„Jeder Mensch hat das Recht auf angemessenen Wohnraum. Das Land fördert die Schaffung und Erhaltung von angemessenem Wohnraum, insbesondere für Menschen mit geringem Einkommen, sowie die Bildung von Wohnungseigentum.“
(Artikel 28 der Berliner Landesverfassung)
Kaum ein Thema treibt gegenwärtig Politiker*innen und Medien mehr um als die zunehmende Wohnungsnot (wachsende Zahl von Wohnungs- und Obdachlosen, exorbitante Mietsteigerungen, Verdrängung) – von den Betroffenen ganz zu schweigen. Doch diese haben längst begonnen, sich zu wehren und in Mieter*inneninitiativen, Bündnissen wie das gegen #Mietenwahnsinn, zusammengeschlossen. Zwangsräumungen wurden blockiert, leerstehende Häuser besetzt. Kiezinitiativen verhinderten in Kreuzberg einen Google-Campus – weltweit zum ersten Mal. Das Kosmosviertel wurde rekommunalisiert. Auch die Kampagne „Deutsche Wohnen enteignen“ verstärkt diese Bewegung. Politiker*innen verschiedener Parteien (Linken, Grünen, Sozialdemokrat*innen) machen mobil. Langsam beginnen die Verantwortlichen auch auf Bundesebene die soziale Sprengkraft der Wohnungsfrage zu erkennen. Dabei kämpfen Obdachlosenorganisationen seit Jahren gegen die zunehmende Zahl von Menschen ohne Wohnung, darunter immer mehr Jugendliche, Frauen und ganze Familien. Flüchtlingsinitiativen wehren sich, dass viele Geflüchtete und andere Nichtdeutsche mit befristeten Aufenthaltstitel auch in Berlin immer noch keinen Wohnberechtigungsschein erhalten.
Als rechtliches Fundament auch für die gesellschaftspolitische Arbeit im Bereich Wohnen bietet sich das soziale Menschenrecht auf angemessene Wohnung für alle an, wie es im Art 11 I UN-Sozialpakt von 1966 und der Artikel 28 der Berliner Landesverfassung (VvB, s.o.) festgeschrieben ist. Diese sehen wir als Instrumente an, um die Initiativen zu unterstützen, die sich in ihren Aktivitäten und Mobilisierungen somit schon jetzt für das soziale Menschenrecht auf angemessenes Wohnen für alle engagieren. Die Initiativen gegen Zwangsräumungen, die vielen Mieter*innengemeinschaften, die sich gegen Mieterhöhungen und Verdrängung wehren, die Kampagnen, die eine soziale Ausrichtung der Wohnungspolitik bis hin zur Enteignung großer Immobilienkonzerne fordern, ersetzen im Moment die eigentlich notwendige staatliche und öffentliche Verantwortung für eine umfassende soziale Wohnversorgung. Bis jetzt werden die Verpflichtungen aus diesen Normen bei uns nicht umgesetzt. Dabei müssen soziale Menschenrechte genauso durchgesetzt werden wie die bürgerlichen Freiheitsrechte:
Den UN-Sozialpakt von 1966 hat die Bundesregierung zwar schon ratifiziert, aber immer noch nicht das dazu gehörende Zusatzprotokoll. Doch dies wäre Voraussetzung dafür, dass die Betroffenen die Möglichkeit haben, ihr Recht auf angemessenen und bezahlbaren Wohnraum notfalls auch vor (internationalen) Gerichten und einer Beschwerde gegen die Bundesregierung beim zuständigen UN-Ausschuss für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (WSK) durchsetzen zu können. Obwohl im jetzigen Koalitionsvertrag der GroKo sogar steht, die Unterzeichnung werde „angestrebt“, ist das bisher immer noch nicht in Sicht. Dies wird auch vom UN-WSK-Ausschuss in der Stellungnahme zum aktuellen Staatenbericht der Bundesregierung scharf kritisiert, ebenso wie die Defizite bei der Umsetzung des Rechts auf Wohnen (s. u.). Wie viel Zeit soll noch vergehen, bis das Gewicht dieser Rechte anerkannt wird und die daraus erwachsenden Leistungsansprüche vom deutschen Staat endlich umgesetzt werden? Jede und jeder von uns hat das Recht auf bezahlbaren Wohnraum! Politische Abwägungsprozesse haben in existenziellen Fragen immer im Interesse der Menschen und nicht der Wohnungsunternehmen stattzufinden, wenn Deutschland wirklich eine soziale Demokratie sein will.
Mit unserer Initiative wollen wir alle Betroffenen und alle Organisationen unterstützen, die sich schon jetzt für die sozialen Rechte der Mieterinnen und Mieter einsetzen und rufen Politiker*innen und Verwaltung dazu auf, sich für die Umsetzung des sozialen Menschenrechts auf eine angemessene Wohnung zu erschwinglichen Preisen für alle einzusetzen. Gemeinsam können wir damit dazu beitragen, den Mietenwahnsinn zu stoppen.
Erstunterzeichner*innen (Stand 4.4.19)
Eberhard-Schultz-Stiftung für soziale Menschenrechte und Partizipation, Internationale Liga für Menschenrechte, Humanistische Union, attac Berlin, Rouzbeh Taheri (Kampagne Deutsche Wohnen & Co enteignen), Mieterprotest Kosmosviertel, Stille Straße e.V., Vereinigung Demokratischer Juristinnen und Juristen e.V., Katalin Gennburg (MdA Die Linke), Reiner Braun (Präsident International Peace Bureau), Dr. Werner Rügemer (Autor und Philosoph), Prof. em. Dr. Fanny-Michaela Raisin (ehem. Vorstand ILMR), Monika Bergen (Vorstandsmitglied Flüchtlingsrat Berlin e.V.), Gabriele Kutt (Rechtsanwältin), Mara Fischer (Aktivistin für Wohnungslose).
Internationale Dokumente zum sozialen Menschenrecht auf Wohnen
Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte vom 19. Dezember 1966 Artikel 11 UN-Sozialpakt
Die Vertragsstaaten erkennen das Recht eines jeden auf einen angemessenen Lebensstandard für sich und seine Familie an, einschließlich ausreichender Ernährung, Bekleidung und Unterbringung, sowie auf eine stetige Verbesserung der Lebensbedingungen. Die Vertragsstaaten unternehmen geeignete Schritte, um die Verwirklichung dieses Rechts zu gewährleisten, und erkennen zu diesem Zweck die entscheidende Bedeutung einer internationalen, auf freier Zustimmung beruhenden Zusammenarbeit an.
Empfehlungen des UN-Ausschuss für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte zum 6. Staatenbericht der Bundesregierung vom 12. 10 2018 (Concluding Observations –CESCR)
Nr. 4. Der Ausschuss begrüßt die Erklärung der Delegation des Vertragsstaates, dass die deutschen Behörden das Fakultativprotokoll zum Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte ratifizieren wollen, und ermutigt den Vertragsstaat, die Ratifizierung zu beschleunigen.
Nr. 55. Der Ausschuss empfiehlt dem Vertragsstaat:
(a) die Bereitstellung erschwinglicher Wohneinheiten, insbesondere für die an den stärksten benachteiligten und ausgegrenzten Personen und Gruppen zu verbessern;
(b) die öffentliche Finanzierung im Wohnungssektor weiter zu erhöhen;
(c) die Erhöhung die Obergrenze für die Erstattung von Wohnkosten aus den grundlegenden Sozialleistungen, um den Marktpreis zu decken;
(d) das Ausmaß der Obdachlosigkeit zu reduzieren und eine angemessene Bereitstellung von Aufnahmeeinrichtungen, einschließlich Notunterkünften und -heimen, sowie Sozialrehabilitationszentren sicherzustellen;
(e) Daten zu sammeln nach Geschlecht, ethnischer Zugehörigkeit und anderen relevanten Kriterien aufgeschlüsselt nach dem Umfang und dem Ausmaß der Obdachlosigkeit des Vertragsstaates und ein wirksames Mittel zur Überwachung der Situation der Obdachlosigkeit zu schaffen;
(f) geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um den Auswirkungen von Spekulation in städtischen Wohngebieten entgegenzuwirken Unterkunft beim Zugang zu bezahlbarem Wohnraum.
Nr. 65. […] Der Ausschuss ermutigt den Vertragsstaat, sich im Anschluss an die vorliegenden Schlussbemerkungen und im Prozess der Konsultation auf nationaler Ebene vor der Einreichung mit dem Deutschen Institut für Menschenrechte, Nichtregierungsorganisationen und anderen Mitgliedern der Zivilgesellschaft zu befassen von seinem nächsten periodischen Bericht.
Nr. 66. In Übereinstimmung mit dem Verfahren zur Weiterverfolgung der vom Ausschuss angenommenen Schlussbemerkungen wird der Vertragsstaat aufgefordert, innerhalb von 24 Monaten nach der Annahme dieser abschließenden Bemerkungen Informationen über die Umsetzung der in den Ziffern 49 ff Pflegedienste für ältere Menschen), 51 (in Bezug auf Kinderarmut) und 55 (b) und (c) (in Bezug auf das Recht auf Wohnen).
Näheres auf: www.sozialemenschenrechtsstiftung.org
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