem bestehen, da gegenwärtige Reaktionen bisher weder präventiv wirken noch diese Form der Gewalt eindämmen. Stattdessen konzentrieren sich die Reaktionen weiterhin auf das „Schaffen von Bewusstsein“, das „Offenlegen“ und das „Brechen des Schweigens“ über sexualisierte Gewalt (Ayiera und Ayiera 2010, 11). Die Frage, wie sexualisierte Gewalt in bewaffneten Konflikten beendet werden kann, bleibt bestehen. Einerseits wird die Vernachlässigung des Patriarchats als sozial-politische Struktur in der Analyse kriegsbedingter sexualisierter Gewalt kritisiert und als fehlender Aspekt in den gegenwärtigen Reaktionen gesehen (Ayiera und Ayiera 2010, 12). Andererseits wird argumentiert, dass weitere Forschung erforderlich sei, um zu bewerten, ob wichtige politische Initiativen erfolgreich waren und warum sie möglicherweise gescheitert sind (Nordås und Cohen 2021, 206). Die folgende Abhandlung gliedert sich in mehrere thematische Abschnitte, beginnend mit Definitionen und dem rechtlichen Rahmen sexualisierter Gewalt, gefolgt von einer Analyse ihrer Dynamiken, Funktionen und strukturellen Ursachen, und beleuchtet anschließend den Umgang mit sexualisierter Gewalt im Kontext von Transitional Justice.

2. Definitionen und Rechtsrahmen

2.1 Definition

Die Untersuchung kriegsbedingter sexualisierter Gewalt ist unmittelbar mit politischen Prozessen verbunden, insbesondere der Anerkennung sexualisierter Gewalt als Kriegsverbrechen, sowie mit aktivistischen Bemühungen, vor allem feministischen Bewegungen. Der Krieg im ehemaligen Jugoslawien (1992–1995) und der Völkermord in Ruanda im Jahr 1994, in denen es zu schrecklichen Fällen von Massenvergewaltigungen kam, bildeten entscheidende Wendepunkte in der Erforschung kriegsbedingter sexualisierter Gewalt. Feministische Aktivist:innen und Wissenschaftler:innen jener Zeit argumentierten, dass Vergewaltigung als „Waffe des Krieges“ und in bestimmten Fällen als Völkermord anerkannt werden sollte, wobei die Gewalt oft gezielt gegen Frauen gerichtet war. Die Forschung betrachtet sexualisierte Gewalt im Krieg nicht nur als Ausdruck geschlechtsspezifischer Machtstrukturen, sondern auch als eine Praxis, die tief mit Fragen der Identitätspolitik verbunden ist. Diese Form der Gewalt hat oft komplexe symbolische Bedeutungen, da sie über die physische Verletzung hinausgeht. Viele Forscher:innen sahen darin eine Fortsetzung der Gewalt gegen Frauen, die sich auch in Friedenszeiten manifestiert (Nordås und Cohen 2021, 196). Spätere Studien zeigen, dass kriegsbedingte sexualisierte Gewalt in verschiedenen Konflikten, durch verschiedene Akteure, in unterschiedlichen Formen, gegen verschiedene Zielgruppen (einschließlich männlicher Opfer) und an spezifischen Orten erheblich variieren kann. Dies stellt zwei grundlegende Annahmen früherer Studien in Frage: Erstens, dass sexualisierte Gewalt ein unvermeidbares Merkmal des Krieges sei, und zweitens, dass alle bewaffneten Gruppen oder Soldat:innen sie begehen würden, wenn sie die Gelegenheit dazu hätten (Nordås und Cohen 2021, 197).

Es gibt keine allgemein akzeptierte Definition kriegsbedingter sexualisierter Gewalt, wobei sich die Definitionen hauptsächlich darin unterscheiden, welche Formen von Gewalt eingeschlossen sind und was als kriegsbedingter Kontext gilt. Der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) definiert kriegsbedingte sexualisierte Gewalt als Handlungen, bei denen direkter körperlicher Zwang oder die Androhung von Gewalt zum Einsatz kommen. Hierzu zählen sieben Formen: Vergewaltigung, sexuelle Sklaverei, erzwungene Prostitution, erzwungene Schwangerschaft, erzwungene Sterilisation oder Abtreibung, sexuelle Verstümmelung und sexuelle Folter. Die Vereinten Nationen hingegen verfolgen einen weiter gefassten Ansatz, indem sie jede Form von sexualisierter Gewalt, die direkt oder indirekt mit Konflikten in Verbindung steht, als kriegsbedingte sexualisierte Gewalt betrachten. Diese Definition umfasst auch Fälle, die aus einem Klima der Straflosigkeit für die Täter:innen resultieren, und erkennt an, dass sexualisierte Gewalt sowohl ein unmittelbares Mittel des Krieges als auch ein Nebenprodukt der durch Konflikte erzeugten Instabilität sein kann (United Nations 2024; Nordås und Cohen 2021, 195).

2.2 Rechtsraum

Die Einrichtung des Internationalen Strafgerichtshofs für das ehemalige Jugoslawien (ICTY) im Jahr 1993 und des Internationalen Strafgerichtshofs für Ruanda (ICTR) im Jahr 1994 markierten wichtige Fortschritte in der rechtlichen Anerkennung von Massenvergewaltigungen als Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Diese Rechtsstatuten waren die ersten, die Massenvergewaltigungen eindeutig als solche kategorisierten und damit einen historischen Präzedenzfall im internationalen Recht setzten. Das ICTR untermauerte dieses Bekenntnis insbesondere durch die Verurteilung von Jean-Paul Akayesu im Jahr 1998, bei der erstmals ein Kriegsverbrecher wegen Vergewaltigung als Verbrechen gegen die Menschlichkeit und als Völkermord verurteilt wurde (Ayiera und Ayiera 2010, 10). Das Römische Statut des permanenten Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) baute diesen rechtlichen Rahmen weiter aus, indem es verschiedene Formen sexualisierter Gewalt—darunter Vergewaltigung, sexuelle Sklaverei, erzwungene Prostitution, erzwungene Schwangerschaft und erzwungene Sterilisation—als Verbrechen gegen die Menschlichkeit und als Kriegsverbrechen anerkannte. Die Definition des Genozids im Römischen Statut orientiert sich weitgehend an der Genozid-Konvention von 1948 und führt sexualisierte Gewalt nicht ausdrücklich als Handlung des Genozids auf. Dennoch erkennt der IStGH in den „Elementen der Straftaten“ an, dass Vergewaltigung und andere schwere Formen sexualisierter Gewalt als Akte des Genozids verfolgt werden können, wenn sie im Rahmen einer gezielten Vernichtungsstrategie gegen eine bestimmte ethnische, religiöse oder nationale Gruppe verübt werden (De Brouwer 2015, 642).
Darüber hinaus stellen die Resolution 1820 (2008) und die Resolution 2331 (2016) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen entscheidende Schritte in der Anerkennung und Bekämpfung der Nutzung sexualisierter Gewalt als Taktik des Krieges und Terrors dar. Die am 19. Juni 2008 verabschiedete Resolution 1820 markierte einen bahnbrechenden Moment in der internationalen Politik, indem sie sexualisierte Gewalt explizit als strategische Methode der Kriegsführung verurteilte und deren verheerende Auswirkungen auf Individuen und Gesellschaften anerkannte. Die Resolution stellt fest, dass sexualisierte Gewalt in Konflikten nicht nur eine Verletzung der Menschenrechte, sondern auch ein erhebliches Hindernis für den Friedensaufbau darstellt, Konflikte verlängert und Gemeinschaften destabilisiert. Wichtig ist, dass Resolution 1820 bekräftigt, dass solche Gewalttaten strafrechtlich verfolgt werden können und die Täter, unabhängig von Rang oder Position, zur Rechenschaft gezogen werden sollen. Durch die formelle Anerkennung sexualisierter Gewalt als Friedenshindernis unterstrich der Sicherheitsrat die Notwendigkeit präventiver Maßnahmen und rechtlicher Mechanismen, um solche Gewalt in bewaffneten Konflikten zu bekämpfen und abzuschrecken. Die Resolution 2331 (2016) erweitert die Resolution 1820 und geht auf die zunehmend komplexen Verbindungen zwischen sexualisierter Gewalt, Menschenhandel, Terrorismus und transnationaler organisierter Kriminalität ein. Sie erkennt an, dass terroristische und extremistische Gruppen häufig sexualisierte Gewalt und Menschenhandel als Mittel zur Terrorisierung einsetzen. Infolgedessen fordert die Resolution, dass Überlebende von sexualisierter Gewalt und Menschenhandel, die von Terrororganisationen orchestriert werden, offiziell als Opfer von Terrorismus anerkannt werden (United Nations 2024).

3. Die Komplexität sexualisierter Gewalt 

3.1 Dynamiken und Funktionen

Sexualisierte Gewalt im Zusammenhang mit Konflikten tritt sowohl auf dem Höhepunkt von Auseinandersetzungen als auch während der Vertreibung von Bevölkerungsgruppen auf und setzt sich häufig nach dem Ende eines Konflikts fort. Sie geschieht in verschiedenen Kontexten wie in Wohnungen, auf Feldern, und in militärischen Einrichtungen. Opfer werden häufig bei der Verrichtung alltäglicher Tätigkeiten wie der Beschaffung von Nahrung und Wasser angegriffen. Zudem findet sexualisierte Gewalt in und um Flüchtlings- und Binnenvertriebenenlager sowie in Haftanstalten statt, wo Frauen und Männer Vergewaltigungen, sexuellen Verstümmelungen, Erniedrigungen und Folter ausgesetzt sind. Die Täter:innen solcher Gewalt umfassen Mitglieder staatlicher Streit- und Sicherheitskräfte, paramilitärische Gruppen, nichtstaatliche bewaffnete Akteure, Zivilist:innen – darunter auch Geflüchtete und Vertriebene – sowie humanitäres und Friedenssicherungspersonal. Die Anwesenheit internationaler humanitärer und Friedenssicherungskräfte kann zu einem Anstieg von Prostitution führen, um eine vermeintliche oder tatsächliche Nachfrage nach sexuellen Dienstleistungen zu decken, was wiederum Frauen und Kinder anfällig für Menschenhandel und sexuelle Ausbeutung macht (Bastick, Grimm und Kunz 2007, 13-14). Studien zeigen, dass staatliche Akteure häufiger als Täter sexualisierter Gewalt gemeldet werden als Rebellengruppen (Nordås und Cohen 2021, 205). Beispielsweise war der Staat in den Bürgerkriegen in Peru und El Salvador für die überwiegende Mehrheit der sexuellen Gewalt verantwortlich. Einige Forscher:innen argumentieren, dass mangelnde Kontrolle und Disziplin der Sicherheitskräfte der Hauptgrund für diese Gewalt seien. Andererseits wird auch die Ansicht vertreten, dass sexualisierte Gewalt in vielen Fällen Teil einer bewussten repressiven Strategie von Staaten ist, die mit politischen Zielen und der Koordination durch die Führungsebene verbunden ist. Belege aus verschiedenen Konflikten zeigen, dass ein Großteil der sexuellen Gewalt durch staatliche Akteure in Haftanstalten verübt wurde. Dies wirft Zweifel auf die Behauptung, dass staatliche Führungen nichts von diesen Taten wussten oder sie nicht hätten verhindern können. (Nordås und Cohen 2021, 205). 

Neben strategischen Motiven gibt es auch Argumente zu Gelegenheitsstrukturen sowie sexualisierter Gewalt als Praxis. Während frühere Studien sexualisierte Gewalt häufig als opportunistisch betrachteten – angetrieben von individuellen Motiven, begünstigt durch fehlende Organisationsstrukturen oder ein Zusammenbrechen der Rechtsordnung –, argumentieren aktuellere Studien, dass sexualisierte Gewalt im Krieg als Waffe oder Instrument gezielt eingesetzt wird. So kann sie in einigen Konflikten strategisch genutzt werden, um militärische Ziele zu erreichen, wie etwa Angst in der Zivilbevölkerung zu schüren, Kollaboration zu erzwingen, die Moral des Feindes zu brechen, Bevölkerungen aus umkämpften Gebieten zu vertreiben, als Belohnung oder Kompensation für Kämpfer:innen oder als sogenannte „Kriegsbeute“ (Bastick, Grimm und Kunz 2007, 14; Nordås und Cohen 2021, 199). Wenn sexualisierte Gewalt gegen Frauen und Mädchen verübt wird, zielt sie oft darauf ab, ihre Familien und Gemeinschaften zu demütigen, da Frauen und Mädchen als “Verkörperungen der Ehre“ angesehen werden, während Männer beschämt werden, weil sie “ihre” Frauen nicht schützen konnten. Besonders zerstörerisch ist dies, wenn bewaffnete Gruppen öffentliche Vergewaltigungen durchführen, Familienmitglieder zwingen, sexualisierter Gewalt gegeneinander beizuwohnen, oder Menschen zwingen, sexualisierte Gewalt gegen ihre eigenen Angehörigen auszuüben, wodurch soziale Kohäsion und Vertrauen zerbrechen. In einigen Konflikten war sexualisierte Gewalt Teil eines Genozids oder eines versuchten Genozids, mit der Absicht, eine bestimmte ethnische Gruppe zu zerstören (Bastick, Grimm und Kunz 2007, 14). Dies wird im weiteren Verlauf im Kontext des Völkermords in Ruanda näher ausgeführt.

Das Framing sexualisierter Gewalt als Kriegswaffe war ein erfolgreicher Ansatz von Aktivist:innen, da es dieses Thema zu einer zentralen sicherheitspolitischen Frage und politischen Priorität machte. Allerdings wird dieser Ansatz teilweise als vereinfachend kritisiert, da er zugrunde liegende sozio-kulturelle, politische, rechtliche und sozioökonomische Faktoren außer Acht lassen könnte (Alexandre und Mutondo 2022, 150). In diesem Zusammenhang kann sexualisierte Gewalt auch als Praxis verstanden werden, die nicht durch direkte Befehle oder bewusste militärische Strategien entsteht, sondern durch toleriertes oder unbestraftes Verhalten. Wenn Kommandant:innen dies zulassen, kann sexualisierte Gewalt  durch soziale Dynamiken zwischen Gleichgestellten und persönliche Neigungen der Kämpfer eskalieren. Hohe Raten sexualisierter Gewalt spiegeln daher nicht unbedingt strategische Absichten wider, sondern können unabhängig von formellen Anweisungen auftreten. Die internen Dynamiken von Gruppen spielen eine zentrale Rolle in der Ausprägung sexualisierter Gewalt. In Sierra Leone führte beispielsweise eine schwache Gruppenkoalition aufgrund von Zwangsrekrutierungen dazu, dass sexualisierte Gewalt als Mittel zur Kohäsion verwendet wurde. Im Gegensatz dazu institutionalisierte die Rebellenarmee in Uganda Zwangsehen innerhalb der Gruppe, während sie unregulierte sexualisierte Gewalt streng verbot, um Hierarchien durchzusetzen. Auch Ideologien beeinflussen das Vorkommen sexualisierter Gewalt. Linke Gruppierungen etwa vermeiden sexualisierte Gewalt, da diese ihren Idealen wie der Geschlechtergleichheit widerspricht. Gruppen, die keine sexualisierte Gewalt ausüben, könnten zudem einen Vorteil bei der Rekrutierung von Frauen haben, da ihr Ruf mit inklusiven Werten übereinstimmt (Nordås und Cohen 2021, 201; Alexandre und Mutondo 2022, 159). 

Sexualisierte Gewalt  in Konflikten spiegelt häufig gesellschaftliche Einstellungen gegenüber Frauen in Friedenszeiten wider – in größerem Umfang, höherer Intensität und gesteigerter Sichtbarkeit. Sowohl in Friedens- als auch in Kriegszeiten werden Vergewaltigungen durch das Bedürfnis nach Dominanz, Demütigung, Kontrolle oder sexueller Befriedigung gerechtfertigt. Dies verdeutlicht, dass sexualisierte Gewalt in Konflikten in einem komplexen Geflecht kultureller Vorurteile, insbesondere in Bezug auf Geschlechterrollen, verwurzelt ist (Alexandre und Mutondo 2022, 149). 

3.2 Patriarchale Strukturen 

Gewalt gegen Frauen kann nicht unabhängig von der patriarchalen Gesellschaftsordnung verstanden werden, die auf männlicher Vorherrschaft durch Dominanz und der Abwertung anderer Erfahrungen basiert. Das Patriarchat konzentriert Macht in öffentlichen und privaten Sphären bei Männern und erzwingt eine binäre Geschlechterordnung, die Identitäten wie Transgender und Intersexuelle ausschließt. Machtstrukturen bevorzugen Männer gegenüber Frauen und überschneiden sich mit anderen Formen der Unterdrückung, darunter Rassismus, religiöse Dominanz und ethnische Diskriminierung. Geschlecht und Ethnizität wirken oft zusammen, um die Anfälligkeit für sexualisierte Gewalt zu bestimmen (Ayiera und Ayiera 2010, 13). In vielen Kontexten sind marginalisierte Gruppen wie indigene Bevölkerungen oder bestimmte ethnische Gemeinschaften aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit Ziel sexualisierter Gewalt. Bestimmte Gruppen, darunter alleinstehende Frauen, LGBTQ+-Personen, weibliche Haushaltsvorstände sowie vertriebene Frauen und Kinder, sind während bewaffneter Konflikte besonders gefährdet (Bastick, Grimm und Kunz 2007, 14). Obwohl öffentlich verurteilt, wird sexualisierte Gewalt oft als Ausdruck von Männlichkeit und Dominanz über Weiblichkeit toleriert. Daher wird argumentiert, dass Vergewaltigung in Konflikten kein neues Phänomen darstellt, sondern eine Intensivierung bestehender geschlechtsspezifischer Ungleichheiten, die gesellschaftliche Normen widerspiegeln und verstärken anstatt neue zu schaffen. Politische Instabilität und Unsicherheit in Konflikten schaffen Bedingungen für großflächige sexualisierte Gewalt, da Rechtsstaatlichkeit fehlt und ethnische, religiöse oder ideologische Konflikte eskalieren (Alexandre und Mutondo 2022, 150). Ob es sinnvoll ist, sexualisierte Gewalt in Konflikten als Fortsetzung von Friedenszeit-Verletzungen zu betrachten, bleibt unter Wissenschaftler:innen umstritten. Zwar ist die Wahl, Vergewaltigungen und andere Formen sexualisierter Gewalt zu begehen, unbestreitbar geschlechtsbezogen und in strukturellen Ungleichheiten wie dem Patriarchat verwurzelt, jedoch kann das Patriarchat allein die Variationen bei Auftreten, Zeit, Ort, Tätern und Opfern nicht vollständig erklären (Nordås und Cohen 2021, 199).

3.3 Sexualisierte Gewalt als Form des Genozids

Genozidale Vergewaltigung kann als systematisch organisierte militärische Taktik des Terrors und als Teil eines umfassenderen Genozid-Ereignisses definiert werden. Primäre Motive für Massenvergewaltigungen sind erstens das Schüren von Angst in einer unterworfenen Bevölkerung, da die Angst vor Vergewaltigung eine häufige Emotion von Frauen in oder nahe an Kriegsgebieten ist. Genozidale Vergewaltigung nutzt dies aus, indem sie die bereits vorhandenen Belastungen und Ängste der Zivilbevölkerung verstärkt und dadurch weit verbreitete Übergriffe zu einer Terrortaktik erhebt. Zweitens wird die Demütigung der Bevölkerung, insbesondere der männlichen Gemeinschaft, sowie die Herabwürdigung von Frauen als Taktik eingesetzt, um Gemeinschaften zu zerstören. Drittens zielt die Erzeugung einer Kohorte von Kindern mit gemischter ethnischer Herkunft darauf ab, Demütigung und Dominanz langfristig aufrechtzuerhalten (Nharaunda-Makawa und Kurebwa 2021, 72).

Diese Merkmale genozidaler Vergewaltigung werden besonders deutlich bei der Betrachtung des Genozids in Ruanda 1994, bei dem Frauen in großem Ausmaß sexualisierter Gewalt ausgesetzt waren und „Vergewaltigung die Regel war und ihre Abwesenheit die Ausnahme“ (Nowrojee 1996, 1; Nharaunda-Makawa und Kurebwa 2021, 73). Während des ruandischen Genozids wurde sexualisierte Gewalt, insbesondere gegen Tutsi-Frauen und -Mädchen, gut organisiert und von administrativen, militärischen und politischen Führern als Mittel gefördert, die ethnische Tutsi-Bevölkerung zu demütigen und zu vernichten. Die sexualisierte Gewalt während des ruandischen Genozids war allgegenwärtig und nahm Formen wie Vergewaltigung, sexuelle Versklavung, genitale Verstümmelung und erzwungenen Inzest an. Schätzungsweise 250.000 bis 500.000 Frauen wurden vergewaltigt, oft öffentlich und unter erniedrigenden Umständen. Frauen wurden Gruppenvergewaltigungen, Verstümmelungen mit Waffen und Folter unterzogen, manchmal vor Familienmitgliedern, die zur Teilnahme gezwungen wurden. Viele Opfer wurden unmittelbar nach dem Übergriff getötet, andere erhielten weder medizinische Versorgung noch Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen. Diese Taten standen in engem Zusammenhang mit den umfassenderen Mustern von Folter, Plünderungen und Tötungen während des Genozids (Nowrojee 1996, 1; Nharaunda-Makawa und Kurebwa 2021, 71–74). Die sexualisierte Gewalt richtete sich hauptsächlich gegen Tutsi-Frauen aufgrund ihres Geschlechts und ihrer ethnischen Zugehörigkeit, angeheizt durch Propaganda, die Tutsi-Frauen als Bedrohung für die Hutu-Gesellschaft sexualisierte. Einige Hutu-Frauen wurden ebenfalls aufgrund politischer Zugehörigkeiten oder Beziehungen zu Tutsi-Männern Opfer sexualisierter Gewalt. Überlebende sahen sich sozialer Stigmatisierung, Isolation und Ablehnung durch ihre Gemeinschaften ausgesetzt, und Kinder, die durch Vergewaltigung geboren wurden, wurden marginalisiert. Diese Gewalt hinterlässt bleibende körperliche, psychologische und gesellschaftliche Traumata, die Überlebende und Gemeinschaften über Generationen hinweg prägen (Nowrojee 1996, 2; Nharaunda-Makawa und Kurebwa 2021, 76).

4. Transitional Justice

Das Recht auf Gerechtigkeit für Opfer von Gewalt und Menschenrechtsverletzungen ist im internationalen Recht umfassend bestätigt und weiterentwickelt worden. Der Justizsektor trägt die Verantwortung, Rechenschaftspflicht für begangene Verbrechen sicherzustellen und den langfristigen Prozess des Wiederaufbaus von Gemeinschaften zu unterstützen. Dennoch sehen sich Überlebende konfliktbezogener sexualisierter Gewalt mit erheblichen ökonomischen und soziokulturellen Hindernissen beim Zugang zur Justiz konfrontiert. In der Regel richtet die Gesellschaft erst nach einem Konflikt ihren Fokus auf Verantwortung und Gerechtigkeit (Bastick, Grimm und Kunz 2007, 155). Der Begriff “Transitional Justice“ bezieht sich auf eine Reihe von Ansätzen, die Gesellschaften verfolgen, um das Erbe weit verbreiteter oder systematischer Menschenrechtsverletzungen zu bewältigen, während sie sich von einer Zeit gewaltsamer Konflikte oder Unterdrückung hin zu Frieden, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Achtung der individuellen und kollektiven Rechte bewegen. Dabei werden zwei Hauptziele verfolgt: Erstens die Förderung von Versöhnung zwischen den Konfliktparteien und der betroffenen Bevölkerung, indem Rechenschaft übernommen und begangenes Unrecht anerkannt wird. Zweitens die Abschreckung vor einem Wiederaufflammen des Konflikts und damit Gewährleistung eines nachhaltigen Friedens (Bastick, Grimm und Kunz 2007, 156).

4.1. Der Internationale Strafgerichtshof und Ad-hoc-Tribunale

Wie bereits erwähnt, spielt der IStGH eine zentrale Rolle im Kampf gegen Straflosigkeit bei geschlechtsspezifischen Verbrechen. Artikel 54 des Römischen Statuts verpflichtet die Anklagebehörde, bei ihren Ermittlungen und Anklagen den Fokus auf sexualisierte Gewalt, geschlechtsspezifische Gewalt und Gewalt gegen Kinder zu legen. Zehn Leitprinzipien steuern die Arbeit des IStGH bei geschlechtsspezifischen Verbrechen, darunter ein opferzentrierter Ansatz, die Überwindung von Mythen und Stereotypen sowie die Umsetzung, Überwachung und Bewertung von Richtlinien (ICC 2023, 1-4). Das Römische Statut fordert die Einrichtung einer Opfer- und Zeugeneinheit mit Fachpersonal für Traumata infolge sexualisierter Gewalt. Der Schutz von Opfern umfasst Maßnahmen wie geschlossene Anhörungen, um deren Sicherheit, Würde, Privatsphäre und psychisches Wohlbefinden zu gewährleisten. Die Verfahrensregeln verhindern Belästigung und Einschüchterung bei der Befragung in Fällen sexualisierter Gewalt (Bastick, Grimm und Kunz 2007, 155-157). Der IStGH sieht dies als universelles Modell, das nationale Akteure, Untersuchungsorgane, Opfergruppen und zivilgesellschaftliche Organisationen einbezieht, um Gerechtigkeit für Überlebende zu gewährleisten (ICC 2023, 1-4).

Internationale Straftribunale wie das Tribunal für das ehemalige Jugoslawien (ICTY) und das Ruanda-Tribunal (ICTR) haben Pionierarbeit geleistet, indem sie erstmals Vergewaltigung und andere Formen sexualisierter Gewalt als Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Genozid verurteilten (Bastick, Grimm und Kunz 2007, 156). Trotz ihrer Errungenschaften wurden diese Tribunale auch kritisiert, insbesondere das ICTR, das Zeugen und Opfer unzureichend schützte. Einige Zeugen wurden bedroht oder getötet, andere waren schlecht auf ihre Aussagen vorbereitet und erlitten durch aggressive Kreuzverhöre Reviktimisierung und Demütigung. Soziale Folgen für Überlebende, die aussagten, umfassten Stigmatisierung, Verlassenwerden durch Ehepartner oder den Ausschluss aus ihren Gemeinschaften. Da internationale Gerichte nur wenige hochrangige Fälle verfolgen können und nationale Behörden oft aufgrund mangelnder Kapazitäten oder politischen Willens scheitern, wurden hybride Gerichte eingeführt. Diese Gerichte, wie beispielsweise in Kambodscha, Sierra Leone und Osttimor, sind in nationale Rechtssysteme eingebettet, werden jedoch von der internationalen Gemeinschaft unterstützt. Der Sondergerichtshof für Sierra Leone implementierte Maßnahmen, um die Erfahrung und den Schutz von Opfern und Zeugen während der Verfahren zu verbessern (Bastick, Grimm und Kunz 2007, 156).

4.2. Nationale Gerichte

Staaten sind völkerrechtlich verpflichtet, sexualisierte Gewalt zu verfolgen. Nationale Gesetze müssen daher internationalen Standards entsprechen und geschlechtsneutrale Definitionen von geschlechtsspezifischer Gewalt umfassen. Angesichts der Herausforderungen internationaler Gerichte liegt ein zunehmender Fokus auf der Stärkung der nationalen Ermittlungs- und Strafverfolgungskapazitäten. Beispiele sind spezialisierte Kammern oder Gerichte in Uganda und der Demokratischen Republik Kongo (DRK). Initiativen wie die Internationale Strafkammer des Obersten Gerichtshofs in Uganda und die mobilen Gerichte der DRK, die in abgelegene Gebiete reisen, um Fälle sexualisierter Gewalt zu verhandeln, zeigen innovative Ansätze zur Überwindung von Zugangshürden. Spezialisierte Kammern innerhalb kongolesischer Militärgerichte ergänzen diese Bemühungen (OHCHR 2014, 1-2). Dennoch bestehen weiterhin erhebliche Herausforderungen, darunter begrenzte Ressourcen, Stigmatisierung und die Notwendigkeit fortlaufender internationaler Unterstützung zur Stärkung nationaler Kapazitäten für Ermittlungen und Strafverfolgung. Nationale Gerichte scheitern häufig daran, internationalen Standards gerecht zu werden, insbesondere aufgrund zusammengebrochener Justizsysteme in Konfliktgebieten, mangelnder Infrastruktur und Expertise sowie geschlechtsunsensibler Verfahren, die Überlebende erneut viktimisieren. Hinzu kommt die Zurückhaltung, staatliche Akteure zur Verantwortung zu ziehen oder den Friedensprozess zu gefährden (Bastick, Grimm und Kunz 2007, 163-165).

4.3. Wahrheits- und Versöhnungskommissionen

Wahrheits- und Versöhnungskommissionen (Truth and Reconciliation Commissions, TRCs) werden nach Konflikten in Gesellschaften eingerichtet, um Menschenrechtsverletzungen aufzuarbeiten und Verantwortung zu übernehmen, wobei der Fokus auf weniger formellen Prozessen als in der Strafjustiz liegt. Sie bieten eine Plattform, um die Vergangenheit zu verstehen, das Leid der Opfer anzuerkennen und zur Heilung und Versöhnung beizutragen, ohne auf strafrechtliche Verfahren angewiesen zu sein. TRCs empfehlen zudem Entschädigungsprogramme und institutionelle Reformen (OSCE 2020, 5). Seit 1974 wurden über 25 TRCs weltweit etabliert, darunter in Argentinien, Südafrika, Sierra Leone und Osttimor. Sie führen Anhörungen von Opfern, Zeugen und Tätern durch und erstellen Berichte, die strafrechtliche Verfolgungen unterstützen können (Bastick, Grimm und Kunz 2007, 157). Frühere TRCs vernachlässigten oft geschlechterspezifische Bedürfnisse der Opfer. Sexualisierte Gewalt wurde häufig unterberichtet oder ignoriert, wie in El Salvador und Guatemala. Jüngere TRCs, etwa in Südafrika, Peru, Sierra Leone und Marokko, haben jedoch verstärkt gendersensible Ansätze integriert. Diese umfassen thematische Anhörungen, die sich auf die Zeugenaussagen von Frauen konzentrieren, spezielle Forschungsteams zu den Erfahrungen von Frauen und die Integration von Genderaspekten in alle Berichte. Wesentliche Elemente geschlechtergerechter Gerechtigkeit umfassen die explizite Anerkennung sexualisierter Gewalt, inklusive Definitionen, eine geschlechterausgewogene Besetzung des Personals, Gender-Schulungen sowie koordinierte Unterstützung für Opfer während ihrer Aussagen. Trotz Fortschritten bleiben Herausforderungen, etwa das Risiko von Gewalt oder Stigmatisierung bei öffentlichen Aussagen, die Manipulation von Opferberichten durch Medien oder Politik sowie die Entscheidung einiger Opfer, aus persönlichen oder psychologischen Gründen zu schweigen. Dennoch haben öffentliche und thematische Anhörungen die Schwere sexualisierter Gewalt sichtbar gemacht und damit allen Opfern, auch jenen ohne Aussage, geholfen, indem ihre Erfahrungen verstärkt und die Verantwortlichkeit gefördert wurden (Bastick, Grimm und Kunz 2007, 157-158).

4.4. Entschädigungsprogramme

Internationale Verpflichtungen, wie sie von der Generalversammlung der Vereinten Nationen und der Pekinger Erklärung formuliert wurden, fordern von Staaten, Überlebenden sexualisierter Gewalt gerechte und wirksame Rechtsmittel bereitzustellen. Zu diesen Rechtsmitteln zählen der Zugang zur Justiz, Entschädigungen, Wiedergutmachung, Restitution, Genugtuung, Rehabilitation und Garantien für die Nichtwiederholung solcher Verbrechen. Überlebende müssen vor dem Gesetz gleichbehandelt werden wie andere Opfer, und geschlechtsspezifische Maßnahmen sind notwendig, um ihre besonderen Bedürfnisse zu berücksichtigen (OHCHR 2014, 1-2). Entschädigungen können unterschiedliche Formen annehmen: Materielle Entschädigungen zielen darauf ab, wirtschaftliche Bedürfnisse zu decken, insbesondere bei Überlebenden, die Haushaltsvorstände sind oder Kinder großziehen, die aus Vergewaltigungen hervorgegangen sind. Symbolische Entschädigungen haben das Ziel, soziale Stigmatisierung und Marginalisierung zu bekämpfen. Ebenso müssen psychosoziale und medizinische Unterstützung ausdrücklich Teil der Entschädigungsprogramme sein. Solche Programme werden oft von Regierungen eingerichtet, manchmal auf Grundlage von Empfehlungen von Gerichten oder Wahrheits- und Versöhnungskommissionen. Der Entwurf und die Umsetzung dieser Programme müssen geschlechtssensibel sein. Dabei sollten Überlebende sowie Frauenorganisationen in allen Phasen aktiv einbezogen werden. Darüber hinaus sind Mechanismen erforderlich, die der sensiblen Natur dieser Verbrechen Rechnung tragen und sicherstellen, dass Überlebende Zugang zu Entschädigungen erhalten, ohne der Öffentlichkeit ausgesetzt zu sein. Dennoch gibt es erhebliche Herausforderungen: Viele Programme, wie diejenigen in Osttimor, Sierra Leone, Guatemala und Peru, haben geschlechtssensible Ansätze integriert, leiden jedoch oft unter einer schwachen oder unzureichenden Umsetzung. Um sicherzustellen, dass umfassende, überlebenszentrierte Entschädigungen gewährleistet werden, sind nicht nur solide rechtliche und institutionelle Rahmenbedingungen erforderlich, sondern auch ein nachhaltiges politisches und finanzielles Engagement (Bastick, Grimm und Kunz 2007, 162).

5. Aktuelle Beispiele

5.1. Sudan

Der Konflikt in Sudan brach im April 2023 aus, als die Sudanese Armed Forces (SAF) unter der Führung von General Abdel Fattah al-Burhan und die Rapid Support Forces (RSF), geleitet von Mohamed Hamdan Dagalo, aufeinandertrafen. Dieser Machtkampf hat seine Wurzeln in der tiefen Spaltung des Landes zwischen der arabisch-muslimischen Mehrheit im Norden und der christlich-animistischen Bevölkerung im Süden, die zwei Bürgerkriege auslöste. Nach der Abspaltung Südsudans im Jahr 2011 durchlief Sudan eine Phase politischer Instabilität, die 2019 in der Absetzung des Diktators Omar al-Bashir gipfelte, der für den Völkermord in Darfur verantwortlich war. Während SAF und RSF zunächst gemeinsam in einer Übergangsregierung regierten, führten Spannungen zwischen militärischer und ziviler Führung zum Zusammenbruch des demokratischen Übergangs (CFR 2024).

Die Gewalt eskalierte 2023, wobei SAF und RSF um Kontrolle kämpften. Bereits im ersten Monat starben über 600 Menschen. Mit der andauernden Gewalt verschlechterte sich die humanitäre Lage massiv: Millionen Menschen wurden vertrieben, und lebenswichtige Infrastrukturen wurden zerstört. Besonders die RSF wurde für Gräueltaten und ethnische Säuberungen verantwortlich gemacht, insbesondere in Darfur, wo im November 2023 über 800 Menschen getötet wurden. Die humanitäre Krise verschärfte sich weiter durch Krankheitsausbrüche, Nahrungsmittelknappheit und Angriffe auf Hilfsorganisationen (cfr 2024). Ein Bericht des Hochkommissariats der Vereinten Nationen für Menschenrechte (UN HRC 2024) dokumentiert weit verbreitete sexualisierte und geschlechtsspezifische Gewalt, die hauptsächlich von der RSF und verbündeten Milizen wie den Janjaweed während des andauernden Konflikts verübt wurde. Diese Verbrechen stellen schwerwiegende Verstöße gegen internationales humanitäres Recht und Menschenrechtsnormen dar und werden häufig als Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit eingestuft. Zu den dokumentierten Verbrechen gehören Vergewaltigungen, Gruppenvergewaltigungen, erzwungene Nacktheit und Schläge gegen die Genitalien während Angriffen, Vertreibungen oder Inhaftierungen. Außerdem wurden Entführungen zur sexuellen Ausbeutung aus Gebieten, die von der RSF kontrolliert werden gemeldet. Einige Opfer wurden monatelang unter unmenschlichen Bedingungen festgehalten, wiederholt angegriffen und in sexuelle Sklaverei gezwungen. Die Gewalt wird durch Faktoren wie Ethnizität, Geschlecht und wahrgenommene politische oder familiäre Zugehörigkeiten verschärft. Ethnische Beleidigungen und gezielte Angriffe auf Minderheiten, insbesondere die Masalit-Gemeinschaft in West-Darfur, sind häufig dokumentiert. Aktivistinnen, Journalistinnen und medizinische Fachkräfte wurden gezielt angegriffen, weil sie Missbräuche dokumentierten oder vermeintliche Verbindungen zu gegnerischen Gruppen hatten (UN HRC 2024, 40–53).

Kulturelle Stigmata, rechtliche Hürden und der Zusammenbruch des Gesundheits- und Justizsystems in Sudan erschweren es Überlebenden massiv, Fälle zu melden oder Unterstützung zu suchen. Gesundheitseinrichtungen wurden besetzt, angegriffen oder geplündert, während die meisten medizinischen Fachkräfte evakuiert oder geflohen sind, wodurch Überlebenden nur begrenzte Versorgung zur Verfügung steht. Medizinische Hilfsmittel, insbesondere für die Versorgung nach Vergewaltigungen, sind stark eingeschränkt verfügbar. Viele Überlebende, die infolge der Vergewaltigungen schwanger wurden, haben keinen Zugang zu sicheren und legalen Abtreibungen, da prozedurale, rechtliche und systemische Barrieren bestehen. Infolgedessen greifen viele auf unsichere Abtreibungsmethoden zurück. Darüber hinaus leiden Überlebende häufig an chronischen Schmerzen, gynäkologischen oder Harnwegsinfektionen sowie anderen schweren Verletzungen, die manchmal durch die weit verbreitete Praxis der weiblichen Genitalverstümmelung verschärft werden. Neben den körperlichen Folgen erleiden die Betroffenen oft schwerwiegende psychologische Traumata, einschließlich Depressionen und Suizidgedanken, die durch Stigmatisierung und gesellschaftliche Ausgrenzung noch verstärkt werden. Unverheiratete schwangere Frauen werden häufig von ihren Familien und Gemeinschaften ausgestoßen, während Kinder, die aus Vergewaltigungen geboren wurden, mit Verlassenwerden, Kindestötung und sozialer Diskriminierung konfrontiert werden, was zu intergenerationalen Traumata beiträgt (UN HRC 2024, 40–53).

Geschlechtsspezifische Gewalt in Sudan ist sowohl in Friedens- als auch in Kriegszeiten weit verbreitet. Diese Gewalt resultiert aus tief verwurzelten patriarchalen Normen, einem Mangel an effektiven rechtlichen Schutzmechanismen, wirtschaftlicher Not, anhaltender Unsicherheit und einer schwachen Rechtsdurchsetzung. Häufige Formen der geschlechtsspezifischen Gewalt umfassen häusliche Gewalt, soziale Gewalt (z. B. Ausgrenzung, öffentliche Demütigung) und schädliche Traditionen wie Frühverheiratung und weibliche Genitalverstümmelung. Familienehre und gesellschaftliche Ungleichheiten verstärken diese Praktiken zusätzlich (Care 2023). Sexualisierte Gewalt  wurde auch in früheren Konflikten als Waffe eingesetzt, insbesondere während der Darfur-Krise (2003) und unter Omar al-Bashirs Regime. Hochkarätige Fälle wie die Massenvergewaltigung in Tabit 2014, bei der über 200 Opfer gezählt wurden, wurden von den Behörden ignoriert, ohne dass Untersuchungen stattfanden (Nihar 2024). Dies unterstreicht die These, dass sexualisierte Gewalt in Konflikten eine Intensivierung vorbestehender geschlechtsspezifischer Ungleichheiten darstellt, die gesellschaftliche Normen widerspiegeln und verstärken, anstatt neue zu schaffen. Die politische Instabilität und Unsicherheit in Sudan schafft die Voraussetzungen für großflächige sexualisierte Gewalt, da die Rechtsstaatlichkeit fehlt.

5.2. Ukraine

Sexualisierte Gewalt im Ukraine-Konflikt wird von russischen Streitkräften als Taktik eingesetzt, die sowohl Frauen als auch Männer betrifft. Diese Gewalt, einschließlich Vergewaltigung, sexueller Folter, und öffentlicher Übergriffe, zielt darauf ab, die Bevölkerung zu terrorisieren, zu demütigen und zu demoralisieren, soziale Strukturen zu destabilisieren und Widerstand gegen die Besatzung zu bestrafen. Solche Gewalt ereignet sich häufig in den Wohnungen der Opfer, in Haftanstalten, an Kontrollpunkten und in Filtrationslagern. Die Opfer sind Frauen, Männer, Kinder und ältere Menschen, oft auch in Anwesenheit von Familienangehörigen (Heinrich Böll Stiftung 2023). Historisch wurde sexualisierte Gewalt bereits 2014 im Donbas und auf der Krim dokumentiert, und das Ausmaß dieser Verbrechen hat sich seit dem Beginn des Krieges nur noch vergrößert. Die Vereinten Nationen und verschiedene Menschenrechtsorganisationen berichten von einem deutlichen Anstieg der Fälle, mit 124 dokumentierten Fällen im Juni 2022 und 316 im Januar 2023, davon 202 weibliche und 114 männliche Opfer. Experten des UNFPA warnen jedoch davor, dass diese Zahlen vermutlich stark unterrepräsentiert sind. Auf jede gemeldete Straftat kommen laut Schätzungen zwischen 10 und 20 nicht gemeldete Fälle, die aufgrund von Angst, Stigmatisierung und mangelndem Vertrauen in das Rechtssystem nicht zur Anzeige gebracht werden. Während sexualisierte Gewalt historisch meist mit Frauen in Verbindung gebracht wird, sehen sich männliche Opfer, besonders in Haftanstalten, mit noch höheren Hürden konfrontiert, Unterstützung zu suchen. Dies wird durch die kulturelle Stigmatisierung von männlicher Opferrolle in patriarchalischen Gesellschaften wie der ukrainischen weiter verstärkt (UNFPA 2024). Russische Streitkräfte haben zunehmend Männer und Jungen ins Visier genommen, um sie mit sexualisierter Gewalt zu bestrafen, was Teil einer umfassenderen Strategie der Demütigung und Kontrolle ist. Die Vereinten Nationen haben Fälle dokumentiert, in denen sexualisierte Gewalt in Haftanstalten routinemäßig als Foltermethode verwendet wird, um die Bevölkerung zu demoralisieren. In einem besonders auffälligen Fall wurde ein ukrainischer Mann in russischer Gefangenschaft brutal vergewaltigt. Der Übergriff wurde gefilmt und an seine Kontakte weitergeleitet, was der physischen Gewalt eine zusätzliche psychologische Dimension gab. Diese Nutzung digitaler Gewalt, um das Leid der Opfer und ihrer Familien zu verstärken, hat sich zu einem beunruhigenden Trend entwickelt, da intime, gewalttätige Aufnahmen online verbreitet werden und so das Trauma verstärken (UNFPA 2024).

Berichte aus Regionen wie Luhansk, Mariupol und Bucha haben gezeigt, dass auch Kinder häufig Opfer sexualisierter Gewalt werden, einschließlich Gruppenvergewaltigungen, was langfristige psychische Schäden zur Folge hat (Heinrich Böll Stiftung 2023). Die psychologischen Auswirkungen für die Überlebenden sind tiefgreifend und führen zu Traumata, Isolation und Stigmatisierung. Opfer in besetzten Gebieten und Konfliktzonen werden oft nicht mit der notwendigen medizinischen oder psychologischen Unterstützung versorgt (Amnesty 2022). Darüber hinaus verschärfen restriktive Abtreibungsgesetze und der erschwerte Zugang zu reproduktiven Gesundheitsdiensten für Vergewaltigungsopfer in Ländern wie Polen, das eine wichtige Zuflucht für ukrainische Flüchtlinge darstellt, das Trauma zusätzlich (Heinrich Böll Stiftung 2023).

Der Krieg hat strategische Auswirkungen auf die ukrainische Gesellschaft, da sexualisierte Gewalt eingesetzt wird, um die nationale Identität zu untergraben und die Moral der Bevölkerung zu zerstören (Amnesty 2022). Die UN-Sonderbeauftragte für sexualisierte Gewalt in Konflikten zitierte Zeugenaussagen ukrainischer Frauen, die berichteten, dass russische Soldaten mit Viagra ausgestattet gewesen seien, was auf einen vorsätzlichen Einsatz sexualisierter Gewalt hindeutet. Diese Normalisierung sexualisierter Gewalt innerhalb der russischen Armee ist Teil einer breiteren Strategie des Terrors, die darauf abzielt, den Willen des ukrainischen Volkes zu brechen und das Land zu destabilisieren (Al Oraimi und Antwi-Boateng 2023, 10).

6. Fazit 

Diese Abhandlung untersuchte die Prävalenz und die Auswirkungen sexueller Gewalt in Konflikten und betont deren Zusammenhang mit systemischen patriarchalischen Normen, schwachem rechtlichen Schutz und sozioökonomischer Anfälligkeit. Es wurden die Fortschritte von Transitional Justice Mechanismen wie Tribunalen und Wahrheitskommissionen beschrieben, die Täter zur Verantwortung ziehen und auf die Bedürfnisse der Überlebenden eingehen. Eine kritische Einschränkung dieser Abhandlung ist jedoch die Fokussierung auf Reaktionen nach Konflikten und die Vernachlässigung präventiver Maßnahmen zur Bekämpfung struktureller Ursachen sexueller Gewalt. Daher sollten künftige Forschungsarbeiten die Wirksamkeit präventiver Maßnahmen untersuchen, wie beispielsweise Reformen, welche auf patriarchalische Normen, ökonomische Defizite sowie die Implementierung von Gesetzen zum Schutze vor geschlechtsspezifischer Gewalt abzielen. Des Weiteren sollte die Forschung eruieren, inwiefern lokale kulturelle und soziale Kontexte in internationale Rahmenwerke für Gerechtigkeit und Versöhnung integrierbar sind.

Zudem muss die internationale Gemeinschaft die Staaten dabei unterstützen, rechtsstaatliche Institutionen zu stärken und forensische Kapazitäten aufzubauen. Des Weiteren ist es erforderlich, Ansätze bei denen die Überlebenden im Mittelpunkt stehen in sämtliche Justizmechanismen zu integrieren, um die Würde, die Privatsphäre sowie die langfristige Rehabilitation der Betroffenen zu gewährleisten. Die Intensivierung der Kooperation zwischen internationalen Organisationen und lokalen Gemeinschaften ist von essenzieller Bedeutung, um Transitional Justice und Präventionsstrategien effektiver und nachhaltiger zu gestalten.

7. Quellenverzeichnis

CARE. 2019. Gender Analysis in Sudan: Exploring Gender Dimensions of Humanitarian Action and Women’s Voice and Leadership in East Darfur, Gadarif, Kassala, South Darfur, and South Kordofan. CARE International.

Nihar, Samia. 2024. Sexual Violence in Sudan: From Denial to Recognition. Bergen: Chr. Michelsen Institute. Sudan Brief 2024.

Nordås, Ragnhild, and Dara Kay Cohen. 2021. „Conflict-Related Sexual Violence.“ Annual Review of Political Science 24: 193–211. https://doi.org/10.1146/annurev-polisci-041719-102620.

Ayiera, Eve, and Eva Ayiera. 2010. „Sexual Violence in Conflict: A Problematic International Discourse.“ Feminist Africa, no. 14: 7–20. https://www.jstor.org/stable/48725880.

Alexandre, Ali Bitenga, and Kitoka Moke Mutondo. 2022. „Behind the Weapon of War: Sexual Violence in Wartime as a Reflection of Social Attitudes Towards Women in Peacetime.“ Journal of Sexual Aggression 28 (2): 149–163. https://doi.org/10.1080/13552600.2021.1949500.

De Brouwer, Anne-Marie. 2015. „The Importance of Understanding Sexual Violence in Conflict for Investigation and Prosecution Purposes.“ Cornell International Law Journal 48 (3): 639–666.

Bastick, Megan, Karin Grimm, and Rahel Kunz. 2007. „Sexual Violence in Armed Conflict – Global Overview and Implications for the Security Sector.“ Geneva Centre for the Democratic Control of Armed Forces.

Nowrojee, Binaifer. 1996. „Shattered Lives: Sexual Violence During the Rwandan Genocide and Its Aftermath.“ In Shattered Lives, by Human Rights Watch/Africa and Fédération Internationale des Droits de l’Homme, 1–128. New York: Human Rights Watch.

Nharaunda-Makawa, Rejoice, and Jeffrey Kurebwa. 2021. „Sexual Violence Against Women During the Rwandan Genocide: A Narrative Review.“ International Journal of Peace and Development Studies 12 (2): 71–79.

United Nations Human Rights Council (UN HRC). 2021. Findings of the investigations conducted by the Independent International Fact-Finding Mission for the Sudan (A/HRC/57/CRP.6). https://www.ohchr.org/sites/default/files/documents/hrbodies/hrcouncil/sessions-regular/session57/A-HRC-57-CRP-6-en.pdf.

Heinrich Böll Stiftung. 2023. „Die stille Opfer des Krieges.“ June 19, 2023. https://www.boell.de/de/2023/06/19/stille-opfer-des-krieges.

Amnesty International. 2023. „Ukraine: Kriegsverbrechen und sexualisierte Gewalt durch russische Armee.“ Amnesty Journal. https://www.amnesty.de/informieren/amnesty-journal/ukraine-kriegsverbrechen-russische-armee-sexualisierte-gewalt-vergewaltigungen.

UNFPA. 2023. „Men in Detention Face Sexual Torture Amid War in Ukraine.“ UNFPA. https://www.unfpa.org/news/men-detention-face-sexual-torture-amid-war-ukraine.

Al Oraimi, Suaad, and Osman Antwi-Boateng. 2023. „Surviving Patriarchy: Ukrainian Women and the Russia-Ukraine War.“ Journal of International Women’s Studies 25 (6): Article 8. https://vc.bridgew.edu/jiws/vol25/iss6/8.

OSCE. 2023. „Report on the Situation of Human Rights in Ukraine.“ OSCE. https://www.osce.org/files/f/documents/1/9/524088.pdf.

nternational Criminal Court (ICC). 2023. Policy on Gender-Based Crimes: Crimes Involving Sexual, Reproductive and Other Gender-Based Violence. https://www.icc-cpi.int/sites/default/files/2023-12/2023-policy-gender-en-web.pdf.

Office of the High Commissioner for Human Rights (OHCHR). n.d. „Sexual and Gender-Based Violence.“ https://www.ohchr.org/sites/default/files/Documents/Issues/Women/WRGS/OnePagers/Sexual_and_gender-based_violence.pdf.

Bastick, Megan, Karin Grimm, and Rahel Kunz. 2007. „Sexual Violence in Armed Conflict: Global Overview and Implications for the Security Sector.“ Geneva Centre for the Democratic Control of Armed Forces.

Schreiben Sie einen Kommentar

Pflichtfelder sind mit * markiert.