Ein Beitrag von Viktoria Wülbers, Praktikantin bei der LIGA im Sommer 2025
Mit dem Erstarken der zionistischen Bewegung in Europa nach der Unterzeichnung der Balfour-Erklärung 1917, welche eine „nationale Heimstätte für das jüdische Volk“ (Kinet, 2017) auf palästinensischem Boden versprach, kamen hunderttausende Zionist*innen nach Palästina. Die starke Zuwanderung europäischer Jüd*innen führte dazu, dass bereits im Jahr 1936 etwa 370.000 Zionist*innen in Palästina lebten und die indigene palästinensische Bevölkerung immer weiter verdrängten. Nach dem Beschluss des UN-Teilungsplans im November 1947 wurden innerhalb eines halben Jahres etwa Zweidrittel der Palästinenser*innen vertrieben. Darüber hinaus wurden 531 palästinensische Dörfer zerstört und elf städtische Viertel ethnisch gesäubert. Die gewaltvolle Vertreibung der Palästinenser*innen, bekannt als die Nakba, das arabische Wort für Katastrophe, endete in der Übernahme von 78 Prozent der palästinensischen Gebiete durch Zionist*innen und schließlich in der Gründung des Staates Israel 1948. Die übrigen 22 Prozent der palästinischen Gebiete, darunter das Westjordanland und der Gazastreifen, werden seit 1967 von Israel illegal besetzt und immer weiter eingenommen, ganz zu schweigen von den aktuellen Ereignissen seit dem 7. Oktober 2023 in Gaza (vgl. Pappe, 2006, S. xiii; vgl. Sasa, 2023, S. 221).
Der andauernde Bau jüdischer Siedlungen auf palästinensischem Boden, vor allem im Westjordanland, ist nicht das einzige Mittel der israelischen Staatsgewalt palästinensische Gemeinschaften immer weiter zu verdrängen. Nach der Nakba hat die israelische Regierung zahlreiche Aufforstungsprojekte ins Leben gerufen, um im Namen des Naturschutzes palästinensisches Land weiter zu besetzen. Insbesondere der Jüdische Nationalfonds, auch bekannt als Keren Kayemeth Le’Yisrael, welcher sich selbst als eine Naturschutzorganisation und als Teil der weltweiten zionistischen Bewegung versteht, ist verantwortlich für die Pflanzung zahlreicher Wälder auf den Ruinen ehemaliger palästinensischer Dörfer. Die Aufforstungsprojekte des Jüdischen Nationalfonds, welche auf den ersten Blick als Naturschutzmaßnahmen zu verstehen sein könnten, dienen allerdings nicht erst seit der Staatsgründung Israels dazu, palästinensisches Land und seine Bevölkerung zu enteignen und die Rückkehr von Palästinenser*innen zu ihrem eigenen Land zu verhindern (vgl. Sasa, 2023, S. 220).
Der Jüdische Nationalfonds
Seit seiner Gründung im Jahr 1901, im Rahmen des fünften Zionistenkongresses in Basel, spielt der Jüdische Nationalfonds (JNF) eine wichtige Rolle in der Landenteignung und Vertreibung von Palästinenser*innen. Bereits vor der Gründung Israels bestand der Zweck des JNF darin, Grundstücke und Land in Palästina zu erwerben, um Jüd*innen das Ansiedeln auf palästinensischem Boden zu vereinfachen. Vor allem ist der Fonds für seine Kampagnen zur Anpflanzung neuer Wälder bekannt. Nach eigenen Angaben hat der JNF seit 1901 innerhalb eines Jahrhunderts mehr als 150 Wälder und insgesamt etwa 250 Millionen Bäume gepflanzt. Diese Bäume, die bis heute vom JNF auf den dem Erdboden gleichgemachten palästinensischen Dörfern und gewaltvoll zerstörten Olivenhainen gepflanzt werden, sind in erster Linie invasive Arten wie europäische Kiefern und Zypressen. Die Bepflanzung von palästinensischem Land mit nicht einheimischen Arten wurde vom JNF ganz bewusst gewählt, um das Land europäisch aussehen zu lassen und mit der Aussage, die Kiefern würden die aufstrebende Holzindustrie Israels voranbringen, gerechtfertigt (vgl. Berdugo, 2020; vgl. Pappe, 2006, S. 227). Unter dem Slogan „making the desert bloom“ wurden bereits vor 1948 große Teile der Negev Wüste, arabisch an-Naqab, mit nicht einheimischen Bäumen bepflanzt, um die palästinensischen Beduinen immer weiter zurückzudrängen. In den Augen der europäischen und zionistischen Siedler*innen war die Wüste, welche durch Palästinenser*innen über Generationen hinweg und lange bevor die Zionist*innen nach Palästina kamen, zu reichhaltigen Lebensräumen umgewandelt wurde, Ödland, welches es zu bepflanzen galt. Im Dezember 1940 schrieb Joseph Weitz, von 1932 bis 1948 Direktor der Abteilung für Land und Aufforstung des Jüdischen Nationalfonds, in seinem Tagebuch, dass nur durch die Vertreibung der Palästinenser*innen und durch die Zerstörung aller (Beduinen-) Dörfer die Möglichkeit bestehe, Millionen europäische Jüd*innen nach Palästina umzusiedeln. Nach der Staatsgründung Israels und nach der Nakba pflanzte der Jüdische Nationalfonds verstärkt Wälder, um die Ruinen der zerstörten palästinensischen Dörfer zu vertuschen und um die vertriebenen Palästinenser*innen daran zu hindern, zurück in ihre Dörfer zu kehren. Bis heute ist der JNF maßgeblich daran beteiligt, durch Aufforstungsprojekte und die Gründung von Nationalparks, laut eigenen Angaben im Namen des Naturschutzes, Palästina zu europäisieren und palästinensische Gemeinschaften zu verdrängen (vgl. Badarin, 2023; vgl. Sasa, 2023, S. 2020; vgl. The Institute for Middle East Understanding, 2020).
Naturreservate und Aufforstung in geschützten Gebieten
Heute besitzt der Jüdische Nationalfonds etwa 13 Prozent der Landmasse Israels und sorgt weiterhin für die systematische Diskriminierung der Palästinenser*innen. Dies geschieht in erster Linie durch die Erschaffung von sogenannten Schutzgebieten, welche als Naturreservate oder Nationalparks ausgewiesen werden. Durch die Schaffung dieser geschützten Gebiete und durch ihre Aufforstung mit Kiefern, Zypressen und weiteren sich schnell verbreitenden invasiven Baumarten ist es für Palästinenser*innen schwierig bis unmöglich, zu ihrem ursprünglichen Land, welches sie im Zuge der Nakba oder durch die illegalen Landbesetzungen Israels verloren haben, zurückzukehren. Die Aufforstungsprojekte und geschützten Naturreservate, welche von Seiten Israels und vor allem durch den JNF als Naturschutzmaßnahmen präsentiert werden, um ein „Stück grüne Zukunft“ (Jüdischer Nationalfonds e.V., 2025) für Israel zu schaffen, versperren den Palästinenser*innen den Zugang zu ihrem ehemals eigenen Land. Unter den Naturschutzreservaten und Nationalparks, wie dem Ramat Menashe Park oder dem Birya National Park, beide im Norden Israels, liegen die Häuser und Felder der Palästinenser*innen begraben, die im Zuge der Nakba von israelischen Truppen vertrieben wurden. Somit verdrängen israelische Nationalparks und die dazugehörigen Aufforstungsprojekte des JNF nicht nur gegenwärtig palästinensische Gemeinschaften, sondern vertuschen jegliche Zeichen, welche noch auf die Vertreibung der Palästinenser*innen 1947/1948 hindeuten könnten. In der Mitte des Ramat Menashe Nationalparks beispielsweise liegen die Überreste des ehemaligen palästinensischen Dorfes Daliyat al-Rawha, mittlerweile überdeckt von neu gepflanzten Wäldern und einem zum Nationalpark gehörigen Kibbuz. Die vom JNF organisierten Touren durch den Nationalpark führen die Besucher*innen zu verschiedenen sehenswerten Orten, die alle arabischen Namen haben. Dass diese Namen nicht die Bezeichnungen der geographischen Orte innerhalb des Parkes sind, sondern in Wahrheit die Namen der zerstörten palästinensischen Dörfer, auf denen der Park erbaut wurde, ist nirgends gekennzeichnet. Dies ist kein Einzelfall, vielmehr ein Phänomen in vielen israelischen Nationalparks. Ebenso gibt es in den Parks und Naturschutzgebieten keine Infoschilder oder sonstige Hinweise, die die Besucher*innen darauf aufmerksam machen, dass die Feigen und Mandelbäume, die in vielen israelischen Nationalparks gegen Ende des Winters zwischen den europäischen Kiefern hervorsprießen, keine Wildpflanzen sind. Es sind Pflanzen, die vor 1948 von Palästinenser*innen von Hand gepflanzt wurden und nun mit zu den letzten Überresten gehören, welche auf die zerstörten Dörfer und vertriebenen palästinensischen Gemeinschaften hindeuten (vgl. Jüdischer Nationalfonds e.V., 2025; vgl. Pappe, 2006, S. 229-232; vgl. Sasa, 2023, S. 220).
Anfang 2020 kündigte der damalige israelische Verteidigungsminister Naftali Bennett an, zwölf der bereits bestehenden Naturschutzgebiete im Westjordanland zu erweitern, um die israelische Kontrolle über das Gebiet zu verstärken. Außerdem seien sieben neue Naturreservate in Planung. Laut israelischem Gesetz zur Regelung von Naturschutzgebieten ist es den Palästinenser*innen auch in den neu geplanten Schutzgebieten, wie schon in den bestehenden Reservaten, verboten, ihr eigenes Land zu bewirtschaften (vgl. Al Jazeera, 2020; vgl. Jüdischer Nationalfonds e.V., 2025).
Grüner Kolonialismus in Israel
Die Errichtung von Naturschutzgebieten und Nationalparks in Israel auf palästinensischem Boden folgt einem Phänomen, was als sogenannter Grüner Kolonialismus bekannt ist. Grüner Kolonialismus beschreibt Taktiken und Strategien, meist westlicher Länder, die darauf abzielen, ihre eigenen geopolitischen Machtansprüche in einem oder mehreren anderen Staaten zu verstärken und (neo-) koloniale Abhängigkeiten zu vertiefen. Dabei geht es häufig um die Ausbeutung von Ländern des Globalen Südens und um Ressourcengewinnung, was fast immer mit der gewaltvollen Vertreibung indigener Gemeinschaften einhergeht. Gerechtfertigt wird diese Vertreibung oft, wie hier in Israel, durch die Errichtung von Naturschutzgebieten und Nationalparks, angeblich im Namen des Umweltschutzes. Bei genauerer Betrachtung dienen diese Naturschutzmaßnahmen und die Errichtung von sogenannten Schutzgebieten aber vor allem den Machtansprüchen jener, die sie errichten, und vereinfachen Landraub, Ressourcengewinnung und die Vertreibung indigener lokaler Bevölkerungsgruppen (vgl. Claar, 2022, S. 264-265).
Die israelischen Nationalparks und Aufforstungsprojekte des Jüdischen Nationalfonds folgen dem Prinzip des Grünen Kolonialismus. Im Namen des Naturschutzes eignet sich Israel palästinensisches Land an, was mit der gewaltvollen Vertreibung der Palästinenser*innen einhergeht. Israelische Nationalparks und Naturschutzgebiete wurden und werden taktisch dort errichtet, wo Israel fortwährend palästinensisches Land besetzt. Es sind Gebiete rund um Jerusalem, im Westjordanland, in der Nähe der von Israel illegal besetzten Golanhöhen, im Süden des Landes, wo Israel bereits vor der Staatengründung indigene Beduinen verdrängt hat, als auch im Norden des Landes, wo ein Großteil der Palästinenser*innen wohnt, die 1947/1948 vertrieben wurden, aber noch in Israel geblieben sind. Wie auch in anderen Beispielen von Grünem Kolonialismus haben die angeblichen Naturschutzmaßnahmen in Israel nicht nur dramatische Folgen für die vertriebenen Menschen, sondern ironischerweise auch für die Umwelt selbst. So sind die europäischen Kiefern, welche großflächig vom JNF gepflanzt werden, sehr brennbar und fangen besonders in trockenen Monaten schnell Feuer. Außerdem zerstören die sich schnell verbreitenden Kiefern kleinere einheimische Pflanzen und somit die biologische Vielfalt. Umweltexpert*innen gehen zusätzlich davon aus, dass die von Israel gepflanzten Kiefernwälder zur Erderwärmung beitragen, da die dunkle Masse der Bäume die Sonnenstrahlung absorbiert (vgl. Pearce, 2019; vgl. Sasa, 2023, S. 223-226).
Seit dem 7. Oktober 2023 hat auch die Gewalt an Palästinenser*innen im Westjordanland zugenommen und Israel hat seine Besatzung verschärft (vgl. Nashed, 2025). Auch wenn die mediale Aufmerksamkeit seither zu Recht auf dem Genozid in Gaza liegt, sollte nicht außer Acht gelassen werden, dass die gewaltvolle Verdrängung der Palästinenser*innen im Westjordanland und anderen Teilen Israels, unter anderem durch als Umweltschutzmaßnahmen präsentierte Strategien wie Aufforstungsprojekte und die Erschaffung und Erweiterung von Naturschutzgebieten, nach wie vor allgegenwärtig ist.
Literaturverzeichnis
Al Jazeera. (2020). Israel creates seven ‘nature reserves’ in occupied West Bank. https://www.aljazeera.com/news/2020/1/15/israel-creates-seven-nature-reserves-in-occupied-west-bank
Badarin, E. (2023). ‚Making the desert bloom‘: Why Europe clings to the colonial mindset. Middle East Eye. https://www.middleeasteye.net/opinion/europe-desert-bloom-colonial-mindset-clings-why.
Berdugo, L. (2020). A Situation: A Tree in Palestine. Places Journal.
Claar, S. (2022). Green Colonialism in the European Green Deal: Continuities of dependency and the relationship of forces between Europe and Africa. Culture Practice & Europeanization, 262-274.
Jüdischer Nationalfonds e.V. (2025). Aufforstung. https://www.jnf-kkl.de/aufforstung-in-israel/: Jüdischer Nationalfonds e.V. Deutschland.
Kinet, R. (2017). Wer hat wem was versprochen? Deutschlandfunk Kultur. https://www.deutschlandfunkkultur.de/die-balfour-deklaration-von-1917-wer-hat-wem-was-versprochen-100.html.
Nashed, M. (2025). Israel massacres in Gaza, locks down West Bank as attention shifts to Iran. Al Jazeera. https://www.aljazeera.com/news/2025/6/19/israel-escalates-war-on-palestinians-as-world-attention-shifts-to-iran.
Pappe, I. (2006). The Ethnic Cleansing of Palestine. Oxford: Oneworld Publications.
Pearce, F. (2019). In Israel, Questions Are Raised about a Forest that Rises from the Desert. Yale School of the Environment. https://e360.yale.edu/features/in-israel-questions-are-raised-about-a-forest-that-rises-from-the-desert#:~:text=KKL%2DJNF%20has%20made%20wide,had%20forests%20in%20recent%20times.
Sasa, G. (2023). Oppressive pines: Uprooting Israeli green colonialism and implanting Pakestinian A’wna. Politics 43 (2), 219-235.
The Institute for Middle East Understanding (2020). Fact Sheet: What is the Jewish National Fund? https://imeu.org/article/fact-sheet-what-is-the-jewish-national-fund.