Nach Verabschiedung der Europäischen Richtlinie zum Hinweisgeberschutz durch das Europäische Parlament und den Rat der Europäischen Union ist diese am 16.12.2019 offiziell als Direktive 2019/1937 in Kraft getreten. Zum Schutz der Whistleblower, deutsch Hinweisgeber, sind die Mitgliedsstaaten verpflichtet, ein System von internen und externen Meldekanälen einzurichten. Die EU-Mitgliedsstaaten haben nunmehr bis zum 17.12.2021 zwei Jahre Zeit, die Richtlinie als Mindestanforderung in ihre nationale Gesetzgebung einzubringen. Die EU-Richtlinie deckt einen breiten Bereich u.a. von Finanzdienstleistungen, Finanzprodukten, Steuerbetrug, Geldwäsche, Korruption, Produktsicherheit, Verkehrssicherheit, Umweltschutz, öffentliche Gesundheit, Verbraucherschutz bis hin zum Datenschutz und Sicherheit von Netz- und Informationssystemen ab.
Aus Angst vor Repressalien schrecken Whistleblower zunächst davor zurück, ihre Bedenken oder ihren Verdacht zu melden. Daher wurde sowohl auf europäischer als auch auf internationaler Ebene zunehmend erkannt, dass es eines ausgewogenen und effizienten Hinweisgeberschutzes bedarf, da Whistleblower maßgeblich dazu beitragen, Gesetzesverstöße, die das öffentliche Interesse beeinträchtigen, aufzudecken und zu unterbinden – und damit das Gemeinwohl zu schützen.
Die EU-Richtlinie ist in diesem Sinne ein Schritt in die richtige Richtung. Bei ihrer nationalen Umsetzung muss das Ziel der Aufdeckung aber auch auf gesetzwidrige Verfahrensweisen ausgeweitet werden, die der Geheimhaltung unterliegen – selbst wenn die Richtlinie empfiehlt, den Schutz von Verschlusssachen aus Sicherheitsgründen unberührt zu lassen. Nur so wird es öffentlichen und privaten nationalen und internationalen Organisationen nicht mehr möglich sein, rechtswidrige Vorgehensweisen, die die Gefährdung oder die Schädigung des öffentlichen Interesses betreffen, durch Einstufung als Verschlusssache unzugänglich zu machen und damit der Aufdeckung und Strafverfolgung zu entziehen.
Im Gesetz zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen hatte der Deutsche Bundestag in seiner Umsetzung der EU-Richtlinie 2016/943 den Unternehmen die Definition für Verschlusssachen nicht überlassen. Diese Richtlinie enthält Vorschriften, die gewährleisten sollen, dass ein ausreichender und kohärenter zivilrechtlicher Schutz für den Fall des rechtswidrigen Erwerbs oder der rechtswidrigen Nutzung oder Offenlegung eines Geschäftsgeheimnisses besteht. So muss auch bei der Umsetzung der Richtlinie zum Schutz von Hinweisgebern verfahren werden.
Das Inkrafttreten der EU-Richtlinie zum Schutz von Whistleblowern nimmt die Liga zum Anlass, die EU-Mitgliedsstaaten erneut dazu aufzurufen, ihre Haltung im Zusammenhang mit den Enthüllungen von Edward Snowden für den Bereich Datenschutz und Geheimdienste zu überdenken. Als ehemaliger Mitarbeiter der „National Security Agency“ (NSA) hatte er 2013 den größten, bisher bekannten globalen Massenüberwachungsskandal durch britische und US-amerikanische Geheimdienste aufgedeckt. Er machte damit die Verletzung von Menschenrechten auf Privatsphäre und unkontrollierte Kommunikation sowie massenhafte Verstöße gegen den Datenschutz öffentlich (Art. 12 AEMR, Art7 EMRK, Art 8 GRCh). Wegen seiner mutigen und selbstlosen Aufklärung der unverhältnismäßigen und verdachtsunabhängigen Ausspähung unzähliger Menschen wurde Edward Snowden vielfach geehrt. Die Liga zeichnete ihn 2014 als Dank für seinen Mut und seine überzeugende Zivilcourage mit der Carl-von-Ossietzky-Medaille aus. Ihm, dem kompromisslosen Kämpfer für das Menschenrecht auf den Schutz persönlicher Daten, verweigerten in der Folge ca. 20 europäische und außereuropäische Staaten das Menschenrecht auf Asyl, ungeachtet der systematischen Verstöße gegen die Rechte der Bürgerinnen und Bürger eben dieser Staaten und ihrer politisch Verantwortlichen (Art.14 AEMR). Schon am 29. Oktober 2015 empfahl das Europäische Parlament in einer Resolution den Mitgliedstaaten, alle Vorwürfe gegen Snowden fallen zu lassen, ihm als Menschenrechtler Schutz zu gewähren und jede Auslieferung zu verhindern. Einzig in Moskau hatte Snowden Schutz gefunden; sein bereits verlängertes Asyl läuft im Frühjahr 2020 ab.
Auch der australische investigative Journalist Julian Assange hat als Begründer der Enthüllungsplattform WikiLeaks zentrale geheime Dokumente im öffentlichen Interesse allgemein verfügbar gemacht. Er flüchtete am 19. Juni 2012 aus begründeter Angst vor seiner Auslieferung durch Schweden an die USA in die Botschaft der Republik Ecuador in London. Hier lebte er fast sieben Jahre „ausgesperrt“, bis er 2019 von Sicherheitskräften wegen Verstoßes gegen britische Kautionsauflagen aus der Botschaft gezerrt und zu 50 Wochen Haft verurteilt wurde. Am 25. Februar 2020 beginnt die Verhandlung zu einem Auslieferungsantrag der US-amerikanischen Justiz. Diese wirft Assange vor, der Whistleblowerin Chelsea Manning geholfen zu haben, geheimes Material zu menschenrechtswidrigen Handlungen bei US-amerikanischen Militäreinsätzen im Irak und in Afghanistan zu veröffentlichen.
Die Haftstrafe verbüßt Assange im Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh, wo ihn der UN-Sonderberichterstatter über Folter, Nils Melzer, in Begleitung von Ärzten im Mai und im November 2019 besuchte. Für ihn waren Symptome anhaltender psychologischer Folter als Folge der verschärften Isolationshaft unübersehbar. 10 Tage nach Melzers Bewertung wurde Assange in den Krankenflügel des Gefängnisses verlegt. Der UN-Sonderberichterstatter hält Assanges Gesundheitszustand für lebensbedrohlich, wie er Anfang November in einer weiteren Mitteilung bekanntgab und beklagt das allseitige Desinteresse an seinem Befund. Auch das deutsche Außenministerium sah keinen Anlass, Melzers Bericht Bedeutung beizumessen. In offiziellen Schreiben, die Ende Mai 2019 an die Regierungen von Ecuador, der USA, Großbritannien und Schweden verschickt worden waren, forderte Melzer die vier beteiligten Regierungen auf, von der weiteren Verbreitung, Anstiftung oder Duldung von Erklärungen oder anderen Aktivitäten abzusehen, die die Menschenrechte und die Würde von Assange beeinträchtigen, aber Maßnahmen zu ergreifen, um ihm angemessene Rechtsbehelfe und Rehabilitation für frühere Schäden zu bieten.
Aus dem Bericht zu Assange des UN-Sonderberichterstatters über Folter, Nils Melzer, geht hervor, dass WikiLeaks unumstritten Kriegsverbrechen und Korruption ans Licht brachte. Weiterhin habe die Plattform den Vorhang vor Regierungs- und Konzernkriminalität gelüftet. Paradoxerweise werde der Journalist Assange, der diese Verbrechen offengelegt hat, verfolgt und sein Recht auf Meinungs- und Informationsfreiheit verletzt (Art 11 GRCh, Art 10 EMRK, Art 19 Zivilpakt). Noch dazu hatte eine Arbeitsgruppe der Vereinten Nationen für willkürliche Verhaftungen die britische Regierung schon 2016 aufgerufen, ihn freizulassen. Die dem UN-Menschenrechtsrat unterstehende Arbeitsgruppe hatte in einer Stellungnahme die „Festsetzung“ Assanges in der Botschaft als illegal und menschenrechtswidrig bezeichnet (Art 5 AEMR, Art 7, 10 Zivilpakt, Art 4 GRCh).
Am Tag der Inkraftsetzung der Richtlinie 2019/1937 stellte der Erste Vizepräsident der Europäischen Kommission Frans Timmermans fest: „Viele der jüngsten Skandale wären nicht ans Licht gekommen, hätten Hinweisgeber nicht den Mut gehabt, sie zu melden. Wer richtig handelt, sollte nicht bestraft werden. Mit dem heutigen Vorschlag werden zudem auch jene geschützt, die investigativen Journalisten als Quelle dienen und damit dazu beitragen, dass die Meinungsfreiheit und die Medienfreiheit in Europa gewahrt bleiben.“
Die Vereinigten Staaten von Amerika dagegen versuchen, die Auslieferung beider Hinweisgeber durchzusetzen, um sie in den USA vor Gericht zu stellen. Sie werden sich nicht damit begnügen, dass die Veröffentlichung von Verschlusssachen bereits einschneidende Auswirkungen auf die persönliche Lebensführung der Urheber hat, sondern darauf hinwirken, dass die US-amerikanische Strafverfolgung mit allen ihren Konsequenzen die gewünschte abschreckende Wirkung für eventuelle NachahmerInnen entfaltet. Diesem Ansinnen widerspricht der Geist der EU-Richtlinie zum Schutz von Whistleblowern.
Die Internationale Liga für Menschenrechte stellt sich auf die Seite aller HinweisgeberInnen, die Verstöße gegen Völkerrecht und Menschenrechte aufdecken.
Die Liga erwartet, dass die Parlamente der Mitgliedsstaaten der EU die Richtlinie 2019/1937 zügig und im besten Sinne zum Schutz von HinweisgeberInnen umsetzen, besonders, wenn diese sich verpflichtet sehen, im öffentlichen Interesse geheime Dokumente weiterzugeben.
Die Liga fordert Freizügigkeit für den Hinweisgeber Edward Snowden, unbefristetes Asyl in den Mitgliedsstaaten der EU und Schutz vor Auslieferung an die USA.
Die Liga fordert die sofortige Freilassung des Hinweisgebers Julian Assange aus humanitären Gründen, angemessene Gesundheitsfürsorge, Zugang zu allen Akten für seine Verteidigung, Schutz vor Auslieferung an die USA und Asyl in den Mitgliedsstaaten der EU.
Abkürzungen
AEMR: Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, 1948
EMRK: Europäische Menschenrechtskonvention, 1950
UN-Sozialpakt: Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte, 1966
UN-Zivilpakt: Internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte, 1966
GRCh: Charta der Grundrechte der Europäischen Union, 2000
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