Ein neuer Bericht der Federation internationale pour les droits humains (FIDH) dokumentiert alarmierende Menschenrechtsverletzungen im Zusammenhang mit Solidaritätsbekundungen für Palästina seit dem 7. Oktober 2023. Die Untersuchung basiert auf öffentlich zugänglichen Quellen, UN-Berichten, Beiträgen von FIDH-Partnerorganisationen sowie direktem Zeugnis von Betroffenen.
Nach den Angriffen der Hamas und der darauffolgenden massiven israelischen Militäroffensive in Gaza, die weltweit von vielen als Völkermord kritisiert wurde, kam es international zu beispiellosen Solidaritätsprotesten. Diese Reaktionen wurden jedoch vielerorts durch staatliche Repressionen erstickt. Unter dem Deckmantel der Terrorbekämpfung und des Antisemitismus-Schutzes wurden politische Meinungsäußerungen zensiert, Proteste verboten, Menschen verhaftet und Kritiker:innen öffentlich diffamiert.
Ein zentrales Problem stellt dabei die zunehmende Gleichsetzung von Antisemitismus mit legitimer Kritik an der israelischen Regierungspolitik dar. Diese Strategie führt dazu, dass Aktivist:innen, Studierende, Künstler:innen und sogar gewählte Politiker:innen als extremistisch oder hasserfüllt abgestempelt werden, aufgrund ihrer öffentlichen Solidarität mit Palästina. Der Diskursraum für politische Kritik wird damit systematisch eingeschränkt.
Zudem wird kritisiert, dass viele westliche Staaten, trotz massiver ziviler Opfer in Gaza, weiterhin politisch und militärisch an der Seite Israels stehen. Über 62.614 Palästinenser:innen wurden seit Oktober 2023 getötet, darunter über 17.492 Kinder. Infrastruktur, Schulen, Krankenhäuser und zivile Wohnhäuser wurden flächendeckend zerstört, während humanitäre Hilfe gezielt blockiert wird. Die Vereinten Nationen sprechen von einer „menschenverursachten Hungerkatastrophe“.
Parallel dazu wird der Solidaritätsbewegung für Palästina zunehmend mit juristischen, administrativen und polizeilichen Mitteln begegnet. Aktivist:innen sehen sich mit Kriminalisierung, Überwachung, Zensur, Entlassungen und in Extremfällen sogar Entführungen konfrontiert. Die Ausweitung der Antisemitismus-Definition durch die International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA), die auch Kritik am Staat Israel als antisemitisch klassifiziert, hat maßgeblich zur Einschränkung legitimer Meinungsäußerung beigetragen.
Einschränkungen müssen gesetzlich geregelt, verhältnismäßig, notwendig und inhaltlich neutral sein. Die derzeitige Praxis in den untersuchten Ländern steht in direktem Widerspruch zu diesen Prinzipien.
FIDH ruft daher zu einer dringenden Überprüfung dieser Entwicklungen auf. Der Schutz derjenigen, die sich für Menschenrechte und Gerechtigkeit einsetzen, in Palästina und weltweit, müsse gewährleistet und nicht unterdrückt werden.
Repression von Solidarität: Wie westliche Demokratien pro-palästinensische Stimmen unterdrücken
Inmitten des eskalierenden Konflikts in Gaza und der zunehmenden Kritik an der israelischen Regierung mobilisieren sich weltweit Menschen in Solidarität mit der palästinensischen Bevölkerung. Während autoritäre Regime für Repressionen gegen abweichende Meinungen bekannt sind, überrascht die zunehmende Einschränkung grundlegender Rechte in westlichen Demokratien wie Großbritannien, Frankreich, Deutschland und den USA. Ein umfassender Bericht untersucht, wie genau diese Staaten, die sich oft als Verteidiger der Menschenrechte inszenieren, mit repressiven Mitteln gegen pro-palästinensische Proteste und Organisationen vorgehen, oft unter dem Vorwand der Terrorbekämpfung oder im Namen des Antisemitismus.
Großbritannien
Im Vereinigten Königreich sind friedliche pro-palästinensische Versammlungen zunehmend Ziel staatlicher Repressionen geworden. Obwohl diese Demonstrationen in der Regel gewaltfrei verlaufen, begegnet die britische Regierung ihnen mit restriktiven Maßnahmen. Proteste werden unter Berufung auf öffentliche Ordnung, Terrorismusbekämpfung oder den Schutz vor Antisemitismus beschränkt oder kriminalisiert.
Ein besonders umstrittenes Beispiel ist der Umgang mit dem Slogan „From the river to the sea, Palestine will be free“. Während viele diesen Satz als politischen Ausdruck palästinensischer Hoffnung verstehen, stuft ihn die britische Regierung unter Innenministerin Suella Braverman als potenziell antisemitisch und gewaltverherrlichend ein. Die Polizei wurde dazu ermutigt, Personen, die diesen Slogan verwenden, zu überwachen oder gar festzunehmen. Dieses Vorgehen ist rechtlich fragwürdig, da es an klaren gesetzlichen Grundlagen und Verhältnismäßigkeit mangelt.
Auch die Kriminalisierung von Symbolen wie der palästinensischen Flagge, Wassermelonen oder dem Kufiya, welche oft Ausdruck kultureller oder politischer Solidarität sind, stellen eine Einschränkung der Meinungsfreiheit dar. Berichte zeigen, dass Demonstrierende in Großbritannien von der Polizei belästigt oder festgenommen wurden, nur weil sie diese Symbole zeigten.
Besonders kritisch ist das Vorgehen der Polizei bei Protesten. Statt den Schutz friedlicher Versammlungen zu gewährleisten, griff die Polizei in mehreren Fällen zu Gewalt, Einschüchterung und willkürlichen Festnahmen. Der Einsatz von Tränengas, Schlagstöcken und übermäßiger körperlicher Gewalt widerspricht internationalen Standards, die vorschreiben, dass Zwangsmittel nur als letztes Mittel und mit vorheriger Warnung eingesetzt werden dürfen. Auch der Einsatz militärischer Taktiken und Technologien durch zivile Polizeieinheiten ist alarmierend.
Universitäten sind ebenfalls betroffen, Studierende die sich in Solidarität mit Palästina engagieren sehen sich Disziplinarmaßnahmen, Überwachung und teils Polizeigewalt ausgesetzt. Diese Repression studentischer Stimmen verletzt die Rechte auf Meinungsfreiheit, Versammlungsfreiheit und Bildung und steht im klaren Widerspruch zur Verpflichtung des Staates, akademische Freiräume zu schützen.
Auch zivilgesellschaftliche Organisationen in Großbritannien geraten zunehmend unter Druck. Gruppen, die sich für palästinensische Rechte einsetzen, wurden öffentlich diskreditiert, finanziell unter Druck gesetzt oder mit rechtlichen Schritten bedroht. Solche Einschränkungen der Vereinigungsfreiheit widersprechen internationalen Menschenrechtsnormen, die auch das Recht auf Finanzierung und freie Organisation schützen.
Besonders gefährlich ist die Stigmatisierung dieser Proteste. Friedliche Demonstrationen werden als „Hassmärsche“ diffamiert, legitime Kritik an israelischer Politik wird mit Terrorismus gleichgesetzt. Diese Rhetorik trifft besonders marginalisierte Gruppen wie Muslime, Araber oder Geflüchtete, die ohnehin struktureller Diskriminierung ausgesetzt sind. Der Effekt: Ein Klima der Angst und Einschüchterung, das Meinungsvielfalt erstickt und rassistische Vorurteile verstärkt
Vereinigten Staaten
Die Vereinigten Staaten gelten seit Jahrzehnten als Israels engster Verbündeter. Diese Partnerschaft ist militärisch, finanziell und politisch tief verankert. Seit dem Zweiten Weltkrieg hat die USA Israel über 158 Milliarden US-Dollar an Hilfsgeldern bereitgestellt, aktuell umfasst das jüngste bilaterale Militärabkommen 38 Milliarden US-Dollar bis 2028. Nach dem Hamas-Angriff vom 7. Oktober 2023 versprach Präsident Biden „beispiellose“ militärische Unterstützung für Israel, die bis Juni 2024 auf über 22 Milliarden US-Dollar an direkten und indirekten Militärhilfen anstieg. Sowohl die Biden- als auch die Trump-Regierung haben massive Waffentransfers genehmigt, darunter auch schwere Bomben. Trump ging noch weiter, indem er äußerte, die USA könnten Gaza nach einem Waffenstillstand „übernehmen“.
Parallel zur materiellen Unterstützung Israels verschärft sich in den USA die Repression gegenüber Solidaritätsbewegungen für Palästina. Über 12.000 Demonstrationen wurden zwischen Oktober 2023 und Juni 2024 registriert. Proteste, insbesondere an Universitäten, wurden von Polizei, Bundesbehörden und Hochschulleitungen systematisch unterdrückt. Massenverhaftungen, Hausverbote, Streichung von Fördergeldern sowie Einschränkungen der Meinungsfreiheit gehören zur gängigen Praxis. Ein Beispiel ist die Streichung von 400 Millionen Dollar für die Columbia University, mit der Begründung, man gehe nicht entschlossen genug gegen angeblichen Antisemitismus vor.
Das US-Parlament verschärfte zudem seine rechtliche Infrastruktur gegen pro-palästinensisches Engagement. Bis heute wurden fast 300 Gesetzesentwürfe eingebracht, von denen über ein Viertel in Bundes- und Landesrecht überführt wurde. Diese Gesetze kriminalisieren nicht nur Boykotte gegen Israel, sondern auch Meinungsäußerungen, die als antisemitisch im Sinne der umstrittenen IHRA-Definition gewertet werden. Selbst die Einwanderungsbehörden wurden eingesetzt, um ausländische Studierende zu bestrafen: Einige verloren Aufenthaltsstatus oder wurden in Abschiebehaft genommen.
Auch Journalistinnen, Wissenschaftlerinnen und Kulturschaffende sind betroffen. Viele wurden aufgrund ihrer Unterstützung für palästinensische Anliegen entlassen oder zensiert.
Besonders hart trifft es Studierende. In mehreren Bundesstaaten wurden Gruppen wie „Students for Justice in Palestine“ verboten, während rechte Angreifer mit milder Reaktion oder gar Entschädigungszahlungen rechnen konnten. Die Regierung sowie konservative Politiker*innen betrieben eine aggressive Kampagne gegen universitäre Solidarität mit Palästina. Neue „Neutralitätsregeln“ schränken politische Äußerungen an Hochschulen massiv ein.
Insgesamt zeichnen die USA ein Bild von selektiver Meinungsfreiheit, tiefgreifender institutioneller Komplizenschaft mit Israels Kriegspolitik und repressiver Kontrolle gegenüber abweichenden Stimmen. Dies steht im Widerspruch zu demokratischen Grundprinzipien wie Versammlungsfreiheit, Pressefreiheit und akademischer Freiheit und zeigt, wie stark die Solidarität mit Palästina kriminalisiert wird.
Frankreich
Frankreich pflegt seit Jahrzehnten enge Beziehungen zu Israel und gehört zu den ersten Ländern, die den israelischen Staat anerkannten. Auch militärisch ist Frankreich ein wichtiger Partner: Zwischen 2013 und 2023 lieferte es Waffen im Wert von 208 Millionen Euro nach Israel, trotz internationaler Kritik an Menschenrechtsverletzungen durch israelische Siedler und das Militär in den besetzten Gebieten. Präsident Emmanuel Macron bezeichnete den Hamas-Angriff vom 7. Oktober 2023 als das „größte antisemitische Massaker des 21. Jahrhunderts“. Diese offizielle Linie schlägt sich auch innenpolitisch nieder, mit drastischen Maßnahmen gegen palästinasolidarische Bewegungen, Meinungsäußerungen und Organisationen.
Die französische Regierung hat bereits in der Vergangenheit versucht, Solidaritätsproteste zu unterdrücken. Innenminister Gérald Darmanin sprach sich mehrfach für ein generelles Verbot pro-palästinensischer Versammlungen aus. Begründet wurde dies mit möglichen Störungen der öffentlichen Ordnung.
Mit dem Hinweis auf „Apologie des Terrorismus“ greifen französische Behörden zunehmend auf vage formulierte Antiterrorgesetze zurück, um missliebige Meinungen zu unterdrücken. Diese Praxis betrifft auch Minderjährige und Kulturschaffende. Der Komiker Guillaume Meurice wurde nach einem Netanyahu-Witz entlassen, was zu einem Streik beim öffentlichen Rundfunk führte. An Universitäten kam es zu massiven Einschränkungen der Meinungsfreiheit. Veranstaltungen mit palästinensischen oder israelkritischen Stimmen wie Rima Hassan oder Judith Butler wurden abgesagt, oft unter Berufung auf „Sicherheitsbedenken“.
Die Repression trifft auch die Zivilgesellschaft hart. Aktivist*innen berichten von Gewalt, Festnahmen und Einschüchterung, auch gegen friedliche Demonstrierende.
Zudem wurde das Einwanderungssystem politisch instrumentalisiert: Ausländische Aktivist*innen wie Mariam Abu Daqqa wurden festgenommen, unter Hausarrest gestellt und schließlich abgeschoben. Diese Maßnahmen fügen sich in ein größeres Muster der staatlichen Stigmatisierung von „politischem Islam“, das mit der Bekämpfung von Antisemitismus gerechtfertigt wird.
Frankreichs Regierung geht dabei nicht nur repressiv gegen Palästinenserinnen und Unterstützerinnen vor, sondern kriminalisiert zunehmend jede Form von abweichender politischer Meinungsäußerung zum Nahostkonflikt. Diese Entwicklung wirft ernste Fragen nach Meinungsfreiheit, Versammlungsrecht und der Unabhängigkeit von Kultur und Wissenschaft in einem demokratischen Rechtsstaat auf.
Deutschland
Die deutsch-israelische Beziehung ist stark von der Geschichte des Holocaust geprägt. Israel sieht Deutschland heute als seinen zweitwichtigsten strategischen Partner nach den USA. Die deutsche Politik stellt Israels Sicherheit als „Staatsräson“ dar. Dieses Konzept, das erstmals von Angela Merkel formuliert wurde suggeriert, dass Deutschlands Existenz mit der Verteidigung Israels verknüpft sei. Dies wurde u.a. zur Rechtfertigung von Waffenexporten an Israel herangezogen.
Diese Staatsräson dient oft als Begründung für Maßnahmen innerhalb Deutschlands, die laut Menschenrechtsbeobachtern die Meinungs- und Versammlungsfreiheit stark einschränken. Deutschland übernahm 2017 die IHRA-Definition von Antisemitismus.
Das Konzept des „importierten Antisemitismus“, vor allem bezogen auf muslimische Migrant:innen, gewann ab den 2000er-Jahren an Bedeutung. Dies geschah vor dem Hintergrund zunehmender rassistischer Gewalt durch Rechtsextreme gegen Jüd:innen, Muslim:innen und Geflüchtete. Die Bundesregierung wird dafür kritisiert, anti-muslimischen Rassismus nicht ernsthaft zu bekämpfen. Eine offizielle Definition von Islamfeindlichkeit gibt es bis heute nicht.
Nach dem Hamas-Angriff vom 7. Oktober 2023 äußerten deutsche Beamte erneut Sorgen über „importierten Antisemitismus“. Der Verfassungsschutzchef Haldenwang erklärte, Antisemitismus gehöre zur „DNA islamistischer Strukturen“. Der Berliner Bezirksbeauftragte Güner Balci sprach von weit verbreitetem Antisemitismus unter Muslim:innen.
Am 12. Oktober 2023 bekräftigte Kanzler Scholz erneut die Staatsräson. Im Juni 2024 wurden neue Einbürgerungsregeln beschlossen, die ein Bekenntnis zum Existenzrecht Israels verlangen.
Etwa die Hälfte aller pro-palästinensischen Demonstrationen wurde verboten, manche wurden später von Gerichten wieder erlaubt. Bei genehmigten Protesten kam es häufig zu Polizeigewalt. Der Slogan „From the river to the sea, Palestine will be free“ wurde unterschiedlich rechtlich bewertet: In München erlaubt, in Bremen und Berlin verboten. Im Mai 2024 erklärte das Justizministerium den Slogan für strafbar, weil er Hamas zugeordnet wurde.
Zivilgesellschaftliche Akteure berichten von einem Klima der Repression, insbesondere in Städten wie München. Aktivist:innen wurden verfolgt, festgenommen und eingeschüchtert, teils unter dem Vorwand, Informationen für das Innenministerium zu sammeln.
Auch Organisationen wie „Samidoun“ wurden verboten.
Kulturelle Einrichtungen wie das Berliner queere, migrantische Zentrum „Oyoun“ verloren ihre Förderung. Preise für Kulturschaffende wurden entzogen.
Auch Universitäten geraten zunehmend unter Druck. Im Mai 2024 unterzeichneten über 300 Berliner Akademiker:innen einen offenen Brief zur Unterstützung protestierender Studierender. Über 2000 weitere forderten den Rücktritt der Bildungsministerin wegen der Unterdrückung der Meinungsfreiheit und dem Entzug von Fördermitteln für pro-palästinensische Wissenschaftler:innen. Berichte zeigten, dass das Bildungsministerium Listen von Gaza-solidarischen Akademiker:innen anlegte.
Trends in der ganzen Welt
Die staatliche Repression gegenüber pro-palästinensischer Solidarität, wie sie in Großbritannien, Frankreich, Deutschland und den USA dokumentiert wurde, ist Teil eines globalen Musters. Weltweit nehmen Überwachung, Zensur und Strafverfolgung von Menschen zu, die sich für die Rechte der Palästinenser*innen einsetzen. Häufig greifen Regierungen dabei auf exzessive Polizeigewalt, vage Berufungen, Einschränkungen symbolischer Ausdrucksformen wie dem Kufiya oder der palästinensischen Flagge sowie auf weit gefasste Anti-Terrorgesetze zurück. Auch Einwanderungsgesetze werden genutzt, um Protestierende zu stigmatisieren und mundtot zu machen.
Ein besonders auffälliges Beispiel ist Belgien. In Brüssel wurden friedliche Proteste zunehmend mit Polizeigewalt beantwortet. Seit Oktober 2023 kam es regelmäßig zu Einkesselungen, Gewaltanwendung und willkürlichen Festnahmen. Im Mai 2024 eskalierte die Repression: Bei einer Demonstration vor der israelischen Botschaft wurden Wasserwerfer direkt ins Gesicht der Teilnehmenden gerichtet, was schwere Verletzungen wie Augen- und Gesichtsverletzungen zur Folge hatte. Auch das bloße Tragen eines Kufiyas oder das Filmen von Polizeieinsätzen führte zu Geldstrafen oder Festnahmen.
Die belgische Regierung geht auch auf administrativer Ebene gegen palästinensische Geflüchtete und Unterstützerinnen vor. So wurde im Januar 2023 Klage gegen die restriktiven Bedingungen bei Visa-Anträgen für Menschen aus Gaza eingereicht. Im August wurden mehreren Kindern palästinensischer Herkunft die belgische Staatsbürgerschaft aberkannt. Im Oktober 2023 kündigte das belgische Flüchtlingsamt an, bestimmte Schutzentscheidungen für Palästinenserinnen auszusetzen. Besonders bezeichnend ist der Fall Mohammed Khatib, dem Koordinator des Netzwerks Samidoun. Ihm sollte Ende 2024 der Flüchtlingsstatus entzogen werden unter dem Vorwurf „zur Hassrede anzustiften“ und unter starkem Druck Israels.
Auch belgische Universitäten wurden zum Schauplatz von Protesten. Studierende besetzten Einrichtungen, um auf Partnerschaften mit israelischen Hochschulen aufmerksam zu machen. Diese Besetzungen wurden von der Polizei aufgelöst, teils ohne rechtliche Grundlage, wie ein Gericht später bestätigte.
Die Einschränkungen pro-palästinensischer Ausdrucksformen machen auch vor Palästina selbst nicht halt. In Israel und den besetzten Gebieten werden Journalistinnen, die über Menschenrechtsverletzungen berichten, gezielt ins Visier genommen. Laut dem „Committee to Protect Journalists“ wurden mindestens sieben Medienschaffende gezielt getötet, 141 insgesamt kamen ums Leben. Viele weitere werden vermisst. Gleichzeitig nimmt die Zensur zu, Proteste seien derzeit kaum möglich, berichtete ein zivilgesellschaftlicher Akteur aus Israel.
Auch in der arabischen Welt hat sich das Klima verändert. In Saudi-Arabien wurden Pilgerinnen in Mekka und Medina wegen pro-palästinensischer Symbole verhaftet. In Ägypten dokumentierten Amnesty International und lokale Gruppen im Juni 2024 123 Festnahmen im Zusammenhang mit Solidaritätsaktionen, viele davon unter Terrorismusvorwürfen. Die Repression traf Studierende, Feministinnen und Fußballfans gleichermaßen.
In Jordanien wurde Protesten in Grenznähe oder vor der israelischen Botschaft die Erlaubnis entzogen. Bis April 2024 sollen dort rund 1.500 Menschen im Zusammenhang mit Solidaritätskundgebungen festgenommen worden sein. Auch hier kamen Cyberkriminalitätsgesetze zum Einsatz, um kritische Posts in sozialen Medien zu verfolgen. In Marokko wurden Demonstrationen aufgelöst und palästinensische Flaggen beschlagnahmt.
Obwohl sich die repressiven Mittel ähneln, unterscheiden sich die Motive. In der MENA-Region etwa stehen sie im Kontext eines systematischen Abbaus demokratischer Grundrechte. Regierungen fürchten, dass Solidarität mit Palästina auch zur Forderung nach mehr Demokratie und Menschenrechten im eigenen Land führen könnte.
Insgesamt zeigt sich ein weltweiter Rückgang von Meinungsfreiheit und Versammlungsfreiheit, besonders dann, wenn es um Palästina geht.
Rechtliche Analyse der Menschenrechtsverletzungen
Die globalen Reaktionen auf die Solidarität mit Palästina und Proteste gegen Israels Angriffe in Gaza und im Westjordanland offenbaren ein bedenkliches internationales Muster der Missachtung grundlegender Menschenrechte. Diese Repressionen dienen der Legitimation des israelischen Siedlerkolonialismus und zeigen die Komplizenschaft vieler Staaten, die Israels Vorgehen aktiv unterstützen oder dulden. Neben dem Völkermord in Gaza und den umfassenden Zerstörungen treten auch die Erosion grundlegender Rechte wie Meinungsfreiheit, Versammlungsfreiheit und Vereinigungsfreiheit zutage. Die derzeitige Lage stellt eine tiefgreifende Bewährungsprobe für das internationale Rechtssystem dar.
Verletzungen der Meinungs- und Ausdrucksfreiheit
Die Meinungs- und Ausdrucksfreiheit ist für die Entwicklung von Individuen und Gesellschaften essenziell, sie bildet eine Grundlage für die Förderung und den Schutz anderer Menschenrechte. Deren Einschränkung wirkt sich nicht nur unmittelbar negativ aus, sondern untergräbt langfristig das gesamte Menschenrechtssystem. Die UN-Sonderberichterstatterin Irene Khan stellte in ihrem Bericht über globale Bedrohungen der Meinungsfreiheit im Zusammenhang mit dem Gazakonflikt eine weltweite Erosion dieser Rechte fest. Insbesondere durch gezielte Angriffe auf palästinensische Journalistinnen, die sie als eine besonders schwere Form der Zensur bezeichnete. Diese Angriffe sollen Berichterstattung über die israelischen Verbrechen systematisch unterdrücken. Nach internationalem Recht gelten Journalistinnen und ihre Einrichtungen als zivile Objekte und dürfen nicht Ziel militärischer Angriffe sein, außer sie nehmen direkt an Feindseligkeiten teil.
Auch außerhalb Palästinas, insbesondere in Großbritannien, den USA, Frankreich und Deutschland, berichten Medienschaffende von massiver Zensur. Dies äußert sich etwa in direkter staatlicher Kontrolle, Einschränkungen bei Begrifflichkeiten zur Beschreibung israelischer Angriffe, sowie einem systematischen Ausschluss pro-palästinensischer Perspektiven. Medienunternehmen spielen hierbei ebenfalls eine Rolle, indem sie durch redaktionelle Eingriffe oder interne Richtlinien kritische Inhalte zurückhalten. Indirekte Formen wie Einschüchterung, disziplinarische Maßnahmen und gesellschaftlicher Druck führen zu Selbstzensur, was die Vielfalt öffentlicher Diskurse erheblich einschränkt.
Regierungen haben laut internationalem Recht nicht nur die Pflicht, selbst keine Zensur auszuüben, sondern auch Personen vor Übergriffen privater Akteure auf ihre Meinungsfreiheit zu schützen.
Auch in sozialen Medien zeigt sich zunehmende digitale Zensur. Plattformen wie Meta (Facebook, Instagram) haben palästinensische Inhalte und Nutzerinnen systematisch benachteiligt. Berichte zeigen, dass palästinensische Journalistinnen von sogenannten „Shadowbans“ betroffen sind, einem Mechanismus, der die Reichweite und Sichtbarkeit ihrer Inhalte stark reduziert. Diese Einschränkungen wirken sich negativ auf das Recht auf Zugang zu Information aus, das Teil der Meinungsfreiheit ist.
Zur Meinungsfreiheit gehört auch die politische Meinungsäußerung, sie ist zentral für demokratische Teilhabe. Die Einschränkung solcher Äußerungen durch Abgeordnete, die sich mit Palästina solidarisieren, untergräbt demokratische Prozesse insgesamt. Zahlreiche Abgeordnete in den USA, Großbritannien und Frankreich wurden aufgrund solidarischer Reden oder Symbolhandlungen sanktioniert.
Instrumentalisierung von Antisemitismus-Vorwürfen
Die Einschränkungen der Meinungsfreiheit werden häufig mit dem Kampf gegen Antisemitismus gerechtfertigt. Tatsächlich sieht das Völkerrecht vor, dass Aufrufe zu Hass, Gewalt oder Diskriminierung, einschließlich antisemitischer Inhalte, bekämpft werden müssen. Doch wie Irene Khan betont, darf dieser Kampf nur im Einklang mit internationalen Menschenrechtsstandards geführt werden. In der Praxis aber werden Kritik an Israel oder Solidarität mit Palästina oft fälschlich als antisemitisch eingestuft. Dies betrifft sogar jüdische Kritiker*innen Israels. Eine solche Gleichsetzung unterminiert sowohl den legitimen Kampf gegen Antisemitismus als auch das Recht auf freie Meinungsäußerung.
Besonders umstritten ist die Verbreitung der IHRA-Arbeitsdefinition von Antisemitismus, die in Großbritannien, Frankreich und Deutschland von Regierungen übernommen wurde. Diese Definition wird von vielen zivilgesellschaftlichen Organisationen kritisiert, da sie politische Kritik an Israel einschränkt. In Großbritannien etwa wurde Hochschulen mit dem Entzug öffentlicher Gelder gedroht, sollten sie die Definition nicht übernehmen – was zur breiten, aber unter Druck entstandenen Annahme führte. Solche Maßnahmen bedrohen nicht nur die Meinungsfreiheit, sondern auch die Autonomie von Bildungs- und Kulturinstitutionen.
Antiterrorgesetze als Repressionsinstrument
Neben Antisemitismus-Vorwürfen werden auch Antiterrorgesetze genutzt, um palästinensische Solidarität zu unterdrücken. Alle vier untersuchten Staaten stufen Hamas als Terrororganisation ein, was vielfach instrumentalisiert wird, um Unterstützung für palästinensische Menschenrechte zu kriminalisieren. In den vergangenen zwei Jahrzehnten hat sich der Missbrauch solcher Gesetze massiv verschärft. Unter dem Vorwand der Terrorabwehr kam es zu Verhaftungen und Ermittlungen gegen Journalistinnen, Aktivistinnen und sogar Politiker*innen. In vielen Fällen sind die zugrunde liegenden Gesetze vage formuliert und verletzen das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit. Diese Unsicherheit erzeugt ein Klima der Einschüchterung, das sich negativ auf die gesellschaftliche Debattenkultur auswirkt.
Besonders betroffen sind marginalisierte Gruppen wie Palästinenserinnen, Musliminnen und Migrant*innen. Diese werden zunehmend unter Generalverdacht gestellt. Internationale Menschenrechtsorganisationen beobachten seit Jahren einen weltweiten Anstieg islamfeindlicher Vorfälle. Wenn Staaten diese Gruppen zusätzlich durch Antisemitismus- oder Terrorismusvorwürfe stigmatisieren, verletzen sie ihre Pflicht zum Schutz religiöser und ethnischer Minderheiten.
Verletzungen der Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit
Die Rechte auf friedliche Versammlung und Vereinigungsfreiheit sind eng mit der Meinungsfreiheit verknüpft. Sie ermöglichen es Einzelpersonen und Gemeinschaften, ihre politischen Ansichten öffentlich zu artikulieren und Einfluss auf gesellschaftliche Entwicklungen zu nehmen. Auch wenn pro-palästinensische Demonstrationen in Großbritannien, den USA, Frankreich und Deutschland überwiegend friedlich verlaufen sind, reagierten viele Staaten mit repressiven Maßnahmen auf solche Versammlungen. Damit verstoßen sie gegen ihre völkerrechtliche Pflicht, friedliche Proteste zu schützen und zu ermöglichen.
Ein besonders problematisches Beispiel sind pauschale Demonstrationsverbote, wie sie etwa in Frankreich und Deutschland ausgesprochen wurden. Solche Maßnahmen verstoßen gegen das Prinzip der Verhältnismäßigkeit und benötigen klare Belege für konkrete Gefahren.
Die Versammlungsfreiheit schützt auch Symbole und Slogans, die politische Botschaften vermitteln. Das Verbot von Ausdrücken wie „From the river to the sea, Palestine will be free“ oder von Symbolen wie der palästinensischen Flagge, Wassermelonen oder dem Kufiya verletzt das Recht auf freie Meinungsäußerung. Solche Maßnahmen sind rechtlich unzulässig, wenn sie weder notwendig noch verhältnismäßig sind.
Berichte über aggressive Polizeieinsätze, willkürliche Festnahmen, übermäßigen Einsatz von Gewalt, Tränengas und Schlagstöcken widersprechen internationalen Standards. Die Polizei ist verpflichtet, vor dem Einsatz von Gewalt alle anderen Mittel auszuschöpfen und klare Warnungen auszusprechen. Der Einsatz von Militärtechnologie und -taktiken bei zivilen Protesten, wie insbesondere in den USA dokumentiert, untergräbt die Grundrechte weiter. Eine Entmilitarisierung der Polizei wäre daher ein zentraler Schritt zur Einhaltung menschenrechtlicher Standards.
Ein besonders sensibler Ort für diese Entwicklungen sind Universitäten. In allen vier untersuchten Ländern kam es zu studentischen Protesten gegen Israels Vorgehen in Gaza und im Westjordanland, die meist friedlich verliefen. Diese Bewegungen forderten unter anderem ein Ende des Völkermords. Dennoch sahen sich Studierende mit Suspendierungen, polizeilicher Repression, Disziplinarmaßnahmen und Festnahmen konfrontiert. Das ist ein klarer Verstoß gegen die Rechte auf freie Meinungsäußerung, Versammlung und Bildung. Der akademische Raum als Ort kritischen Denkens und demokratischer Mitgestaltung muss vor staatlicher Repression geschützt werden.
Auch die Vereinigungsfreiheit ist massiv gefährdet. Zivilgesellschaftliche Organisationen spielen eine zentrale Rolle in demokratischen Gesellschaften und müssen effektiv arbeiten können. In mehreren Staaten, vor allem in Deutschland, sehen sich pro-palästinensische Organisationen Überwachung, Schikanen, Mittelentzug und sogar Verboten ausgesetzt.
Die Einstufung palästinensischer Menschenrechtsgruppen durch Israel als „terroristisch“ dient häufig der gezielten Delegitimierung kritischer Stimmen und wird international zunehmend übernommen. Der UN-Sonderberichterstatter hat mehrfach vor der Überregulierung der Zivilgesellschaft unter dem Deckmantel der Terrorbekämpfung gewarnt.
Hinzu kommt eine gezielte Stigmatisierung pro-palästinensischer Bewegungen. Regierungen in allen vier untersuchten Ländern bedienen sich zunehmend rhetorischer Mittel, die friedliche Proteste als „Hassmärsche“ oder „terrornahe“ darstellen. Diese Narrative treffen besonders marginalisierte Gruppen und befeuern Rassismus sowie Islamfeindlichkeit. In Staaten, in denen rassistische und fremdenfeindliche Gewalt bereits zunimmt, verschärfen solche staatlich mitgetragenen Diskurse die gesellschaftliche Polarisierung erheblich.
Fazit
Zum Zeitpunkt der Fertigstellung dieses Berichts zeigen sich weltweit beeindruckende Wellen zivilgesellschaftlicher Solidarität mit dem palästinensischen Volk.
Diese Bewegungen spiegeln ein globales Streben nach Gerechtigkeit, Freiheit und Menschenwürde wider und zeigen das wachsende Bewusstsein für den laufenden Völkermord und die systematischen Verstöße gegen internationales Recht, ebenso wie die dringende Notwendigkeit bürgerschaftlichen Engagements inmitten staatlicher Untätigkeit.
Wie der Bericht jedoch aufzeigt, begegnen viele Staaten diesen Solidaritätsbekundungen mit repressiven Maßnahmen. Dort werden Anti-Terror-Gesetze und der Diskurs um Antisemitismus zunehmend missbraucht, um Meinungsfreiheit, Versammlungsfreiheit und Vereinigungsfreiheit zu unterdrücken.
Zahlreiche Journalistinnen, Aktivistinnen, Studierende, Künstlerinnen und selbst gewählte Vertreterinnen, die Israels Menschenrechtsverletzungen kritisieren sind Überwachung, Zensur, Einschüchterung und Verleumdung ausgesetzt. Diese Maßnahmen widersprechen internationalen Menschenrechtsstandards wie dem UN-Zivilpakt und der Europäischen Menschenrechtskonvention. Sie sind weder notwendig noch verhältnismäßig und basieren oft auf vagen Sicherheitsbegriffen.
Diese Repression zeigt eine tiefgreifende Krise: nicht nur der Menschenrechte in den besetzten palästinensischen Gebieten, sondern auch der bürgerlichen Freiheiten in westlichen Demokratien. Die Glaubwürdigkeit des internationalen Menschenrechtssystems steht auf dem Spiel. Wie sich diese Staaten nun verhalten, wird entscheidend für die Zukunft globaler Freiheitsrechte sein.
FIDH fordert daher:
An die betroffenen Staaten:
- Sicherzustellen, dass jegliche Einschränkungen palästinasolidarischer Proteste den engen Vorgaben des UN-Zivilpakts (1966) entsprechen.
- Alle Anklagen gegen Personen, die aufgrund ihrer Beteiligung an solchen Protesten verfolgt wurden, fallen zu lassen.
- Anti-Terror-Gesetze so zu ändern, dass sie nicht diskriminierend wirken und nicht gegen religiöse oder marginalisierte Gruppen eingesetzt werden.
- Zugang zu Finanzmitteln für NGOs wiederherzustellen, die fälschlich der Unterstützung von Terrorismus oder Antisemitismus beschuldigt wurden.
An die internationale Gemeinschaft:
- Die Definition von Antisemitismus durch die IHRA kritisch zu überprüfen, um deren Missbrauch durch die israelische Regierung zur Einschränkung legitimer Kritik zu verhindern.
- Staaten dazu zu ermutigen, palästinasolidarische Proteste zu ermöglichen, die ein Ende des Krieges in Gaza und der Gewalt gegen die palästinensische Bevölkerung fordern.
Spezifische Empfehlungen an die deutsche Bundesregierung
- Meinungs- und Versammlungsfreiheit:
— Aufhebung des Bundestagsbeschlusses vom 17. Mai 2019, der BDS mit Antisemitismus gleichsetzt,was gegen Artikel 5 des Grundgesetzes und Artikel 10 der EMRK verstößt.
— Überprüfung der Entscheidung des Bundesjustizministeriums (Mai 2024), den Slogan „From the River to the Sea” mit terroristischer Aufstachelung gleichzusetzen, um sicherzustellen, dass nur Äußerungen, die einedirekte Aufforderung zur Gewalt darstellen, sanktioniert werden.
- Nichtdiskriminierung und Gleichbehandlung:
— Aufhebung des Verwaltungsverbots der Berliner Regierung aus dem Jahr 2023, das das Tragen der Keffiyeh und das Zeigen der palästinensischen Flagge in Schulen verbietet, eine diskriminierende Maßnahme, die gegen Artikel 3 des Grundgesetzes verstößt, und Sicherstellung, dass kein anderes Bundesland ähnliche Maßnahmen ergreift.
- Unabhängige Aufsicht:
— Einrichtung einer bundesweiten Schlichtungsstelle für Demonstrationsfreiheit, die mit der raschen Prüfung von Beschwerden gegen Verbote pro-palästinensischer Demonstrationen beauftragt ist und überverbindliche Empfehlungsbefugnisse verfügt.
