I.
Der Stellvertreterkrieg zwischen der Nato und Russland, bei dem zumindest
einige Nato-Staaten, wie Deutschland, mittlerweile zur faktischen Kriegspartei
mutiert sind, zeigt eine in der jüngsten Gegenwart in Europa nie dagewesene
militärische Konfrontation mit enormen Ausgaben für Waffenlieferungen und
Militärtechnik, bedeutet zugleich eine gigantische Aufrüstung. Die zunächst
legitime Selbstverteidigung der Ukraine gegen den völkerrechtswidrigen
Angriffskrieg Russlands hat sich mit einer völkerrechtswidrigen
Unverhältnismäßigkeit verbunden.
Diese Spirale von Krieg, Gewalt , Tod und unsäglichem Leid muss mit Vernunft
und dem unüberhörbaren Ruf nach dem Menschenrecht auf Frieden gestoppt
werden. Bundeskanzler Scholz, der kürzlich in München und in der Öffentlichkeit
lauthals verkündete, dass diejenigen, die nun mit Friedenstauben auf dem Platz
umherliefen, „vielleicht gefallene Engel (seien), die aus der Hölle kommen, weil
sie letztendlich einem Kriegstreiber das Wort reden“, befindet sich mit dieser
Diffamierung ganzer Teile der Bevölkerung wohl nah am Rand strafbarer
Volksverhetzung und offenbart eine erschreckende friedensphilosophische
Ahnungslosigkeit. Kennt der Kanzler nicht Immanuel Kants „Zum ewigen
Frieden“, wonach in Abwandlung eines berühmten Zitats daraus die
eigentlichen Kriegstreiber „Teufel“ genannt werden können? „Gefallene Engel“
sind bekanntlich „Teufel“ und die sind mit Kant nicht etwa jene, die sich gegen
die Lieferung immer schwerer Kriegstechnik aussprechen, die dazu aufrufen,
dass die Kriegsparteien endlich verhandeln sollten, sondern jene, die nach dem
Motto handeln, mit Krieg den Frieden erreichen zu wollen, oder jene, die wie
die deutsche Außenministerin behaupten, mit immer mehr Lieferungen von
schweren Waffen Menschenleben zu retten. „Teufel“ sind damit alle
Kriegsparteien, an denen Friedensverhandlungen bisher gescheitert sind und
weiter scheitern. Dazu gehört die Führung Russlands ebenso wie die der USA
und der anderen am Krieg direkt oder indirekt beteiligten Nato-Staaten. Das „Teuflische“ besteht dabei aber auch darin, dass die reale Menschheitsgefährdung durch einen Atomkrieg heruntergespielt und damit billigend in Kauf genommen wird.
II.
Schritte zur Normierung des Menschenrechts auf Frieden
Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages haben im Jahre
2019 eine Ausarbeitung vorgelegt, aus der u.a. hervorgeht, dass in einigen
Ländern und in internationalen Menschenrechtserklärungen bereits ein
Menschenrecht auf Frieden normiert ist.
So erkennt auf regionaler Ebene die Afrikanische Menschenrechtscharta von
1981 in Art. 23 ein Menschenrecht auf Frieden an. Die Verfassung Kolumbiens
von 1991 formuliert in Art. 22: „La paz es un derecho y un deber de obligatorio
cumplimiento.“1
Besonders bedeutsam aber sind internationalen Vorstöße zur Normierung
eines Menschenrechts auf Frieden. Das fand seinen spezifischen Ausdruck mit
der Resolution der VN-Generalversammlung vom 19. Dezember 2016, welche
auf eine gleichlautende, von Kuba eingebrachte Resolution des VN-
Menschenrechtsrats vom 1. Juli 2016 Bezug nahm. In der Resolution der VN-
Generalversammlung von 2016 heißt es:
Artikel 1: „Jeder hat das Recht auf den Genuss von Frieden unter Bedingungen,
in denen alle Menschenrechte gefördert und geschützt werden und die
Entwicklung voll verwirklicht wird.“
Artikel 3: „Die Staaten, die Vereinten Nationen und die Sonderorganisationen,
namentlich die Organisation der Vereinten Nationen für Erziehung,
Wissenschaft und Kultur, sollen geeignete nachhaltige Maßnahmen zur
Umsetzung dieser Erklärung treffen.“2
Deutschland hat 2016 bei der Abstimmung über ein „Menschenrecht auf
Frieden“ sowohl im VN-Menschenrechtsrat als auch in der VN-
Generalversammlung gegen die jeweiligen Resolutionen gestimmt. Eine
offizielle Begründung für das Abstimmungsverhalten existiert offenbar nicht.3
Jedoch lassen sich Rückschlüsse aus den Vorbehalten einiger anderer Länder
wie auch der EU ziehen. So behauptet die EU u.a., dass es weder eine
vereinbarte Definition von Frieden noch eine Einigung darüber gäbe, wer die
Rechtsträger und Pflichtenträger eines solchen Rechts sein sollen.4
Die Wissenschaftlichen Dienste des Bundestages vertreten die Auffassung, dass
die von der VN-Generalversammlung im Jahre 2016 verabschiedete Resolution
zum „Menschenrecht auf Frieden“ völkerrechtlich per se nicht bindend sei,
sondern sich (nur) dem sogenannten völkerrechtlichen soft law zuordnen lasse.
Ob soft law im Laufe der Zeit zu Völkergewohnheitsrecht erstarke, hänge von
der Staatenpraxis und der sie tragenden Rechtsüberzeugung ab.5
Zu erinnern ist hier aber auch an den VN-Atomwaffenverbotsvertrag, der am
21.1.2021 in Kraft trat. Zu den Unterzeichnern gehören allerdings weder die
Atommächte noch die Nato-Staaten inklusive Deutschland. Über 80 Länder sind
dem Vertrag aber mittlerweile beigetreten. Dieser Vertrag formuliert ein klares
internationales Verständnis seitens der Staaten und der Zivilgesellschaften,
dass der Einsatz von nuklearen Waffen unabhängig von ihren Gründen
inakzeptabel ist.6
Die Weltkonferenz für Menschenrechte in Wien im Jahre 1993 hat klar
gemacht, dass Menschenrechte universell, unteilbar und interdependent sind:
„Sie gelten überall auf der Welt, für alle Menschen, zu jeder Zeit; sie sind
gleichrangig – man kann die bürgerlichen und politischen Menschenrechte
nicht von den wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechten
trennen – denn sie sind voneinander abhängig und verstärken sich
gegenseitig.“7
Es gilt die Universalität und Unteilbarkeit der Menschenrechte. Die
Internationale Liga für Menschenrechte wirkt darauf hin, dass auch das
Völkerrecht, insbesondere die UN-Charta, und im nationalen Rahmen das
Grundgesetz in diesem Sinne interpretiert werden. Schließlich formulieren das
Gewaltverbot der VN-Charta und das Friedensgebot des Grundgesetzes
unverrückbare Prinzipien. Die Internatioanle Liga für Menschenrechte setzt sich
dafür ein, ihnen im Völkerrecht normative Kraft zu verleihen. Nur mit diesem
Kampf werden die „Teufel“ für immer in die Hölle verbannt.
- Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages, Zum Menschenrecht auf Frieden, WD 2 – 3000 – 003/19, S. 4.
- Ebenda, S. 4 f.
- Ebenda, S. 5.
- Ebenda, S. 6.
- Ebenda, S. 7, vgl. dazu auch Heinz, Vereinte Nationen 5/2021, S. 224; ders.; Das Recht auf Frieden (1984–2017) bei den Vereinten Nationen, 190904_Recht_auf_Frieden_ReaderA4.pdf (kathrin-vogler.de) – zuletzt aufgerufen: 27.8.2023, sowie Paech, Recht auf Frieden, Recht auf Frieden | Netzwerk Friedenskooperative – zuletzt aufgerufen: 27.8.2023.
- https://www.icrc.org/de/document/warum-der-atomwaffenverbotsvertrag-wichtig-ist (zuletzt aufgerufen: 28.8.2023).
- Rudolf, Institut für Menschenrechte, Ohne Menschenrechte gibt es keinen Frieden, https://www.institut-fuer-menschenrechte.de/im-fokus/ohne-menschenrechte-gibt-es-keinen-frieden zuletzt aufgerufen: 27.8.2023.