Am 06. Dezember 2024 wurde die Endfassung des Freihandelsabkommens zwischen der Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, und den Regierungschefs der Mercosur-Ländern, einem Zusammenschluss von Argentinien, Uruguay, Paraguay und Brasilien, unterschrieben. Die Ratifizierung des Abkommens steht auf beiden Seiten noch aus, jedoch wird alleine dieser Schritt von vielen schon als ein sehr Großer bezeichnet. Angefangen haben die Gespräche dazu schon im Jahr 1999, jedoch wurden sie immer wieder unterbrochen oder stagnierten beim Versuch der Einigung. Im Jahr 2019 konnten sich dann die Beteiligten auf die Grundsätze einigen, jedoch gab es Differenzen vor allem zum Thema Handel und auch starke Proteste französischer Bauernverbände haben ihren Beitrag zur Pausierung der Verhandlungen beigetragen. Seit 2023 wurden die Gespräche wieder aufgenommen, welche – nun doch sehr eilig – zu dem unterschriebenen Freihandelsabkommen führten.
Die kontroversen Meinungen sind spürbar. Vor allem spezielle Regierungen und große Unternehmen scheinen sehr positiv gestimmt zu sein von den Neuigkeiten. Jedoch gibt es auch viele besorgte Stimmen, die vor allem aus klein- und mittelständischen Unternehmen und der Zivilgesellschaft kommen. Letztere repräsentieren dabei häufig diejenigen, die keine Stimme haben: grundsätzlich diskriminierte und von Ungerechtigkeit betroffene Bevölkerung sowie die Natur, die schon seit langer Zeit unter den Lasten der Menschen zu zerbrechen droht.
Der nachfolgende Bericht möchte Klarheit über dieses so weitreichende Abkommen schaffen und die verschiedenen Standpunkte sowie das Ausmaß begutachten.
Das Freihandelsabkommen – achtsam mit der Umwelt und ihren Mitmenschen oder nur Greenwashing?
Die vielen Proteste und Stimmen gegen das Freihandelsabkommens von 2019 verpflichteten die Vertragsparteien dazu, die Sorgen ernst zu nehmen und einen zusätzlichen Text im Sinne des Naturschutzes und Schutz der Menschenrechte zu verabschieden. Dies klingt erst einmal positiv und lässt Hoffnung aufkeimen. Aber nimmt das jetzige Abkommen diese Themen wirklich ernst? Oder ist es nur eine Art Greenwashing um besorgte Stimmen zu besänftigen?
Das Institut Veblen machte es sich nach der Veröffentlichung der neuen und wohl endgültigen Fassung zur Aufgabe, diesen Text zu analysieren. Sie fanden heraus, dass die neuen Passagen nicht ausreichend bindend sind, um im Falle einer negativen Auswirkung auf die Umwelt oder auf die Menschenrechte, angemessen zu reagieren. Im Bereich des Naturschutzes beruft sich der Text auf die Verpflichtung der beteiligten Länder, Teil des Pariser Klimaabkommens zu sein. Dabei sticht allerdings heraus, dass die Verifizierung der Einhaltung des Abkommens nicht im Vordergrund steht, sondern die Vertragspartnerschaft auf dem Papier dafür ausreicht. Beispiel dafür ist die derzeitige umstrittene Haltung der argentinischen Regierung zum Klimawandel. Der argentinische Präsident Javier Milei spricht über das Pariser Klimaabkommen als „sozialisierende Agenda“ und dass die Vereinten Nationen Argentinien damit etwas „aufzwingen“ wollen. Noch dazu zog er sogar die Argentiniens Delegation von der UN-Klimakonferenz 2024 ab, auf der unter anderem über die Maßnahmen zur Implementierung des Pariser Klimaabkommens diskutiert wurde. Trotz dieser offenen Haltung gegen die Grundsätze, gibt es keine negativen Auswirkungen im Sinne des Freihandelsabkommens.
Ähnlich ist die Lage in Bezug auf die Klausel der Abholzung, welche nicht bindend und sehr vage formuliert ist. Die Analyse geht sogar noch weiter und ist besorgt, dass der Text die bestehenden EU-Abholzungsregelungen nicht beachtet. Auch die sogenannten „Mirror Measures“ werden im Vertragstext nicht aufgeführt. Es geht dabei um Maßnahmen der EU, die die Einhaltung der EU-Standards von importierten Produkten aus dem Nicht-EU-Ausland versichern. Brasilien zum Beispiel interpretiert den Text dahingehend, dass das Land bei Benachteiligungen von Exporten durch EU-Regelungen Entschädigungen verlangen könnte.
Auch die Organisation ClientEarth setzt sich näher mit dem neuen Text auseinander und geht näher auf den Schutz vor Abholzung ein. Laut ihrer Analyse sind die Artikel 54, 55 und 56 so ausgelegt, dass die Mercosur-Länder die Umsetzung der EU-Abholzungsrichtlinien beeinflussen können.
Ähnliches wird von der seit den 1980er Jahren bestehenden deutschen Tropenwaldstiftung Oro Verde bestätigt, welche in ihrer Recherche zu dem Zusatztext herausfand:
„Dieses sogenannte Waldschutzinstrument beinhaltet jedoch keine konkreten zusätzlichen Verbindlichkeiten, schützt bedrohte Ökosysteme wie Savannen und Feuchtgebiete nicht und bleibt auch hinsichtlich Sanktionen und Durchsetzung vage. Die Mercosur-Staaten lehnen zusätzliche Umweltauflagen außerdem entschieden ab. […] [Das Abkommen] missachtet […] die Ziele der nachhaltigen Entwicklung, wie sie im Vertrag über die Europäische Union festgelegt sind. Auch mit dem EU-Klimagesetz ist das Abkommen unvereinbar. Denn laut eigener Angaben der EU-Kommission würde das Freihandelsabkommen die globalen Treibhausgasemissionen nicht nur nicht verringern, sondern sogar ankurbeln.“
Wer profitiert von diesem Abkommen?
Es gibt schon einige Freihandelsabkommen zwischen der EU und lateinamerikanischen Ländern, beispielsweise mit der Ländergemeinschaft Kolumbien, Ecuador und Peru sowie bilaterale Vereinbarungen mit Chile und Mexico. Aber das aktuelle Abkommen übersteigt die Bisherigen in ihrer Dimension: man spricht von dem größten Freihandelsabkommen weltweit. Wenn die Ratifizierung erfolgt, wird es 10% der Weltbevölkerung einschließen sowie 20% des weltweiten Bruttoinlandsprodukts. Auch entsteht dadurch die größte Freihandelszone mit 90% der Güter und Dienstleistungen frei von Zöllen. Die EU geht davon aus, dass sie jährlich 4 Milliarden Euro Ersparnis erzielen kann.
Die erneute Aufnahme der Gespräche wurde unter anderem von Deutschland und Spanien angetrieben, welche damit argumentieren, dass durch das Abkommen eine Sicherung von Lebensmitteln gegeben wird, die durch Krisen wie den Krieg in der Ukraine eingeschränkt sind. Auch besteht großes Interesse daran, die Verhandlungen noch vor dem Amtsantritt von Donald Trump 2025 abzuschließen, um eine alternative Wirtschaftszone zu haben, wenn durch diesen Regierungswechsel die Zölle in den USA erhöht werden. Außerdem sehen einige europäische Länder in dem Abkommen die Möglichkeit, sich von China in Teilen unabhängig zu machen und ihr den lateinamerikanischen Markt nicht zu überlassen. China ist dabei nicht zu unterschätzen: jedes Mercosur-Land hat heutzutage China auf Platz 1 oder 2 seiner Exportliste in Sachen landwirtschaftlicher und industrieller Produkte.
Deutschland profitiert von dem Abkommen besonders, da ihre Wirtschaft sehr abhängig von Exporten und auch Importen ist. Beispielsweise in der Automobilindustrie wird deutlich, dass dieses Abkommen große Hoffnung zur Auflösung für deren derzeitigen Krise darstellt. Deshalb ist es auch nicht überraschend, dass am 05. Dezember 2024, am Vortag der Einigung zwischen EU- und Mercosur-Staatschefs, die Mehrheit im Bundestag nach einer Debatte für das Abkommen stimmten.
Doch auch die Interessen an Rohstoffen aus Lateinamerika stechen heraus. Der Kontinent ist derzeit „größter Lieferant von Lithium […] und wichtiger Lieferant von Cobalt“. Beide Stoffe sind essentiell bei der Herstellung von vermeintlich klimaschützenden Produkten wie Elektroautos, Batterien zur Speicherung erneuerbarer Energien etc.
Aber nicht nur die Länder haben die Verhandlungen vorangetrieben. Auch sieht man eine sehr treibende Kraft in verschiedenen Lobbyverbände. In einem Bericht über das Abkommen von 2021 stechen zwei Vertreterkreise besonders heraus: zum einen handelt es sich um Business Europe, ein Lobbyverband, der 35 nationale Arbeitgeber in Europa vertritt. Zum anderen geht es um das European Services Forum (ESF), welches die Interessen von großen Firmen wie „Google, Apple, Deutsche Bank, DHL, IBM, Microsoft“ und die europäische Föderation der Ingenieure, des Baugewerbes sowie einiger Banken vertritt. Diese haben das Ziel, den Dienstleistungssektor sowie Themen wie Finanzangelegenheiten, Informations- und Kommunikationstechnologien, Big-Data-Management, Gesundheitswesen und Bildung zu fördern. Ziel ist es, diese Bereiche zu privatisieren und in die Hände dieser großen Firmen zu legen.
Auch kann man in mehreren Berichten erkennen, dass Pestizid-Firmen, wie Bayer und BASF, ihre Lobby zur schnellen Einigung des Abkommens nutzten. Dabei suchten und fanden sie Unterstützung von brasilianischen Verbänden der Agrarwirtschaft. Diese Unternehmen sehen großes Potential in der voraussichtlich sehr stark ansteigenden Nachfrage an Pestiziden, um eine schnellere und ertragreichere Ernte in der Landwirtschaft, auf lateinamerikanischer Seite, erzielen zu können. Wie schon weiter oben im Text angemerkt, enthält das Freihandelsabkommen keine ausreichend bindenden Abschnitte, die die Nutzung von in der EU verbotenen Pestiziden auf Mercosur-Boden verbietet.
Stimmen gegen das Abkommen von den Regierungen
Einige europäische Länder wie „Frankreich, Italien und Polen„, aber auch die Niederlande, Irland und Österreich sehen durch das Abkommen Nachteile für ihre eigene Wirtschaft und positionieren sich teilweise schon klar dagegen. Regierungen wie Frankreich haben eine entschlossene negative Haltung, die sie im Entscheidungsprozess kundtun.
Jedoch ist nicht sicher, wie viel die einzelnen Mitgliedsstaaten der EU wirklich ausrichten können. Schon vor 2019 und auch in den Gesprächsrunden zum Abkommen in 2023/2024 herrschte hohe Intransparenz und kaum demokratische Anhörungen. Sowohl die Mitgliedsstaaten als auch Abgeordnete der EU hatten in den Verhandlungen kaum Möglichkeit der Mitsprache und es wurden falsche oder nicht mehr gültige Informationen auf der Website der EU veröffentlicht, was die demokratischen Mitspracheprozesse noch erschwerten.
Die Besorgnis ist nun groß, dass die beteiligten Parteien den Deal splitten, um die negativen Stimmen weiterhin zu unterdrücken. Dies bedeutet, dass die Vereinbarung zunächst als Verbund von politischen und gewerblichen Themen gedacht war.[xxi] Wenn man diese nun aufteilt, nimmt man den Mitgliedsstaaten das Vetorecht sowie einigen nationalen und regionalen Parlamenten das Mitspracherecht bei der Handelskomponente, da durch die Spaltung nur noch eine qualifizierte Mehrheit im EU-Parlament und -Kommission für die Ratifizierung dieses Teils gebraucht wird.
Die Zivilgesellschaft – unermüdlich stark gegen das Abkommen
Die Intransparenz war aber vor allem spürbar für die betroffene Bevölkerung und die Zivilgesellschaft, indigene Gruppen, Gewerkschaften und Bauern- sowie Arbeiterverbände. Man sieht vor allem den Schutz der Natur und die Rechte der Bevölkerung beider Kontinente bedroht.
Foodwatch beispielsweise spricht von verheerenden Folgen für indigenen Bevölkerungen der Mercosur-Staaten sowie der Kleinbauern beider Kontinente. Eine offene Deklaration an die EU- und Mercosur-Länder, unterschrieben von 400 NGOs aus Lateinamerika und Europa geht auf ähnliche Punkte ein. Auch unterstreichen sie die Tatsache, dass die Verhandlungen in keinem Moment eine Anhörung der Zivilgesellschaft oder der Bevölkerung beinhalteten, sondern ausschließlich hinter verschlossenen Türen über die so weitreichenden Themen diskutiert wurden.
Die NGO Friends of the Earth ist gleichsam sehr besorgt und spricht davon, dass „dieses Abkommen enorme Macht den transnationalen Firmen überlässt sowie die Rechte der Arbeiter, Bauern und der indigenen Bevölkerung untergräbt“.
Die Natur hat keine Stimme
Laut der Petition der kontinentübergreifenden Koalition „Stop EU-Mercosur“ ist das Freihandelsabkommen eine unkontrollierte Öffnung des Marktes für große Landwirtschaftsfirmen, bei denen chemische Verfahren zum schnelleren und verbesserten Wachstum von Lebensmittel alltäglich sind. Die Bedrohung der Ernährungssouveränität der lateinamerikanischen Länder sowie die Eliminierung von kleinbäuerlichen und naturschonenden Betrieben ist dabei eine verheerende Folge. Auch die Verwendung von starken Pestiziden in der lateinamerikanischen Landwirtschaft, welche in der EU selbst verboten sind, ist zu befürchten. Ergo: um der internationalen Konkurrenz standzuhalten und für die Nachfrage angemessen zu produzieren, braucht es große Flächen, welche sehr wahrscheinlich durch massive Abholzung gewonnen werden. Dazu kommen Monokulturen, ein sehr hoher Wasserverbrauch und stark wirkende Pestizide. Ein Beispiel ist die Gewinnung von Ethanol durch Zuckerrohr. Die Pflanze wächst nur durch viel Wasser und auch Pestizide werden üblicherweise eingesetzt, wenn eine große Menge davon geerntet werden soll. Ein wichtiger Faktor: die EU ist sehr interessiert am Import von großen Mengen an Ethanol.
Ein anderes Beispiel sind die Zahlen im Bereich der Abholzung von wichtigen Wäldern in den Mercosur-Ländern, die auch schon ohne das Freihandelsabkommen erschreckend sind. Man geht davon aus, dass 120000 ha Land jährlich in den Mercosur-Staaten gerodet werden, um Rohstoffe und Lebensmittel für den Export in die EU zu erlangen. Dies entspricht einem abgeholzten Fußballfeld pro Minute. Es ist zu erwarten, dass diese erschreckenden Berichte durch das Abkommen vervielfältigt und zum Alltag werden.
Ungleichheit wird verstärkt
Eine Studie des Global Development Policy Center sprach schon 2021 davon, dass eine wirtschaftliche Stagnation durch ein solches Freihandelsabkommen vor allem in den beteiligten lateinamerikanischen Ländern die Folge sein wird, da die EU keine angemessenen wirtschaftlichen Gleichberechtigungswerkzeuge in die Verhandlungen mit hineinbringt und somit die Chancenungleichheit erhöht wird.
Unter den besonders betroffenen Bevölkerungsgruppen befinden sich diejenigen, die grundsätzlich unter Ungerechtigkeit und Diskriminierung leiden. Eine der am meisten bedrohten Gruppen sind die indigenen Völker. Die Sonderberichterstatter für Giftstoffe und Menschenrechte der UN haben schon im Jahr 2019 bei einem Besuch in Brasilien die Rechtsverletzungen der indigenen Bevölkerung durch die Verwendung von Pestiziden in der Landwirtschaft mit Besorgnis betrachtet.
Auch die deutsche Gesellschaft für bedrohte Völker e.V. alarmiert vor den Folgen:
„Für indigene Gemeinschaften in Südamerika, deren Territorien oft die Grundlage für Rohstoffabbau und Agrarwirtschaft sind, ist das EU-Mercosur-Abkommen eine Bedrohung ihrer Lebensgrundlage. Das Abkommen fördert Landnahme, Umweltzerstörung und die Verletzung indigener Rechte. Es ist der Inbegriff einer Politik, die Klimaschutz und Menschenrechte gegeneinander ausspielt“.
Auch Frauen sind unter den vom Freihandelsabkommen besonders betroffene Gruppe. In einer Publikation von 2023, herausgegeben durch Powershift e.V. gemeinsam mit dem Institut Equit und dem brasilianischen Netzwerk Rebrip, zeigen die verheerenden Folgen des Freihandelsabkommens für Frauen vor allem auf Seiten des Mercosur auf. Schon ohne das Freihandelsabkommen sind Frauen in Lateinamerika von Benachteiligung und Diskriminierung um einiges stärker betroffen. Beispielsweise haben sie einen geringeren Zugang zu Ressourcen und verrichten häufig unbezahlte oder sehr schlecht bezahlte Tätigkeiten. In dem Bericht gehen die Organisationen näher auf die Textilindustrie in den Mercosur-Ländern ein, bei der Frauen häufig unter schlechten Bedingungen angestellt werden, in Argentinien und Brasilien geht man davon aus, dass 2/3 der Mitarbeitenden Frauen sind.
Durch das EU-Mercosur-Abkommen wird diese, wenn auch prekäre, finanzielle Quelle voraussichtlich nicht mehr standhalten. Man erwartet 300-400% mehr Import aus Europa, unter anderem von Textilien, die um einiges günstiger verkauft werden können, als die im eigenen Kontinent produzierten. Dies geht darauf zurück, dass die Textilindustrie in Europa ihre Materialen in China billig einkauft, die Produkte in der EU zusammenfügen und sie dadurch in den Mercosur-Ländern als EU-Produkt verkaufen können. Auch bei der Landwirtschaft werden viele Produkte durch hohe europäische Subventionen kostengünstig nach Lateinamerika eingeführt und nehmen dort den Kleinbauern und -bäuerinnen die Lebensgrundlage weg. Dazu kommt, dass die Steuereinnahmen der Länder durch die Aufhebung der Zölle abnehmen wird, was sich wiederum auf die staatlichen Ausgaben voraussichtlich im sozialen Bereich auswirken wird. Kinder- und Altenbetreuung wird deshalb in vielen Fällen wieder in die Hände von Frauen fallen, was einen Anstieg der nicht-monetären Arbeiten und somit zu einer verstärkten Abhängigkeit von finanzieller Unterstützung meist in patriarchalen Strukturen führt.
Im Allgemeinen kann man davon ausgehen, dass viele kleine und mittelständische Betriebe der Mercosur-Länder von der Kraft multinationaler großer Firmen überrollt werden und dadurch eine große Anzahl an Arbeitsplätzen verloren gehen.
Aber auch Landwirtschaftsverbände in der EU setzen sich gegen das Abkommen ein und warnen vor den Folgen für die klein- und mittelständische Landwirtschaft in Europa, die schon seit langem geschwächt ist. Sie befürchten explizit, dass billige und durch Pestizide sowie Gentechnik produzierte Lebensmittel den EU-Markt überschwemmen und dadurch kleine bäuerliche Strukturen keine Chance mehr haben.
Fazit: ein neokolonialistisches Abkommen, das die Interessen großer Unternehmen vertritt
Auf den ersten Blick scheint das Freihandelsabkommen EU-Mercosur ein großer Erfolg und vielversprechend zu sein, mit achtsamen Klauseln für Umwelt und Mensch. Schnell wird allerdings klar, was dies wirklich bedeutet und wie Fehlinformationen und Intransparenz die Möglichkeit zu einer freien und unabhängigen Entscheidung der Bevölkerung einschränken.
Was die Recherche vor allem deutlich macht ist die erschreckenden und nicht immer präsenten Auswirkungen:
Kleinbäuerliche Landwirtschaft, das Leben im Einklang mit der Natur, die Unabhängigkeit von großen kapitalistischen Systemen, achtsame Techniken zur Schöpfung von Rohstoffen, allgemeine Menschen- und Umweltrechte. Eine Vielzahl an Lebensweisen, Alternativen zu dem typischen, profitorientierten oftmals kolonialistischen Handeln, wird durch dieses Abkommen zerstört. Die Souveränität und kulturelles Erbe durch die Interessen einiger großer Firmen unterdrückt. Zusammengefasst: neokolonialistische Verhaltensweisen in Lateinamerika werden durch das Abkommen gefördert. Und dabei geht es nicht nur um den Bereich der Produktion, sondern auch um Dienstleistungen, wie im Gesundheitssektor und der Bildung sowie um so wichtige Ressourcen wie Wasser und Energie. Die Privatisierung dieser Sparten durch internationale Firmen stellt eine Bedrohung des Zugangs von so fundamentalen Punkten wie Gesundheit, Bildung und Wasser dar.
Wenn man sich die Befürworter*innen genauer ansieht, sticht eine gewisse Systematik ins Auge: die Gewinner des Abkommens sind große Konzerne und deren Interessen sowie einige Länder, welche die Möglichkeit zur Stabilisierung und die Schaffung von Unabhängigkeit darin erkennen.
Ausbeutung, extreme Armut, Vertreibung vom eigenen Land, Zerstörung des natürlichen Lebensraums vieler Spezies und die Förderung der globalen Erwärmung sind nur einige Folgen, die kaum zu verleugnen sind. Und in diesem Zusammengang wird eine Konsequenz wohl kaum ausbleiben: die Zunahme der Gewalt gegen diejenigen, die ihre Rechte verteidigen und gegen die Interessen der großen Firmen aufstehen. Schon ohne das Abkommen spricht die Organisation Global Witness in ihrem Bericht 2023 davon, dass Lateinamerika die gefährlichste Region für Umweltaktivist*innen ist.
Ein Stück weit können die Regierungen individuelle, ausgleichende Maßnahmen und Regulierungen in Kraft setzen, um die Strukturen ausreichend gerecht zu balancieren. Allerdings ist dies ein schmaler Grat und setzt eine inkludierende soziale politische Landschaft voraus, die immer häufiger sowohl in Lateinamerika als auch in Europa nicht gegen ist. Umso wichtiger sind bindende, starke Abkommen und Gesetze, die alle Teile der Bevölkerung einschließt, diejenigen mitdenkt, die sonst häufig ausgeschlossen werden, Menschenrechte kompromisslos durchsetzen und die Natur schützt.
Noch stehen einige Verhandlungen aus und es gibt auch Hoffnung, dass die Ratifizierung gestoppt werden kann. Dies ist allerdings nur möglich, wenn ein faires und demokratisches Verfahren zur Abstimmung über das Abkommen gegeben ist. Aus diesem Grund ist es essenziell, das Abkommen nicht zu splitten sowie alle weiteren Schritte transparent mit der Öffentlichkeit zu teilen.