Internationale Liga für Menschenrechte

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Gerichtsurteil: „Hooligan-Datei“ droht Löschung

aus: Frankfurter Rundschau

von: Ronny Blaschke

Seit sechs Jahren hat Rolf Gössner die Laudatio gespeichert, mit der der Vizepräsident der Internationalen Liga für Menschenrechte das Bundeskriminalamt einst bei der Verleihung des Big Brother Award tadelte. Der Preis, den keiner haben will, geht an Organisationen, die es mit dem Datenschutz nicht so genau nehmen. Gössner warf dem BKA vor, mit seiner Datensammelei die Grundrechte zu verletzen. Dass seine Rede heute noch auf Interesse stößt, hätte der Jurist kaum für möglich gehalten. Nun liefert ihm ein Fußballfan aus Hannover neue Argumente gegen das, was Gössner „präventive Intoleranz“ nennt.

Der niedersächsische Anhänger hatte auf Löschung seines Namens aus der Datei „Gewalttäter Sport“ geklagt. Die seit 1994 geführte BKA-Datensammlung umfasst neben Personen, die im Sportumfeld straffällig wurden, auch Fans, die auf bloßen Verdacht registriert werden. Das Verwaltungsgericht Hannover gab dem Kläger im Mai Recht, das Oberverwaltungsgericht Lüneburg bestätigte die Entscheidung vor Weihnachten. Begründung: Für die Verbunddatei, die auch von den Bundesländern bearbeitet und abgerufen werden kann, sei eine Rechtsverordnung nötig. Für eine solche bedarf es der Zustimmung des Bundesrats. Erlassen wurde sie nie. Die Datei „Gewalttäter Sport“, folgern die Richter, sei rechtswidrig.

Die Polizeidirektion Hannover hat Revision vorm Bundesverwaltungsgericht angekündigt. Wohl wissend, dass Konsequenzen weit über den Sport hinaus drohen. Das BKA betreibt Dutzende Datensammlungen. 2000 kamen drei umstrittene Gewalttäter-Dateien hinzu, jeweils eine für politisch links und rechts motivierte Täter und eine für Ausländerkriminalität. Sie basieren auch auf Erfahrungen mit der so genannten Hooligan-Datei. Dass die nun das polizeiliche Informationssystem Inpol in Frage stellt, kommt unerwartet. In der Vorverurteilung von Fußballanhängern waren sich Behörden bislang einig. „Lange galten Fans pauschal als Verbrecher“, sagt Michael Gabriel, Leiter der Koordinationsstelle Fanprojekte in Frankfurt. „Diese Wahrnehmung hat sich geändert.“

Zwischenzeitlich waren in der „Gewalttäter Sport“-Datei rund 10.000 Personen gelistet. Mehrheitlich Straftäter, aber auch Fans, deren Personalien festgestellt wurden, weil sie sich nahe einer Schlägerei oder Demo aufhielten. Eine Verurteilung ist für die Registrierung nicht nötig, deren Folgen gravierend sind: Meldeauflagen, Hausbesuche der Polizei, Passentzug, Reiseverbot. Da die Registrierten nicht über den Eintrag informiert werden, kam es vor, dass Fans am Flughafen vom Urlaub abgehalten wurden, weil im Ausland zufällig ein Spiel stattfand. Fragwürdig ist auch die Weitergabe der Daten an andere europäische Länder. Einheitliche Datenschutzregeln gibt es nicht. Fans, die vielleicht nur zur falschen Zeit am falschen Ort waren, wurden im Ausland schon festgenommen und drangsaliert.

„Die Verbunddateien sind ein erheblicher Eingriff in die Persönlichkeitsrechte“, sagt Peter Schaar, der Bundesbeauftragte für Datenschutz, und fordert ein Umsteuern. Das BKA will sich auf Anfrage nicht äußern, ein Sprecher des übergeordneten Bundesinnenministers verteidigt die „Gewalttäter Sport“-Datei und verweist auf anderslautende Urteile: „Wir wollen mit der Datei die schwierige Arbeit der Polizei schützen.“

Das BMI könnte einem Rechtsstreit aus dem Weg gehen und die Rechtsverordnung veranlassen, würde damit aber einen Fehler einräumen. Wilko Zicht, Sprecher des Bündnisses aktiver Fußballfans (Baff), fordert eindeutige Kriterien und besseren Schutz gegen „polizeiliche Datensammelwut“. Es ist ein Kampf mit Konjunktiv. Sollte der Fan aus Hannover endgültig Recht bekommen, könnte den Polizeibehörden eine Klagewelle mit Schadensersatzforderungen und die Löschung aller Namen drohen. Schon jetzt forderten dies zahlreiche Fans mit dem Hinweis auf das Urteil in Hannover, bestätigt Andreas Piastowski. Er leitet die Zentrale Informationsstelle Sporteinsätze in Duisburg, die die strittige Datei verwaltet. Es könnte erst der Anfang sein.

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