Internationale Liga für Menschenrechte

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Ein Leben unter Beobachtung des Verfassungsschutzes: der Bremer Jurist Rolf Gössner

„Fremdkörper in der Demokratie“

Über 38 Jahre wurde der Bremer Publizist und Anwalt Rolf Gössner vom Verfassungsschutz beobachtet. Im Interview erklärt er, warum dieser seiner Meinung nach abgeschafft gehört.

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Bild: Nikolai Wolff/Fotoetage

taz: Herr Gössner, wenn Sie laut sagen, dass Sie Rechtsanwalt sind und ich, dass ich Journalist bin – können wir uns dann sicher sein, nicht abgehört zu werden?

Rolf Gössner: Sicher kann man nie sein, aber es ist eher unwahrscheinlich. Das würde einen großen Lauschangriff auf mein Büro bedeuten. Aber als zwei Berufsgeheimnisträger, die über geheimdienstliche Arbeit reden, sind wir natürlich interessant für Geheimdienste wie den Verfassungsschutz (VS).

Ihre Beobachtung durch das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) wurde aber endgültig eingestellt?

2011 hat das Verwaltungsgericht Köln festgestellt: Diese über 38 Jahre andauernde Überwachung ist von Anfang an unverhältnismäßig und grundrechtswidrig gewesen.

Also alles vorbei?

Das weiß ich nicht, denn das Urteil ist nicht rechtskräftig. Die Bundesregierung hat die Zulassung der Berufung beantragt.

Warum wurden Sie überwacht?

Meines Erachtens liegt der Einstieg schon im Jahr 1968, als ich in den Hoch-Zeiten des kalten Krieges eine polnische Freundin hatte und mehrfach in Polen war. Im Übrigen wurden mir berufliche Kontakte zu angeblich „linksextremistischen“ oder „linksextremistisch beeinflussten“ Organisationen zum Vorwurf gemacht, wie der DKP, der Vereinigung der Verfolgten des Nazi-Regimes oder dem Verein Rote Hilfe. Das nenne ich „Kontaktschuld“.

Sie waren selbst in keiner dieser Gruppen?

Nein. Das BfV hat argumentiert, ich sei ganz bewusst in keine „extremistische“ Organisation eingetreten, um meine Glaubwürdigkeit als vermeintlich unabhängiger Experte zu wahren. Das ist Inquisition. Egal was man macht: Man ist verdächtig.

Macht Sie das wütend?

Das würde bedeuten, dass ich mir Illusionen gemacht hätte. Wer den VS seit den 50er-Jahren kennt, weiß, dass seine Geschichte die von Skandalen und Bürgerrechtsverletzungen ist.

Daher fordern Sie seit Langem dessen Abschaffung?

Ja, wie die meisten Bürgerrechtsorganisationen in Deutschland. Dazu haben wir vor Kurzem ein Memorandum veröffentlicht und das auch direkt im BfV in Köln abgeliefert – durch alle Sicherheitsschleusen hindurch.

In dem Amt, dass Sie über 38 Jahre lang beobachtet hat?

Für mich hatte das fürwahr eine pikante biografische Note, dort aufzutauchen und den BfV-Präsidenten damit zu konfrontieren. Wir haben ihm erklärt, warum sein Amt schädlich ist für die Demokratie und Bürgerrechte.

Verfassungsschützer gegen Verfassungsschützer?

Wenn man so will – letztere bitte in Anführungszeichen.

Sie sind 2007 zum stellvertretenden Richter am Bremer Staatsgerichtshof gewählt worden – trotz Ihrer Überwachung. Hatte die keine Folgen?

Doch: Als Anwalt konnte ich das Mandatsgeheimnis nicht gewährleisten, manche Mandanten sind deshalb abgesprungen. Als Publizist gab es Probleme mit dem Informantenschutz. Ich schreibe ja seit Jahren auch über Geheimdienste. Unter diesen Bedingungen heikle Recherchen durchzuführen, ist gefährlich und aufwendig.

Inwiefern?

Whistleblower aus Sicherheitsbehörden mussten befürchten, aufzufliegen, wenn sie mit mir Kontakt aufnehmen. So hatte ich mich etwa mit einem Informanten aus einer Polizeibehörde im Café getroffen. Da wimmelte es bereits von dunklen Gestalten. Er kannte seine Pappenheimer, ihre Verhaltensweisen deuteten auf Polizeispitzel. Da half nur noch zu fliehen.

Der niedersächsische VS überwachte die Journalistin Andrea Röpke. Als sie darüber Auskunft verlangte, wurden die Einträge gelöscht …

Ein Skandal! Die Einträge hätten lediglich gesperrt werden dürfen. Nach den Skandalen um die Schreddereien der NSU-Akten allemal. Die Löschung ist nicht zu rechtfertigen mit der Behauptung, die Daten seien löschungsreif gewesen.

Sie meinen, es war Vertuschung?

Im Ergebnis ja. Wobei gerade das zum Geheimdienstgeschäft gehört: Desinformation aus Geheimhaltungsgründen und Vertuschung der eigenen Machenschaften – ein wahres Verdunkelungssystem.

Viele VS-Behörden streben nach mehr Transparenz. Auch Bildungs- und Öffentlichkeitsarbeit steht auf dem Programm.

Transparenz und Geheimdienste – das ist ein Widerspruch in sich. Es kann auch nicht Aufgabe eines Geheimdienstes sein, das gesellschaftliche Bewusstsein zu beeinflussen. In einer Demokratie darf Geheimdiensten kein Aufklärungs- oder Bildungsauftrag zustehen.

Bremen will nach dem NSU-Skandal Konsequenzen ziehen. Der Entwurf eines neuen Verfassungsschutz-Gesetzes liegt auf dem Tisch.

Der Entwurf zieht nur sehr halbherzig Konsequenzen, wagt sich jedenfalls nicht an die problematischen VS-Geheimstrukturen.

Soll nicht immerhin die Kontrolle durch das Parlament verstärkt werden?

Richtig: Durch die Parlamentarische Kontrollkommission und die G10-Kommission …

die etwa über Zulässigkeit und Zweckmäßigkeit von Abhöraktionen und die Einsätze von V-Leuten entscheiden soll …

… und die damit vollkommen überfordert sind. In der Kontrollkommission sind wenige, vielbeschäftigte Abgeordnete. Sie arbeiten geheim und dürfen nicht darüber reden. Eine geheime Kontrolle ist keine demokratische Kontrolle.

Wie steht es mit gerichtlichen Kontrollen?

Das Geheimhaltungssystem umschlingt auch die Justiz. Ich habe es in meinem eigenen Verfahren erlebt: Um meine über 2.000-seitige Personenakte, die zu 80 Prozent geschwärzt ist, freizubekommen, musste ich ein Parallel-Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht anstrengen – ein sogenanntes „In-Camera-Verfahren“, als ein Geheimprozess. Rechtsstaat? Fehlanzeige. Diese Geheimbehörden sind Fremdkörper in der Demokratie: Sie sind intransparent, schwer kontrollierbar, neigen zu Willkür und Machtmissbrauch.

Sollte man dann den Einsatz von V-Leuten nicht erst recht stärker kontrollieren?

Das V-Leute-System bekommt man auch mit stärkerer Kontrolle nicht in den Griff. V-Leute stammen aus den jeweiligen Szenen. Im gewaltbereiten neonazistischen Bereich ist klar, dass es gnadenlose Rassisten und kriminelle Neonazis sind. Der VS verstrickt sich zwangsläufig in kriminelle Machenschaften.

War der VS auf dem rechten Auge blind?

Ich spreche von ideologischen Scheuklappen, von Ignoranz und systematischer Verharmlosung des Neonazismus. Das ist auch ein Erbe aus den antikommunistischen Zeiten des kalten Krieges, in denen der Fokus einseitig auf „Linksextremismus“ und Kommunismus gerichtet war, später dann ab 9/11 auf den „islamischen Extremismus“ und internationalen Terrorismus.

Entsteht ohne den VS keine Sicherheitslücke?

Nein. Der VS ist selbst ein Sicherheitsrisiko – seine Gesinnungsschnüffelei verletzt Bürgerrechte. Der Schutz vor Gewalt und Straftaten ist Sache von Polizei und Justiz. Die haben Möglichkeiten, im Vorfeld strafbarer Handlungen und zur Abwehr von Gefahren tätig zu werden, was man kritisieren kann und was jedenfalls eine intensive Kontrolle erfordert. Alles andere ist meines Erachtens Sache von Politik und Zivilgesellschaft.

Die Trennung von Geheimdiensten und Polizei war eine Konsequenz aus dem Nationalsozialismus.

Diese Trennung ist wichtig, um eine unkontrollierbare Machtkonzentration der Sicherheitsapparate zu verhindern. Allerdings erleben wird eine ständige Aufweichung dieses Gebots. So darf auch die Polizei nachrichtendienstliche Mittel anwenden und mit gemeinsamen Abwehrzentren und Anti-Terror-Dateien wurde die Trennung in Teilen ganz über den Haufen geworfen.

Die Idee einer „wehrhaften Demokratie“ gilt als Reaktion auf die Wehrlosigkeit der Weimarer Republik …

Will heißen: Hätte es damals einen VS gegeben, wäre die Geschichte anders verlaufen? Kaum zu glauben, denn der wäre so rechts gewesen, wie Justiz oder Polizei, die durchsetzt waren von Erzkonservativen und den Nazis den Weg bereiteten. Die Weimarer Republik scheiterte nicht an extremen Rändern der Gesellschaft, sondern an ihrer Mitte. Auch heute gilt: Der Rassismus in der Mitte der Gesellschaft wird vom VS ignoriert.

Nach den Skandalen um NSU und NSA lässt ein lauter Aufschrei auf sich warten. Ist in Zeiten sozialer Netzwerke die Privatsphäre nicht mehr wichtig?

Doch, das ist sie, wenn sie auch im digitalen Zeitalter längst einen anderen Stellenwert hat. Die ungeheure Dimension geheimdienstlicher Überwachung der Privatsphäre, der digitalen Durchleuchtung ganzer Gesellschaften wirkt abstrakt, erzeugt Ohnmachtsgefühle. Aber sie stellt alle Betroffenen unter Generalverdacht, führt zu massenhafter Verletzung von Persönlichkeitsrechten, stellt die Demokratie insgesamt in Frage. Deshalb brauchen wir endlich eine gesamtgesellschaftliche Debatte über Geheimdienste in Demokratien. Das Diktat der Geheimdienste muss gebrochen werden.

 

veröffentlicht in der taz (01.11.2013) : http://www.taz.de/Rechtsanwalt-ueber-Ueberwachung/!126686/

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Rolf Gössner, 65, ist Rechtsanwalt, Publizist und seit 2007 stellvertretender Richter am Bremer Staatsgerichtshof, dem Landesverfassungsgericht. Von 1990 bis 2001 beriet er die Fraktion der Grünen in Niedersachsen, derzeit sitzt er als Parteiloser für die Linksfraktion in der Innendeputation der Bremer Bürgerschaft. Er ist Vizepräsident der Internationalen Liga für Menschenrechte (www.ilmr.de). Das Bundesamt für Verfassungsschutz beobachtete ihn von 1970 bis 2008. 2011 urteilte das Verwaltungsgericht Köln: Die vier Jahrzehnte währende Beobachtung durch den Verfassungsschutz war von Anfang an unverhältnismäßig und grundrechtswidrig. Die Bundesregierung hat die Zulassung der Berufung beantragt, über die immer noch nicht entschieden ist.

Das Memorandum „Brauchen wir den Verfassungsschutz? Nein“ ist einsehbar unter: www.verfassung-schuetzen.de