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Bundesverfassungsgericht schränkt Einsatz von Staatstrojanern ein

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Verfassungsbeschwerde gegen Quellen-Telekommunikationsüberwachung und heimliche Online-Durchsuchung teilweise erfolgreich

Der Datenschutz- und Bürgerrechtsverein Digitalcourage e.V. legte im August 2018 beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe Verfassungsbeschwerde gegen Regelungen in der Strafprozessordnung (StPO) ein, mit denen 2017 der Einsatz von Staatstrojanern/Spähsoftware, die Online-Durchsuchung und Quellen-Telekommunikationsüberwachung zur Strafverfolgung legalisiert wurden.

Am 7. August 2025 – also genau nach sieben Jahren Verfahrensdauer – hat das Bundesverfassungsgericht nun seine Entscheidung öffentlich gemacht (Az. 1 BvR 180/23):

  • Die Befugnisse von Strafermittlern zum heimlichen Einsatz sogenannter Staatstrojaner in Computer und Smartphones sind teilweise unverhältnismäßig und verfassungswidrig. Der Erste Senat erklärte die sogenannte Quellen-Telekommunikationsüberwachung (kurz: Quellen-TKÜ) im Zuge von Ermittlungen wegen leichter Straftaten (bis zu drei Jahre Haft) für verfassungswidrig und nichtig. Er strich diese Befugnis komplett und sie ist auch rückwirkend ungültig. 
  • Darüber hinaus sei die Befugnis der Strafermittler zur heimlichen Online-Durchsuchung von Computern und Smartphones von Verdächtigen in Teilen nicht mit dem Grundgesetz vereinbar (aus formalen Gründen). Die Vorschrift gilt aber bis zu einer Neuregelung weiter. 

Die Verfassungsbeschwerde war also in entscheidenden Teilen erfolgreich.

Zur Erklärung: Als Staatstrojaner wird Späh-Software bezeichnet, die von Polizei- und Ermittlungsbehörden ohne Kenntnis von verdächtigen Personen auf deren Computer oder Smartphones heimlich installiert wird – zumeist eingeschleust über Sicherheitslücken im IT-System. Seit einer Änderung der Strafprozessordnung im Jahr 2017 kann damit die Polizei zur Aufklärung bestimmter Straftaten etwa verschlüsselte Nachrichten über Messenger-Dienste wie WhatsApp oder Signal mitlesen (Quellen-TKÜ) oder sogar sämtliche Daten und Inhalte auf IT-Geräten durchforsten (Online-Durchsuchung).

Die Beschwerdeführenden dieser Verfassungsbeschwerde, die von mehr als 10.000 Personen unterstützt wurde, sind:

  • Rena Tangens und padeluun vom Datenschutz- und Bürgerrechtsverein „Digitalcourage e.V.“ in Bielefeld, der sich für Grundrechte, Datenschutz und eine lebenswerte Welt im digitalen Zeitalter einsetzt,
  • der Jurist und Publizist Dr. Rolf Gössner aus Bremen (Kuratoriumsmitglied der Internationalen Liga für Menschenrechte, Berlin), der über 40 Jahre lang grundrechtswidrig durch den Inlandsgeheimdienst „Verfassungsschutz“ ausgeforscht worden ist,
  • der Fachanwalt für Strafrecht Christian Mertens aus Köln,
  • und der Strafverteidiger Prof. Dr. jur. habil. Helmut Pollähne aus Bremen.

Im Anhang findet sich die Pressemitteilung von Digitalcourage e.V. unter dem Titel „Erfolg vor dem Bundesverfassungsgericht: Staatstrojaner-Einsatz wird eingeschränkt“ – mit weiteren Details und Einschätzungen.

Mitbeschwerdeführender Rolf Gössner (Internationale Liga für Menschenrechte) äußert sich angesichts der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur grundsätzlichen Problematik der staatlichen Eingriffsgefugnisse und ihrer Folgen: 

>Die vom Bundesverfassungsgericht gefordeten Einschränkungen sind positiv zu werten, zumal damit die Hürde für den Einsatz von Staatstrojanern wesentlich erhöht wird (jenseits der „Alltagskriminalität“). Doch mit unserer Verfassungsbeschwerde hatten wir ursprünglich mehr bezweckt als diese Entscheidung hergibt. Denn Staatstrojaner und die heimliche Online-Durchsuchung von Computern und Smartphones sind digitale Waffen, mit denen der Staat heimlich in Privatsphäre und Persönlichkeitsrechte, in Informationelle Selbstbestimmung und Meinungsfreiheit der Betroffenen und ihrer Kontaktpersonen eindringen kann. Es handelt sich also um schwerwiegende Grundrechtseingriffe, wie auch das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich konstatiert. 

Doch leider bleibt bei dessen Entscheidung die Tatsache weitgehend unberücksichtigt, dass damit auch die IT-Sicherheit geschädigt wird – insofern auch die Allgemeinheit. Denn um Staatstrojaner einschleusen zu können, werden in der Regel Sicherheitslücken im IT-System genutzt, deren Existenz die Sicherheit aller IT-Teilnehmer:innen gefährden kann. Statt solche Lücken zu melden und zu schließen, hält der Staat sie offen, um sie selbst nutzen zu können. Und mit diesen digitalen Ausforschungsmethoden per Infiltration können also sowohl der absolut geschützte Kernbereich privater Lebensführung als auch das Grundrecht „auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme“ massiv tangiert und beeinträchtigt werden. Deshalb sollten diese besonders intensiven Methoden zur digitalen Überwachung verfassungsrechtlich grundsätzlicher hinterfragt bzw. stärker eingeschränkt werden.<

Übrigens finden die mit der Verfassungsbeschwerde angegriffenen StPO-Regelungen zur Strafverfolgung ihre Entsprechung in etlichen Polizeigesetzen des Bundes und der Länder – auch bei der anstehenden Novellierung des Bundespolizeigesetzes, dessen Entwurf bereits vorliegt. Danach ist die Polizei auch präventiv, also im Vorfeld von Straftaten, zur heimlichen Einschleusung von Staatstrojanern und zur online-Durchsuchung von Computern berechtigt, um Gefahren abzuwehren – auch wenn noch keine Straftat vorliegt oder kein Straftatverdacht begründet ist. Deshalb kam der Verfassungsbeschwerde auch in dieser Hinsicht besondere Bedeutung zu. Allerdings wurde in einem Parallel-Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht die Verfassungsbeschwerde gegen die Staatstrojaner-Regelungen im Polizeigesetz NRW bereits für verfassungsgemäß erklärt (https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2025/bvg25-069.html?nn=68112 ).

Wie aus einer am vorigen Dienstag veröffentlichten Statistik des Bundesamts für Justiz hervorgeht, gab es im Jahr 2023 insgesamt 104 richterliche Anordnungen zur Quellen-TKÜ. Tatsächlich durchgeführt wurden 62. Online-Durchsuchungen wurden den Angaben zufolge 26 Mal angeordnet und sechsmal durchgeführt (s. Stefan Krempl, Überwachung: Strafverfolger setzen erneut mehr Staatstrojaner ein,  heise-online).

Hier zu den Mitteilungen des Bundesverfassungsgerichts und zum Beschluss vom 24.05.2025: 

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