Nachdem der Bundesrat bereits am 7. Mai 2021 grünes Licht zu dem von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten (LkSG) gegeben hat, wurde das Gesetz am 11. Juni 2021 vom Bundestag angenommen und tritt am 1. Januar 2023 in Kraft. In namentlicher Abstimmung stimmte die große Mehrheit der Unions-Abgeordneten, SPD und Grüne jeweils geschlossen für das Gesetz, AfD und FDP geschlossen dagegen, die Linke enthielt sich, weil sie das Gesetz für nicht weitreichend genug erachtet.
Das LkSG gilt zunächst für Unternehmen ab 3.000, ab 2024 dann für Unternehmen ab 1.000 Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen mit Sitz oder Zweigniederlassung in Deutschland. (Im Referentenentwurf waren es noch 500!). Kleine und mittlere Unternehmen (KMUs) können allerdings auch erhebliche negative Auswirkungen auf soziale Menschenrechte und Umweltbelange haben, besonders wenn sie in einem Risikosektor tätig sind.
Notwendige Anforderungen an internationale Standards
Das Gesetz soll der Verbesserung der internationalen Menschenrechtslage und der Umweltstandards dienen, indem es verpflichtend Anforderungen an Lieferketten für große Unternehmen festlegt. Diese sollten sich am Sorgfaltsstandard der UN-Leitprinzipien (UNLP) orientieren, auf die sich der Nationale Aktionsplan (NAP) jedoch nur unvollständig bezog. Obwohl zehn Jahre seit der Verabschiedung der UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte vergangen sind, war laut NAP nur ein sehr geringer Anteil der deutschen Unternehmen auf freiwilliger Basis bereit, ihren Sorgfaltspflichten angemessen nachzukommen: Gerade 13 bis 17 Prozent der Unternehmen galten als „Erfüller“, 83 bis 87 Prozent als „Nicht-Erfüller“ und weniger als 1 Prozent als „Unternehmen mit Umsetzungsplan“.
Im Kampf gegen Menschenrechtsverletzungen und Umweltzerstörung sollen das LkSG Menschen vor Sklavenarbeit, Zwangsarbeit, Menschenhandel, Einsatz in bewaffneten Konflikten, gefährlicher Arbeit und Ausbeutung entsprechend den Vorschriften der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) und den einschlägigen Artikeln des Internationalen Paktes über die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte (UN-Sozialpakt) schützen. Besonders schützenswert sind im Zusammenhang mit der Gefährdung des Kindeswohls (Art. 3 KRK) die Rechte der ca. 168 Millionen Kinder und Jugendlichen, die weltweit auf Kakao-, Kaffee- und Tabakplantagen – oft im Kontakt mit Pestiziden – schwerste Arbeiten verrichten, in Fabriken unter ausbeuterischen Bedingungen Elektronik, Kleidung und Spielzeug herstellen oder gesundheitsgefährdend Bodenschätze aus Minen fördern.
Verwässerung durch Bundesregierung und Arbeitgeberlobby
Mit dem LkSG wurde lediglich ein defensiver und unzureichender politischer Kompromiss umgesetzt. Der Gesetzentwurf hat an vielen entscheidenden Stellen dem massiven Druck einiger Wirtschaftsverbände, des CDU-Wirtschaftsrats und des Bundeswirtschaftsministers nicht standhalten können. Durch die in den Beratungen gewollten Schwächungen büßt es an Wirksamkeit ein und fällt in wichtigen Teilen hinter die UN-Leitprinzipien zurück:
Die Sorgfaltspflichten gelten nur für unmittelbare, nicht aber für mittelbare Zulieferer. Für mittelbare Zulieferer müssen Unternehmen eine Risikoanalyse nur anlassbezogen bei „substantiierter Kenntnis“ von Menschenrechtsverletzungen durchführen. Bekanntlich entstehen aber die meisten Menschenrechtsverletzungen am Beginn der Lieferketten.
Im Sinne einer Prozessstandschaft, d.h. der Befugnis, im eigenen Namen einen Prozess über ein fremdes Recht zu führen, können Betroffene von Menschenrechtsverletzungen ihre Rechte über Gewerkschaften und NGOs vor deutschen Gerichten einklagen. Sie können auch verlangen, dass das Bundesamt für Wirtschaft- und Ausfuhrkontrolle (BAFA) tätig wird. Machen Betroffene ihre Rechte wegen Verstöße gegen die Sorgfaltspflichten eines Unternehmens beim BAFA geltend, muss es tätig werden, den Vorwurf prüfen und gegebenenfalls je nach Schwere des Vergehens Bußgelder verhängen, die sich am Gesamtumsatz des Unternehmens orientieren. Bei erheblichen Menschenrechts-verletzungen sieht das Sorgfaltspflichtengesetz ab einer Bußgeldhöhe von mindestens 175.000 Euro den zeitweisen Ausschluss von öffentlichen Aufträgen vor. Fraglich bleibt, ob vom BAFA als Bundesoberbehörde im Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie (BMWi) konsequentes Durchgreifen zu erwarten ist. Bedauerlicherweise sieht das LkSG auch keine zivilrechtliche Haftungsregelung für Unternehmen vor, die Schäden durch Missachtung ihrer Sorgfaltspflichten verursachen. Damit sind die zentralen Anliegen der UN-Leitprinzipien wie Rechtsschutzmöglichkeiten unter Beteiligung von Betroffenen, wirksame Abhilfe und Wiedergutmachung bei entstandenen Schädigungen im LkSG nicht gewährleistet, und das Gesetz verfehlt so den notwendigen abschreckenden Druck und die vorbeugende Wirkung auf Unternehmen.
Im Umweltbereich bezieht sich das Sorgfaltspflichtengesetz zum Schutz der menschlichen Gesundheit lediglich auf drei von Deutschland ratifizierte Übereinkommen: Die Vermeidung von langlebigen Schadstoffen nach der Stockholmer POP-Konvention, die Freisetzung vonQuecksilber-Emissionen nach dem Minimata-Übereinkommen und die Kontrolle der grenzüberschreitenden Verbringung gefährlicher Abfälle und ihrer Entsorgung nach dem Basler Übereinkommen. Das reicht nicht aus, um alle Risiken im Bereich der Schutzgüter Boden, Wasser und Luft für die Menschen am Beginn der Lieferkette zu erfassen. Die ILO-Konvention 169 ist das einzige rechtsverbindliche internationale Instrument zum Schutz der Rechte indigener Völker. Weltweit gehören zwischen 350 und 400 Millionen Menschen rund 6.000 indigenen Völkern an. Sie findet im LkSG keine Stärkung ihrer Rechte für den Schutz ihrer Lebensräume vor Vertreibung und Vernichtung von Regenwäldern. Indigene Beteiligungsrechte nach der ILO-Konvention 169 sind genauso wenig vorgesehen wie Geschlechtergerechtigkeit. Geschlechtsbezogene Gewalt und Diskriminierung werden als Menschenrechtsverletzungen trotz der Kenntnis ihrer weiten Verbreitung entlang globaler Lieferketten nicht aufgeführt.
Beschluss des Europäischen Parlaments zum europäischen Lieferkettengesetz
Die EU und ihre Mitgliedstaaten sind nicht nur aufgrund der UNLP, sondern auch aufgrund Artikel 3 und 21 des Lissabon-Vertrags verpflichtet, im Rahmen der Handels- und Investitionspolitik die Menschenrechte im In- und Ausland zu achten und zu fördern. Unter großer Zustimmung der Mitglieder des Europäischen Parlaments wurde am 10. März 2021 mit einer fraktionsübergreifenden Mehrheit von 504 Stimmen der „Legislativbericht über menschenrechtliche und umweltbezogene Sorgfaltspflichten von Unternehmen“ verabschiedet, der über die Ansprüche des deutschen LkSG deutlich hinausgeht. Im Zusammenhang mit dem gegen Ende des Jahres zu erwartenden Richtlinienvorschlag der Kommission bedarf es der aufmerksamen Begleitung der europäischen Zivilgesellschaft, damit die strengeren Empfehlungen des Europäischen Parlaments sowie die Vorgaben der ULNP respektiert und nicht durch das Votum des Europäischen Rats menschenrechtswidrig abgeschwächt werden.
Die Internationale Liga für Menschenrechte kritisiert die Unzulänglichkeiten des LkSG und fordert die Europäische Union auf, mit einer menschenrechtskonformen und umweltorientierten Richtlinie den Rahmen für ein verbessertes Gesetz zu setzen und erwartet in der Folge vom nächsten Bundestag die Verabschiedung eines LkSG, das die Standards der internationalen Konventionen respektiert, u.a. durch:
- Verpflichtung von Unternehmen ab 250 Mitarbeitenden
- Erfassung aller mittelbaren und unmittelbaren Zulieferer der Liefer- und Wertschöpfungskette
- zivilrechtliche Haftungsregelung für geschädigte Personen und verursachte Umweltschäden
- Beteiligungsrechte der indigenen Bevölkerung
- Verbot von geschlechtsbezogener Gewalt und Diskriminierung entlang der Lieferketten
- Neutrale Kontrollverfahren außerhalb des BMWi
Die Internationale Liga für Menschenrechte beobachtet die weitere Entwicklung und appelliert an die Menschenrechtsorganisationen vor Ort, Verletzungen von Menschenrechten öffentlich zu machen und den betreffenden Unternehmen zu melden.