Hintergrund und aktuelle Ereignisse
Wikileaks-Gründer Julian Assange veröffentlichte 2010 geheime US-Militärdokumente, aus denen schwerste Kriegsverbrechen des amerikanischen Militärs in Afghanistan und dem Irak hervorgingen. Die veröffentlichten Dokumente enthielten Berichte über mehr als 300 Fälle von Folter im Irak sowie Informationen über 150 unschuldige Insassen des Gefangenenlagers in Guantánamo. Zudem wurde ein Video veröffentlicht, das den Angriff eines Kampfhubschraubers zeigt, bei dem irakische Zivilisten und Journalisten getötet wurden.
Am Morgen des 24. Juni 2024 wurde Julian Assange nach fünf Jahren Isolationshaft aus dem britischen Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh entlassen. Grund ist ein Deal mit der amerikanischen Justiz. Assange musste sich schuldig bekennen, geheime US-Militärdokumente beschafft und weitergegeben zu haben. Durch dieses Geständnis ist es ihm nun möglich, als “free man” nach Australien zurückzukehren. Am Abend des 26. Juni 2024 wurde die Vereinbarung durch ein US-amerikanisches Gericht auf den Marianeninseln, einem US-Außengebiet nördlich Australiens, bestätigt. So wurde Assange zwar wegen Verschwörung zur Beschaffung und Weitergabe von Informationen zur nationalen Verteidigung zu fünf Jahren Haft verurteilt, muss diese Strafe jedoch nicht in den USA verbüßen, da sie mit seiner Inhaftierung in Großbritannien verrechnet wurde.
Ein fairer Deal?
Assanges Freilassung wird international zurecht als Erfolg für ihn persönlich und die Pressefreiheit angesehen und gefeiert. Nicht zuletzt aufgrund der miserablen Haftbedingungen handelt es sich um einen wichtigen und längst überfälligen Schritt. Doch die Tatsache, dass die USA trotz jahrelanger Inhaftierung und internationaler Kritik an einer Verurteilung festhalten, wirft die Frage auf, ob der Deal nicht vielmehr ein politisches Machtspiel ist.
Die Ermittlungen gegen Assange erstreckten sich über einen Zeitraum von 14 Jahren; seit 2012 ist er auf der Flucht und seit 2019 in Einzelhaft – mit erheblichen psychischen Folgen. Nach Nils Melzers, UN-Sonderberichterstatter über Folter, medizinischer und rechtlicher Auswertung zeigte Assange „ganz klar die für Opfer psychischer Folter typischen neurologischen, kognitiven und emotionalen Symptome. Es war das von den Staaten absichtlich inszenierte Zusammenspiel von Isolation, Verleumdung, Demütigung, Verunsicherung und ständiger Willkür […].“
Sowohl das Recht auf ein faires Verfahren und das Verbot der Folter nach den Art. 3 und Art. 6 der EMRK als auch das Recht auf körperliche und geistige Unversehrtheit nach Art. 3 der EU-Grundrechte-Charta sind während Assanges Haft in Belmarsh verletzt worden. Im Falle einer Auslieferung an die USA hätten ihm dort 175 Jahre Haft unter noch schlechteren Bedingungen gedroht. Die einzige Möglichkeit, dem zu entgehen und seine Freiheit wiederzuerlangen, schien ein Geständnis.
Die USA stützen ihre Vorwürfe unter anderem auf den sogenannten „Espionage Act“. Dessen Anwendung erscheint willkürlich und wird durch die Justiz immer mehr erweitert und missbraucht, um auf den investigativen Journalismus verfolgen zu können. Die USA verbuchen vermehrt Veröffentlichungen von Whistleblowern unter Spionage und kriminalisieren damit Journalisten. Letztlich versuchen die USA, die Veröffentlichung von kritischen Regierungsdokumenten und die Aufdeckung von Rechtsverletzungen zu verhindern, um sich der Verantwortung zu entziehen, die eigenen politischen und militärischen Taten international rechtfertigen zu müssen. Letztlich senden die USA auch mit dem Deal das Signal, dass die Publizierung menschenrechtswidriger militärischer Handlungen ein Verbrechen sei und erklären Assange zum Staatsfeind.
Die Vorgehensweise der Justiz in Großbritannien sowie die Strafandrohung der USA stehen im Widerspruch zu grundlegenden Menschenrechten, insbesondere der Pressefreiheit. Die Haftbedingungen Assanges stellen eindeutige Verletzungen fundamentaler Menschenrechte dar. Das Handeln von Großbritannien und den USA ist aus demokratischer Sicht nicht zu rechtfertigen und aufs Schärfste zu kritisieren.
“Der Fall Julian Assanges zeigt nicht nur, welche schwersten Menschenrechtsverletzungen im Zusammenhang mit den Kriegen der Westmächte begangen wurden, sondern auch, wie notwendig und richtig es ist, dagegen konsequent auf internationaler Ebene zu kämpfen.” – Eberhard Schultz, Vorstandsmitglied der Internationalen Liga für Menschenrechte.
Quellen