Wir dokumentieren die Langfassung des Beitrages von Rolf Gössner
der Veranstaltung „Erneutes NPD-Verbotsverfahren: Problemlösung oder Verdrängungspolitik?“ vom 27. März 2013 im Haus d. Demokratie u. Menschenrechte, Greifswalder Str. 4, 10405 Berlin
es sprachen:
Rolf Gössner – Vizepräsident der ILMR
Thomas Willms – Bundesgeschäftsführer VVN-BdA
www.vvn-bda.de/ www.npd-verbot-jetzt.de/
Moderation: Eckart Spoo – Redakteur der Zeitschrift Ossietzky
Ablenkungsmanöver statt Problemlösung
Einwände gegen Parteiverbote und einen erneuten NPD-Verbotsanlauf
Vorweg: Wir sollten es tunlichst vermeiden, das Für und Wider eines erneuten NPD-Verbotsanlaufs zum Lackmustest für konsequenten Antifaschismus zu stilisieren. Antifaschistische Politik zeichnet sich nicht dadurch als besonders konsequent aus, dass sie ausgerechnet nach staatlichen Verboten ruft. Ich weiß, dass Viele dies vollkommen anders sehen und ich habe – so viel Widersprüchlichkeit darf sein, durchaus Sympathie für die „NoNPD“-Kampagne der VVN, denn auch ich halte die NPD und ihre Politik für neonazistisch, rassistisch und menschenverachtend und wäre froh, wenn diese Partei per Gerichtsbeschluss einfach verschwände. Schließlich quillt der NPD die aggressiv-kämpferische Demokratie- und Verfassungsfeindlichkeit aus jeder Pore ihres Personalkörpers und ihres Parteiprogramms. Da schwingt die verwegene Hoffnung mit, man könne Nazismus und Rassismus von Staats wegen verbieten und seine Bekämpfung an Obrigkeit und Sicherheitsbehörden delegieren.
Tatsächlich fordern viele Menschen, Antifa-Gruppen, Gewerkschaften und manche Parteien immer wieder, erst recht nach dem NSU-Skandal, ein Verbot der NPD – sicherlich aus guten und nachvollziehbaren Gründen. Doch eines wird man nicht sagen können: dass ein NPD-Verbot die entsetzlichen NSU-Morde verhindert oder dazu beigetragen hätte, den rassistischen Hintergrund der Taten früher zu erkennen und die untergetauchten Neonazis besser aufzuspüren. Dazu hätte es gereicht, wenn Sicherheitspolitik und Sicherheitsbehörden ihre ideologischen Scheuklappen abgelegt, ihre V-Mann-bedingte Kumpanei mit Neonazis aufgegeben und ernsthaft den rassistischen Hintergrund der Greueltaten ausgeleuchtet hätten, anstatt in rassistischer Weise die Opfer und ihre Angehörigen zu verdächtigen.
Die immer wieder aufflackernde NPD-Verbotsdebatte zeigt fokusartig das Dilemma der „wehrhaften Demokratie“ im „Kampf gegen Rechts“: Einerseits gebietet es die deutsche Geschichte, bei rechtsextremen Organisationen und Parteien besonders wachsam zu sein, Strukturentwicklungen in den Naziszenen gründlich zu beobachten und wo nötig auch repressiv zu reagieren – besonders dann, wenn Menschen in Gefahr geraten oder zu Opfern von Rassismus und rechter Gewalt werden. Andererseits kann sich aber die Fixierung auf staatliche Instanzen wie den unkontrollierbaren Inlandsgeheimdienst „Verfassungsschutz“ (VS) oder auf Parteiverbote als fatal erweisen, was im Folgenden zu begründen ist.
NPD-Verbotsdesaster 2003: V-Leute-Unterwanderung als Verfahrenshindernis
Dazu eine kurze Rückblende zum Anfang dieses Jahrtausends: Nach mehreren Gewaltakten und Anschlägen rief die herrschende Politik den „Aufstand der Anständigen“ aus – gerade zu einer Zeit, als das „Ansehen Deutschlands in der Welt“ auf dem Spiel stand und der Rechtsradikalismus zum wirtschaftlichen Standort-Nachteil geriet. Unter hohem öffentlichen, auch internationalen Handlungsdruck stellten Bundesregierung, Bundestag und Bundesrat damals einen fachlich und politisch unverantwortlichen Antrag auf Verbot der NPD – warum unverantwortlich?
Unverantwortlich deshalb, weil sie diesen Antrag ungeachtet der V-Leute-Unterwanderung der NPD stellten und die damit verbundenen verfahrensrechtlichen Folgen – nämlich eines drohenden Geheimverfahrens – offenbar billigend in Kauf nahmen. Dies hätte ein rechtsstaatlich-faires Verbotsverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht unmöglich gemacht, weil V-Leute des Verfassungsschutzes lange Jahre – auch während des Verbotsverfahrens – an führenden Stellen in der NPD mitmischten und im Verbotsprozess als geheime Zeugen fungieren sollten – ausgerechnet in einem Prozess, in dem der demokratische Rechtsstaat gegen verfassungsfeindliche Bestrebungen verteidigt werden sollte. Insoweit war es verfassungsrechtlich konsequent, dass das Gericht diesen geheimdienstlich verseuchten Prozess 2003 aus verfahrensrechtlichen – nicht etwa aus inhaltlichen Gründen – einstellte.
Im Zusammenhang mit diesem kläglich gescheiterten NPD-Verbotsverfahren erlebten wir die bis dato größte V-Mann-Affäre in der bundesdeutschen Geschichte. Zur Erinnerung: Etwa 30 der 200 Vorstandsmitglieder der NPD standen seit Jahren und Jahrzehnten als V-Leute im Sold des Inlandsgeheimdienstes – also fast jeder Siebte, über 150 dürften es auf allen Parteiebenen gewesen sein. Allein diese hohe Zahl an staatlich alimentierten Neonazis dürfte erheblichen Einfluss auf die NPD und ihre rassistische Politik gehabt haben, so dass die Verfassungsrichter nicht mehr unterscheiden konnten, was original NPD-Agitation war und was von staatlich verpflichteten V-Leuten stammte.
Der Berliner Landesvorstand soll zeitweise sogar so stark unterwandert gewesen sein, dass der Verfassungsschutz mit seinen V-Leuten einen Beschluss hätte herbeiführen können, die NPD in Berlin aufzulösen. Eine weit einfachere Lösung als ein aufwändiges Verbotsverfahren. Hat er aber nicht getan – im Gegenteil: Die V-Leute waren landauf, landab fleißig dabei, die NPD zu stabilisieren und auszubauen. Der Staat hat also diese rechtsextreme Partei jahrzehntelang über seine Spitzel mitfinanziert und gestärkt, anstatt sie zu schwächen und trägt dafür eine Mitverantwortung. So, wie der Verfassungsschutz ohnehin längst über sein unkontrollierbares und kriminelles V-Leute-Netzwerk selbst Teil des Neonaziproblems geworden ist und nicht ansatzweise zu dessen Bekämpfung oder gar Lösung beitragen konnte.
Pragmatische Gründe gegen erneuten Verbotsantrag
Aus dem Verbotsdesaster von 2003 wurden weder rechtzeitig noch nachhaltig politische Konsequenzen gezogen, weshalb ein neuer Antrag das gleiche Schicksal erleiden könnte wie damals. Gleichwohl beschloss Ende 2012 der Bundesrat einen neuen NPD-Verbotsantrag, wohingegen sich die Bundesregierung gegen eine Beteiligung entschieden hat und die Entscheidung des Bundestages noch offen ist. Die Parteien sind jedenfalls zerstritten; und auch innerhalb der Internationalen Liga für Menschenrechte gibt es unterschiedliche Auffassungen, während sich die meisten anderen Bürger- und Menschenrechtsorganisationen, wie Komitee für Grundrechte und Demokratie oder der Republikanischen Anwältinnen- und Anwaltsverein (RAV), klarer gegen ein Verbot positionieren.
Schon aus ganz pragmatischen Gründen halte ich den Bundesratsbeschluss für voreilig und fahrlässig. Denn damit riskiert man ein erneutes Desaster vor dem Bundesverfassungsgericht oder spätestens vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Eine solche Schlappe, zum wiederholten Mal, würde der politisch seit längerem dahinsiechenden, finanziell nahezu ruinierten NPD wieder Auftrieb verschaffen. Zwei Gründe sind zu nennen:
1. „Quellenfreies“ Belastungsmaterial: Die Innenminister behaupten felsenfest, dass das inzwischen als geheime „Verschlusssache“ vorliegende über tausend Seiten umfassende Belastungsmaterial „quellenfrei“ und deshalb eine geeignete Grundlage für ein erfolgreiches Verbotsverfahren sei. Damit wollen die Innenminister verhindern, dass das Bundesverfassungsgericht, wie 2003, das Verbotsverfahren wegen mangelnder Staatsferne der NPD wieder einstellt.
Ich bezweifle die „Quellenfreiheit“: Wer kann tatsächlich gewährleisten, dass die Inhalte des Belastungsmaterials nicht von V-Leuten beeinflusst, geprägt, vergiftet sind? Eine solche Garantie gibt es nicht, schon gar nicht von einem Geheimdienst – und auch kein Innenminister kann eine solche abgeben. Schließlich haben bezahlte V-Leute des „Verfassungsschutzes“, allesamt gnadenlose Nazis und Rassisten, zumindest bis April 2012 jahre- und jahrzehntelang an führenden Stellen die menschenverachtende Politik der NPD mitgeprägt. Diese Mitprägung lässt sich nicht einfach per Abschaltung oder Aktenschredder ungeschehen machen. Selbst wenn das belastende Material, das aus 2012 und davor stammt, nicht unmittelbar von V-Leuten herrührt, so bleibt doch die entscheidende Frage, wie stark die NPD und ihre Politik nach wie vor von geheimen Mitarbeitern des „Verfassungsschutzes“ auf unterschiedlichen Parteiebenen mitgeprägt sind. Denn die NPD insgesamt ist keineswegs „quellenfrei“.
Tatsächlich ist sie nach wie vor mit über hundert V-Leuten durchsetzt. Zwar sollen im vorigen Jahr die V-Leute aus den Führungsebenen der Partei abgeschaltet worden sein – doch belegbar ist dies nicht. Und eine Gewähr können und wollen auch insoweit, aus gutem Grunde, längst nicht alle Innenminister geben. Mit dem für notwendig erklärten Verbleib der V-Leute auf allen anderen Parteiebenen bleibt es ohnehin bei der Kumpanei des VS mit den Partei-Neonazis.
2. Verfassungsrechtliche Hürden: Außerdem ist kritisch zu hinterfragen, ob die staatlichen Befürworter eines NPD-Verbots die bisherige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Europäischen Gerichtshofs ausreichend berücksichtigt haben. Diese Gerichte legen die Hürden für ein Parteiverbot im Sinne einer Ultima-Ratio-Maßnahme sehr hoch. Ein erneuter Verbotsantrag ist dann unverantwortlich, wenn diese Hürden offenkundig nicht zu nehmen sind. Jedenfalls reicht der Nachweis keineswegs aus, die Ziele der NPD seien mit der „freiheitlichen demokratischen Grundordnung“ nicht vereinbar oder sie verfolge in aggressiv-kämpferischer Weise verfassungsfeindliche Ziele.
Eine zu verbietende Partei muss nach der Rechtsprechung eine unmittelbare Gefahr für die Demokratie darstellen und vor allem: Sie muss das reale Potential dazu haben. Diese Wirksamkeitshürde dürfte eine Ein- bis Zwei-Prozent-Partei mit knapp 6.000 Mitgliedern, Schulden und schwindenden Wahlerfolgen wohl kaum schaffen. Mal abgesehen davon, dass das vorgelegte Belastungsmaterial nach Auffassung von Gewährsleuten, die das Geheimkonvolut sichten konnten, wie Christian Ströbele, Petra Pau oder Antifas um die Internet-Zeitschrift „Gamma“, für eine Verbotsbegründung nicht ausreiche und daher mehr als skeptisch einzuschätzen sei.
Mein Fazit insoweit: Die Einwände gegen einen erneuten NPD-Verbotsanlauf lassen die aktuellen Beschlüsse verantwortlicher Innenpolitiker und Ministerpräsidenten der Länder und des Bundesrates ziemlich unverantwortlich erscheinen – vielmehr als Reflex auf die NSU-Mordanschläge, als ein Akt von Symbol- und Ersatzpolitik in Wahlkampfzeiten, um gemeinsam von einem der schlimmsten Staatsschutzskandale im Zusammenhang mit der Nazi-Mordserie abzulenken, um abzulenken vom eigenen Versagen im Kampf gegen Neonazismus und Rechtsterror – und damit der Bevölkerung auch noch vorzugaukeln: „Seht her, wir tun etwas gegen Rechts“.
3. Verbot nach Art. 139 GG (= Befreiungsgesetz)? Von antifaschistischer Seite wird mitunter die Auffassung vertreten, die NPD müsse gar nicht umständlich verboten, sondern könne unmittelbar aufgelöst werden, weil Völkerrecht und Grundgesetz dies zwingend erforderten. Sie sehen sich durch Art. 139 GG (= Befreiungsgesetz) bestärkt: Danach gelten die zur „Befreiung des deutschen Volkes vom Nationalsozialismus und Militarismus“ erlassenen alliierten vorkonstitutionellen Entnazifizierungsvorschriften nach wie vor, was eine Auflösung der NPD als „Nachfolgepartei der NSDAP“ ungeachtet aller Grundrechte möglich mache – und zwar ohne ein aufwändiges Parteiverbotsverfahren nach Art. 21 Abs. 2 Grundgesetz.
Abgesehen davon, dass diese Auffassung spätestens seit dem Zwei-plus-Vier-Vertrag höchst umstritten ist (vgl. Battis/Grigoleit, FR 10.10.2000, S. 10), zumal diese Bestimmungen als vordemokratisches Besatzungsrecht in Teilen der geltenden Verfassung und den Grundrechten eklatant widersprechen – abgesehen davon, wäre dieser Weg, der so einfach klingt, im Falle eines Vollzugs gleichermaßen aufwändig und unwägbar. Warum? Weil auch eine solche Partei-Auflösung nicht einfach per Erlass der Regierung erfolgen könnte, sondern ein rechtsstaatliches Justizverfahren vor dem Verfassungsgericht mit umfangreicher Beweisaufnahme erfordern würde – mit den gleichen Beweisschwierigkeiten wie bei Parteiverbotsverfahren. Schließlich kann man der NPD den Charakter einer „Nachfolgepartei der NSDAP“ nicht einfach per Offenkundigkeit unterstellen.
Parteiverbote in einer Demokratie
Auch wenn man im Verbot einer Neonazi-Partei einen geschichtlich gerechtfertigten Sonderfall sehen könnte, so werfen Parteiverbote doch mehr Probleme auf, als sie zu lösen imstande sind. Deshalb stellt sich die grundsätzliche Frage, ob ein Parteiverbot, zumal ein überwiegend ideologisch begründetes, in eine freiheitliche und offene Demokratie überhaupt passt; und ob ein Parteiverbot tatsächlich zu einer Problemlösung beitragen kann oder eher der politischen Verdrängung zugrunde liegender gesellschaftlicher Probleme und staatlicher Defizite dient?
Nach herrschender Auffassung konstituiert das Grundgesetz eine so genannte streitbare oder wehrhafte Demokratie, deren Credo „keine Freiheit für die Feinde der Freiheit“ von Anbeginn zu einer fatalen Entwicklung in Westdeutschland geführt hat. Denn sie konzentrierte sich ‑ trotz ursprünglicher antinazistischer Zielrichtung ‑ vornehmlich auf die administrative und justizielle Bekämpfung des „inneren Feindes“ – und der stand traditionellerweise links. Und so kam es in den 1950er/60er Jahren zu einer exzessiven Verfolgung von Kommunistinnen und Kommunisten, ihrer Organisationen und Partei, der KPD, ihren Unterstützern und Sympathisanten. Das KPD-Verbot von 1956 war bekanntlich das zweite und letzte Parteiverbot – nach dem Verbot der rechtsextremen SRP von 1952.
Grundsätzlich gilt, dass mit Parteiverboten die Freiheit des politischen Kampfes um die Willensbildung in der Bevölkerung unter die Drohung mit dem Ausnahmerecht gestellt wird – ein Ausnahmerecht, das einer pluralistischen, „freiheitlichen demokratischen Grundordnung“ eigentlich widersprechen müsste. In der liberalen juristischen Literatur wird das Parteiverbot – übrigens in Westeuropa ein Unikum – deshalb auch als „Fremdkörper” im System einer freiheitlichen Demokratie bezeichnet (Ingo v. Münch) oder gar als „Konstrukt antiliberalen und antidemokratischen Denkens”, so der radikaldemokratische Verfassungsrechtler Helmut Ridder.
„Die Beurteilung von Wert oder Unwert politischer Parteien“, so der Grundgesetz-Kommentator Ingo von Münch, „sollte der politischen Entscheidung des Wählers überlassen werden, nicht der juristischen Entscheidung eines Gerichts“. Und der Verfassungsrechtler Horst Meier sieht im Parteiverbot eine „einzigartige Schöpfung westdeutschen Verfassungsgeistes, in der Kalter Krieg und hilfloser Antifaschismus eine vordemokratische Symbiose eingegangen sind”. Solchen innerstaatlichen Feinderklärungen habe niemals eine wirkliche Gefahr für die Demokratie zugrunde gelegen, sondern die „so gereizte wie kleinmütige Ausgrenzungsbereitschaft der deutschen Mehrheitsdemokraten” – von denen über 60 Prozent ebenfalls ein NPD-Verbot fordern.
Selbst wenn man demgegenüber im Verbot einer neonazistischen Partei gerade in Deutschland einen geschichtlich gerechtfertigten Sonderfall sieht, so sind die mit Parteiverboten verbundenen Probleme doch nicht zu übersehen: Abgesehen von einer kurzen Verunsicherung der Szene, vom Entzug des Parteienprivilegs, der Zerschlagung von Strukturen und einem Versiegen staatlicher Parteigelder – übrigens einer der wichtigsten Effekte (der womöglich auch anders zu erreichen ist) – drängt ein solches Verbot zwar die Betroffenen ins Abseits, doch ihr unseliger Geist wirkt weiter, denn der lässt sich nicht gleich mit verbieten. Nazistische Gesinnungstäter und rassistische Schläger werden sich ohnehin kaum beeindrucken lassen – schon eher von konsequent handelnder Politik, Polizei und Justiz, was immer wieder von Seiten der Zivilgesellschaft angemahnt werden muss.
Im Übrigen: Der rassistische, antisemitische, antimuslimische und antiziganistische Nährboden wird dennoch weiter existieren und fruchtbar bleiben, denn dieser Nährboden konzentriert sich keineswegs auf die NPD und einen rechten Rand, sondern reicht weit in die Mitte der Gesellschaft und auch in staatliche Institutionen.
Verbote treiben Nazi-Aktivisten und -Anhänger, so die Erfahrung, in andere, nicht verbotene oder neu gegründete Parteien und Gruppen oder in den Untergrund, wo sie weiter ihr Unwesen treiben – womöglich in radikalisierter Form. Auch die NPD hat Personal zuvor verbotener Organisationen – etwa der FAP, Nationalen Front, des Deutschen Kameradschaftsbunds – aufgefangen, was zu ihrer Radikalisierung beitrug und sie zum Sammelbecken für das extrem rechte Spektrum werde ließ. Schon bei ihrer Gründung 1964 hatte sich die NPD auch auf die versprengten altnazistischen Mitglieder der 1952 verbotenen „Sozialistischen Reichspartei“ (SRP) gestützt.
Solche Verlagerungstendenzen zeigen: Verbote sind eher eine Form gesellschaftlicher Verdrängung denn Lösungsansätze – hilflos-beruhigende, autoritätsgläubige Ersatz- und Symbolpolitik, die geeignet ist, von den Entstehungs- und Wachstumsbedingungen rechtsextremer Gesinnung und Gewalt, von institutionalisiertem Rassismus und gesellschaftlicher Fremdenfeindlichkeit und ihren Ursachen abzulenken.
Könnte es also nicht sein, dass es sich bei der oft hitzigen Diskussion um ein NPD-Verbot um eine bloße Scheindebatte handelt, dass mit einem NPD-Verbot letztlich der starke Staat demonstriert werden soll, hinter dem sich eine ziemlich schwache Demokratie verbirgt, die zu ihrer Verteidigung undemokratisches Ausnahmerecht einer offensiven gesellschaftliche Auseinandersetzung und einer gründlichen Beseitigung des rassistischen Nährbodens in Staat und Gesellschaft vorzieht?
Autoritäre Pseudo-Lösungen
Auch wenn autoritär strukturierte Rechte am ehesten mit staatsautoritärem Gebaren zu beeindrucken sind, so führt die Fixierung auf die NPD als das politisch Böse, führt die Fixierung auf staatliche Institutionen und Maßnahmen im „Kampf gegen Rechts“ auch deshalb in die Irre, weil die Gefahr besteht, dass der Rechtsruck, den wir in Deutschland nicht erst seit gestern zu verzeichnen haben, auf staatlicher Ebene mit weiteren autoritären Pseudo-Lösungen noch verstärkt und verfestigt wird. Wir werden jedenfalls keinen autoritären Staat nur oder überwiegend gegen Rechtsextreme bekommen, sondern der autoritäre Staat steht seinerseits rechts und wird sich in erster Linie gegen Links richten – das zeigen die Strukturveränderungen im Zuge des staatlichen Antiterrorkampfes, das zeigen auch die aktuellen Reformen nach dem NSU-Skandal. Eine solche „Sicherheitspolitik“ befördert eine Sicherheitskonzeption, die der Bevölkerung vorgaukelt, verhängnisvolle politische Entwicklungen könnten etwa geheimdienstlich, polizeilich oder per Verbotsdekret aus der Welt geschafft werden.
Wir sollten über ausgeklügelte Gesetzesverschärfungen und Verbotskonstrukte gegen neonazistische Bestrebungen nicht vergessen, dass letztlich kein geheimdienstlicher Schleichweg und kein verfassungsrechtlicher Ausweg daran vorbeiführt, die politische Auseinandersetzung mit nazistischer Ideologie, Antisemitismus und Rassismus, ihren Ursachen und Bedingungen verstärkt in die Mitte der Gesellschaft zu tragen – dorthin, wo der Rechtsruck seinen Ausgang genommen hat, dorthin, wo fremdenfeindliches Gedankengut den fruchtbaren Nährboden für rechte und rassistische Gewalt bildet. Hier sind wir alle gefordert.
Provokante Fragen: Feindrecht gegen Neonazis?
Ganz zum Abschluss möchte ich noch ein paar provokante Fragen anfügen: Machen wir es uns womöglich zu einfach mit schnellen Verbotsforderungen, mit dem durchaus bedenkenswerten, aber rechtlich eher vagen Verweis auf die antifaschistische Werteordnung des Grundgesetzes und auf die schon reichlich überstrapazierte und missbrauchbare „wehrhafte“ Demokratie? Machen wir es uns nicht zu einfach mit dem Ruf nach dem starken autoritären Staat, nach Partei-, Organisations- und Versammlungsverboten, nach Gesetzesverschärfungen und anderen etatistischen Lösungsversuchen? Bedienen wir damit nicht nur den Verbots- und Ausgrenzungsreflex von Hardlinern und der verdrängungssüchtigen Bevölkerungsmehrheit, die sich immerhin zu über 60 Prozent für ein NPD-Verbot ausgespricht?
Wollen wir tatsächlich so weit gehen, Neonazis und Anhänger gesellschaftlich total auszugrenzen, so verlockend dies auch sein mag, sie also einem Sonder- oder Feindrecht zu unterstellen und damit quasi rechtlos zu stellen? Das würde bedeuten, dass bestimmte Bürger- und Menschenrechte für sie weitgehend suspendiert würden – so die Versammlungs-, Vereinigungs- und Meinungsäußerungsfreiheit, konsequenterweise auch das Wahlrecht.
Eine solche Rechtsverkürzung, die an Feindstrafrecht und rechtfreie Räume gemahnt, würde vor dem Bundesverfassungsgericht und dem Europäischen Menschenrechtsgerichtshof keinen Bestand haben. Die Bundesrepublik würde wegen Verletzung von Bürger- und Menschenrechten verurteilt. Ich denke, dass wir kein Feindrecht gegen innere Feinde wollen nach dem berühmt-berüchtigten Modell eines Feindstrafrechts, wie es in Anlehnung an Carl Schmitt seit geraumer Zeit in Juristenkreisen wieder debattiert wird – und zwar weder gegen Terroristen und Islamisten noch gegen Neonazis. Antifaschistische Politik zeichnet sich meines Erachtens nicht dadurch als besonders konsequent aus, dass sie ausgerechnet nach staatlicher Repression und nach Verboten ruft.
Damit ist der Staat nicht aus der Verantwortung – im Gegenteil: Er hat auf verfassungsmäßiger Grundlage gegen nazistische Gewalttäter, Rassisten und Volksverhetzer unnachsichtig einzuschreiten – allein schon zum Schutz der Opfer. Parallel zu einer offensiven Auseinandersetzung bedarf es aber auch dringend flankierender politischer Gegenstrategien – dazu gehören eine Sozial- und Bildungspolitik, die diesen Namen verdient, eine konsequente Antidiskriminierungspolitik, eine humane Asyl- und Migrationspolitik, die Stärkung der Position von Minderheiten und eine bessere Unterstützung von Opfern rechter Gewalt. Gefordert sind also primär sozial- und verfassungsverträgliche Lösungsansätze – jenseits von V-Mann-Seligkeit und geheimdienstlichen Verstrickungen, jenseits von Rassisten und Schlägern im Dienst des Staates, jenseits auch von einer Fixierung auf Parteiverbote, die sich rasch auf ganz andere politische Spektren auswirken könnten.
Dr. Rolf Gössner ist Rechtsanwalt, Publizist und Vizepräsident der Internationalen Liga für Menschenrechte (Berlin), außerdem stellv. Richter am Staatsgerichtshof der Freien Hansestadt Bremen sowie Mitglied der Deputation für Inneres der Bremischen Bürgerschaft. Mitherausgeber des jährlich erscheinenden „Grundrechte-Reports“ und Mitglied in der Jury zur Vergabe des deutschen Negativpreises BigBrotherAward. Sachverständiger in Gesetzgebungsverfahren von Bundestag und Landtagen. Autor zahlreicher Bücher zum Themenbereich Demokratie, Innere Sicherheit und Bürgerrechte, zuletzt:
• Geheime Informanten. V-Leute des Verfassungsschutzes: Neonazis im Dienst des Staates, München 2003; Akt. Neuauflage als e-book 2012 bei Knaur-Verlag, München. Download-Direktlink: http://bit.ly/J8XWNC
• Menschenrechte in Zeiten des Terrors. Kollateralschäden an der „Heimatfront“, Hamburg 2007.