Die Internationale Liga für Menschenrechte unterstützt die gemeinsame Erklärung der Anwält*innen-Organisationen: Anwält*innen müssen ihrem Beruf frei nachgehen können. Ihre Bedrohung ist nicht hinnehmbar, schon gar nicht durch Rechtsextreme. Hier muss die Rolle von Angehörigen der Sicherheitsdienste vollständig aufgeklärt werden, was genauso dringend für den NSU-Komplex gilt.
Solidaritätserklärung mit Rechtsanwältin Seda Başay-Yıldız
Gemeinsame Pressemitteilung der Organisationen Organisationsbüro der Strafverteidigervereinigungen, Republikanischer Anwältinnen- und Anwälteverein e.V. (RAV) und Vereinigung Demokratischer Juristinnen und Juristen e.V. (VDJ) vom 25. Februar 2021.
Die Bedrohungen gegen unsere Kolleg:innen müssen endlich aufhören
Anwält:innen-Organisationen fordern effektive Ermittlungen im Komplex ›NSU 2.0‹
Seit mehr als zweieinhalb Jahren erhält unsere Frankfurter Kollegin, Frau Rechtsanwältin Seda Başay-Yıldız, von unbekannten Täter:innen immer wieder Schreiben, in denen sie und ihre Familie beleidigt und mit dem Tode bedroht werden. Die Kollegin, die dieses Jahr den Ludwig-Beck-Preis für Zivilcourage der Stadt Wiesbaden erhalten wird, ist aufgrund ihres öffentlichkeitswirksamen Auftretens als Nebenklagevertreterin im NSU-Verfahren und als Strafverteidigerin in den Fokus der anonymen Täter:innen geraten. Die persönlichen Daten der Familie, die in den Drohschreiben enthalten waren, kamen aus einem Revier der hessischen Polizei. Trotz daraufhin erfolgter Adresssperrungen erreichen unsere Kollegin immer wieder neue Drohschreiben. Wir gehen davon aus, dass die Täter:innen in den Reihen der hessischen Polizei zu finden sind. Die Drohschreiben sind mit ›NSU 2.0‹ unterschrieben, womit sich die Verfasser:innen ausdrücklich auf die mörderische Form des Rechtsterrorismus beziehen. Unsere Kollegin Başay-Yıldız ist nicht die Einzige, die solche Drohschreiben erhalten hat. Auch andere Kolleg:innen, Journalist:innen, Politiker:innen, Künstler:innen und Aktivist:innen erhalten mit dem Kürzel ›NSU 2.0‹ unterzeichnete Drohschreiben. Diese Bedrohungen betreffen vorwiegend Frauen, die sich im Rahmen ihrer Arbeit und öffentlich gegen Rassismus, Rechtsextremismus und Sexismus engagieren und äußern.
Die hessischen Strafverfolgungsbehörden haben bisher keine Ermittlungserfolge öffentlich gemacht. Entweder sind die Ermittlungen über Jahre erfolglos oder Erkenntnisse wurden zwar gewonnen, werden aber geheim gehalten – möglicherweise, um das Ansehen der Polizei zu schützen. Auch ist der Schutz, den unsere Kollegin seitens der hessischen Polizei erfährt, unzureichend.
Dieser Zustand ist nicht länger haltbar.
»Die Angriffe gegen unsere Kollegin Başay-Yıldız sind zugleich ein Angriff auf die gesamte Anwaltschaft. Angriffe gegen Kolleg:innen, die engagiert ihren Beruf ausüben, sind nicht hinnehmbar. Wir stehen hinter unserer Kollegin und erklären uns mit ihr solidarisch«, erklärt Rechtsanwalt Dr. Peer Stolle, Vorstandsvorsitzender des Republikanischen Anwältinnen- und Anwälteverein e.V. (RAV).
»Die erfolglosen Ermittlungen im Komplex ›NSU 2.0‹ zeigen, dass wir bei Strafverfahren, in denen Polizeibeamt:innen beschuldigt werden, unabhängige Untersuchungsstellen brauchen, die effektiv ermitteln können. Solange die Polizeibehörden, aus deren Reihen Verdächtige kommen, gegen ihre unmittelbaren Kolleg:innen ermitteln, wird es keine Ermittlungserfolge geben«, erklärt Rechtsanwalt Dr. Andreas Engelmann, Bundessekretär der Vereinigung Demokratischer Juristinnen und Juristen e.V. (VDJ). Derartige Untersuchungsstellen werden im Zusammenhang mit polizeilichem Fehlverhalten und Straftaten schon seit Jahren von verschiedenen Organisationen gefordert.
Solange es keine unabhängigen Untersuchungsstellen für Ermittlungen gegen Polizeibeamt:innen gibt, ist zumindest sicherzustellen, dass alle rechtlichen Möglichkeiten genutzt werden, effektive und unabhängige Ermittlungen durch solche Behörden durchzuführen, die keine Verbindungen zu den Polizeibehörden haben, aus denen die Täter:innen stammen oder innerhalb derer enge Verbindungen zu den Täter:innen bestehen.
Wir gehen, da die Datenabfragen im Zusammenhang mit dem Komplex ›NSU 2.0‹ von Polizeicomputern aus verschiedenen Bundesländern erfolgten, davon aus, dass es sich nicht um eine:n Einzeltäter:in handelt, sondern um eine Mehrzahl von Täter:innen. Ob die Ermittlungen den Anfangsverdacht einer kriminellen Vereinigung begründen, woraus sich eine Zuständigkeit des Generalbundesanwaltes ergeben könnte, ist uns nicht bekannt. Zumindest kann und muss aufgrund des länderübergreifenden Charakters das Bundeskriminalamt die Ermittlungen übernehmen.
Wir fordern daher:
- Der Verfahrenskomplex ›NSU 2.0‹ muss umfassend aufgeklärt werden.
- Die Ermittlungen in dem Verfahrenskomplex sind dem Bundeskriminalamt zu übertragen (§ 4 Abs. 2 BKAG).
- Der Schutz unserer Kollegin Başay-Yıldız und aller anderen vom ›NSU 2.0‹ Betroffenen muss gewährleistet werden.
Unterzeichnende:
- Organisationsbüro der Strafverteidigervereinigungen
- Republikanischer Anwältinnen- und Anwälteverein e.V. (RAV)
- Vereinigung Demokratischer Juristinnen und Juristen e.V. (VDJ)
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