Gespräch mit Rolf Gössner
Interview (pdf)
Erschienen in junge Welt vom 26.08.2017, Seite 2 / Inland
Rolf Gössner ist Rechtsanwalt, Publizist und Vorstandsmitglied der Internationalen Liga für Menschenrechte
Bundesinnenminister Thomas de Maizière, CDU, hat am gestrigen Freitag die Internetplattform »linksunten.indymedia« verboten. Wie bewerten Sie diesen Schritt?
Es handelt sich um eine ziemlich überraschende Aktion des Bundesinnenministers, schließlich gibt es die Plattform schon seit etlichen Jahren. Ihre Abschaltung und das Vereinsverbot sind eine Reaktion auf die gewaltsamen Ereignisse während des G-20-Gipfels in Hamburg. Außerdem stellen sie eine publikumswirksame Aktion in Wahlkampfzeiten dar, mit der der CDU-Innenminister, wie er es formulierte, ein »deutliches Zeichen« gegen »Linksextremismus« setzen will. Auf diese Weise wollen sich CDU/CSU in Bund und Ländern als »Garanten für Sicherheit und Ordnung« präsentieren.
Das Verbot der Website ist ein schwerer Eingriff in die Presse- und Meinungsfreiheit, wie man ihn eher von autoritären Staaten kennt. Ein solches Verbot muss also zunächst mal hellhörig machen. Zumal wir gerade erst im Zusammenhang mit dem G-20-Gipfel staatliche Eingriffe in die Pressefreiheit erleben mussten, als über 30 Journalisten die Akkreditierung entzogen wurde. Auch in diesen Fällen wegen angeblich linksextremistischer Gesinnung. Diese gravierenden und mutmaßlich rechtswidrigen Fälle müssen rückhaltlos aufgeklärt werden, denn die Freiheit der Berichterstattung und der freie Zugang zu Informationen sind zentrale Grundrechte, die staatlicherseits besonders zu achten und zu schützen sind. Ich gehe davon aus, dass auch das jetzige Verbot nicht unwidersprochen bleibt und noch gerichtlich überprüft wird.
Muss ein Staat auch radikale Kritik aushalten?
Selbstverständlich, denn auch radikale Kritik ist durch das Grundgesetz, durch Presse-, Meinungs-, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit geschützt. Allerdings gibt es hier Grenzen, und die liegen laut Grundgesetz und Strafrecht dort, wo Zwecke und Tätigkeiten von Internetplattformen oder Vereinigungen Strafnormen zuwiderlaufen oder sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung richten. Für die Abschaltung einer ganzen Plattform oder für das Verbot eines Vereins reichen jedoch gesetzeswidrige Einzelfälle, die einzeln geahndet werden könnten, nicht aus. Wie sich dies im Fall von »linksunten.indymedia« verhält – etwa im Zusammenhang mit der Veröffentlichung von Bekennerschreiben oder Aufrufen zu militanten Aktionen –, lässt sich aktuell und unabhängig nicht mehr nachprüfen, da die Seite ja abgeschaltet wurde und nicht länger zugänglich ist.
»linksunten.indymedia« wurde auf Grundlage des Vereinsgesetzes verboten und aufgelöst. Dabei erreichte die Personengruppe, gegen die ermittelt wird, nicht die erforderliche Anzahl von Mitgliedern, die nötig sind, um einen Verein in Deutschland zu gründen. Kann unter diesen Umständen ein Verbot Bestand haben?
Nun, diese Frage ist gegenwärtig schwer zu beantworten. Ich weiß jedenfalls nicht, ob es sich bei den Betreibern der Plattform überhaupt um einen eingetragenen Verein handelt, der auf Grundlage des Vereinsgesetzes mit einem Verbot belegt werden kann – mit der Folge einer Zerschlagung der Strukturen und der Beschlagnahme des Vermögens. Offenbar geht das Bundesinnenministerium davon aus, dass es sich um einen regulären Verein nach Vereinsrecht handelte, der nun verboten und aufgelöst wurde. Hierfür gelten allerdings strenge Maßstäbe.
Sehen Sie die Gefahr, dass weitere linke Zusammenschlüsse verboten oder Treffpunkte geschlossen werden können?
Dieses Verbot hat einschüchternde Wirkung gegenüber linken und linksradikalen Zusammenhängen und der von ihnen geschaffenen Gegenöffentlichkeit. Gerade nach dem G-20-Gipfel und in Zeiten des Wahlkampfs ist zu befürchten, dass weitere Eingriffe und Verbote in diese Richtung folgen. Wichtig scheint mir, solche Vorfälle nicht unwidersprochen hinzunehmen. Sie müssen kritisch hinterfragt und unabhängig überprüft werden – zumal die Bundesregierungen der letzten Legislaturperioden bereits eine skandalös hohe Anzahl verfassungswidriger Maßnahmen und Gesetze zu verantworten haben.
Interview: Markus Bernhardt