Internationale Liga für Menschenrechte

Internetpräsenz der Internationalen Liga für Menschenrechte

Firas Maraghy im Hungerstreik für sein Recht auf Bewegungsfreiheit

Liga-Appell

an den Botschafter des Staates Israel in Deutschland, s. E. Yoram Ben-Zeev

und die Regierung der Bundesrepublik Deutschland

Seit 17 Tagen befindet sich der in Deutschland lebende palästinensische Ost-Jerusalemer Firas
Maraghy im Hungerstreik vor der Botschaft des Staates Israel in Berlin.

Er hat allen Grund, die Aberkennung seines dauerhaften Wohnrechts in seiner Heimatstadt durch die Regierung Israels zu befürchten. Er kämpft für seine Menschenrechte. Er kämpft gegen die Einschränkung seiner Bewegungsfreiheit.

Ost-Jerusalem wurde mit dem übrigen Westjordanland, dem Gazastreifen und den Golanhöhen von Israel im Junikrieg 1967 erobert. Noch im Juni wurde das „wiedervereinte Jerusalem“ unter Missachtung einschlägiger UN-Resolutionen und wider geltendem Völkerrecht der Gesetzgebung Israels unterstellt. Das schließlich am 30. Juli 1980 von der Knesset verabschiedete „Grundlagengesetz: Jerusalem Hauptstadt Israels“ bezeichnet das „geeinte“ Jerusalem als „ewige“ Hauptstadt des jüdischen Staates Israel und legalisiert die Annexion Ost-Jerusalems. Drei Wochen später erklärte der UN-Sicherheitsrat am 20. Aug. 1980 in seiner mit 14:0 Stimmen angenommenen Resolution 478 die Annexion Ost-Jerusalems durch Israel für nichtig und forderte alle UN-Mitgliedstaaten auf, ihre diplomatischen Vertretungen aus Jerusalem abzuziehen. Die Bundesrepublik Deutschland hat den genannten Völkerrechtsverstoß Israels zu keinem Zeitpunkt anerkannt. Der Sitz der deutschen Botschaft ist Tel-Aviv.

Die seit vielen Generationen in Ost-Jerusalem lebenden Palästinenser erhalten im Unterschied zu den Einheimischen der übrigen Westbank nicht die palästinensische aber auch nicht die israelische Staatsbürgerschaft. In den Amtsaugen der Regierung Israels gelten sie als staatenlos. „Permanente Bewohner“ Jerusalems, die zwar israelischem Recht unterstehen aber keine staatsbürgerlichen Rechte erhalten. Ihr Ausweis, die so genannte Jerusalem-ID macht Palästinenser de facto und de jure zu Bürgern zweiter Klasse in der eigenen Heimatstadt. „Permanent“ ist nur die Rechtsunsicherheit. Das Wohn- und Aufenthaltsrecht kann jedem palästinensischen Ost-Jerusalemer jederzeit entzogen werden.

Firas Maraghy, Jahrgang 1971 kennt seit Geburt alle Facetten der Ausgrenzung der nichtjüdischen Bewohner mit einer Jerusalem-ID. Drastische Einschränkungen der Bewegungsfreiheit gehören dazu. Nicht nur innerhalb Jerusalems und Israels. Seit 1996 verlieren Ost-Jerusalemer, die länger als sieben Jahre im Westjordanland außerhalb der Stadt oder im Gazastreifen gelebt haben, per Gesetz automatisch ihren Status. Umgekehrt ist Bewohnern der Westbank und des Gazastreifens die Einreise nach Ost-Jerusalem verboten.

Ins Ausland reisen können Ost-Jerusalemer „Nicht-Bürger“ nur mit einem so genannten „Laissez-Passer-Dokument“ und einem Rückkehr-Visum, das vom israelischen Innenministerium für ein bis maximal zwei Jahre ausgestellt wird oder nicht. Die Ablehnung der Visumserteilung braucht das Ministerium nicht zu begründen. Ohne ein solches Visum ist das Recht zurückzukehren verwirkt. Eine Änderung oder Erneuerung des Dokuments wird vom Ministerium in jeder Hinsicht erschwert. Die israelische Regierung will nicht, dass Ost-Jerusalemer Palästinenser aus dem Ausland zurückkehren.

An der bitteren Situation von Firas Maraghy ist das ganze Ausmaß der Unmenschlichkeit einer Gesetzgebung erkennbar, die ethnische Säuberung zu Gunsten der Schaffung einer jüdischen Bevölkerungsmehrheit auch in Ost-Jerusalem mit dem Ziel legitimiert, die internationale Anerkennung seiner Eingliederung in den jüdischen Staat Israel zu erzwingen.

Seit 2007 mit der deutschen Staatsbürgerin Wiebke Diehl verheiratet, folgte Firas Maraghy alsbald seiner jungen Frau nach Berlin. Hier wollte sie ihr Studium der Islamwissenschaften abschließen und danach promovieren. Die Aufgabe seiner Ost-Jerusalemer Heimat kam für beide zu keinem Zeitpunkt in Betracht. Daher reiste Firas Maraghy Mitte 2009 nach Ost-Jerusalem, um seine Papiere getreu den israelischen Ausgrenzungsgesetzen seit 1995 erstens innerhalb einer Zweijahresfrist und zweitens in Israel vor Ort erneuern zu lassen. Im Zuge dessen beantragte er auch die Registrierung seiner Ehe.

Nach innenministerialer Entscheidung von 1995 ist jedoch das Anrecht von Palästinensern, Ost-Jerusalem dauerhaft zu bewohnen, vom Nachweis des Lebensmittelpunkts innerhalb der Stadtgrenzen abhängig. Palästinenser, die einen Wohnsitz im Ausland erworben oder auch nur beantragt haben, verlieren ihr Dauerwohnrecht in Jerusalem. Mit eben dieser Begründung wurde Maraghy wie schon Tausenden Ost-Jerusalemern vor ihm die Erneuerung seiner ID versagt. Zudem war das Recht auf Familienzusammenführung für palästinensische Jerusalemer bereits 2000 annulliert worden. Die zwingend notwendigen Papiere, um Ost-Jerusalem zu verlassen erhielt er allerdings: Das Laissez-Passer-Dokument mit Rückkehrvisum, zusammen mit dem Hinweis, dass eine künftige Erneuerung von einem mindestens anderthalb jährigen Aufenthalt in Ost-Jerusalem abhängig gemacht werde.

Im Dezember 2009 kam Zaynab, die Tochter des Ehepaars Maraghy, zur Welt. Sein Antrag bei der Botschaft des Staates Israels in Deutschland, wenigstens sie zu registrieren, wurde abgelehnt. Wider besseres Wissen wurde ihm nahegelegt, mit der Tochter nach Ost-Jerusalem zu fliegen, um sie vor Ort registrieren zu lassen.

Seitdem ist der Ehemann und Vater, dessen gesamte Herkunftsfamilie in Ost-Jerusalem ansässig ist, der unsäglichen Alternative ausgesetzt, entweder ohne Ehefrau und Tochter nach Ost-Jerusalem zurückzukehren oder sein Rückkehrrecht zu verlieren. In dieser ausweglosen Situation entschied er sich zum äußersten Mittel des individuellen Widerstands, zum Hungerstreik. Er ist entschlossen, so lange keine Nahrung zu sich zu nehmen, bis ihm, der Ehefrau und der kleinen Tochter ein legaler Status in seiner Heimatstadt Jerusalem zuerkannt wird.

Der Vorstand der Internationalen Liga für Menschenrechte appelliert an den Botschafter des Staates Israel in Deutschland, s. E. Yoram Ben-Zeev, sich mit aller Kraft dafür einzusetzen, dass die Zuständigen in Israel dem berechtigten Antrag von Firas Maraghy auf einen jederzeitigen Daueraufenthalt der Familie in seiner Heimatstadt Ost-Jerusalem stattgeben.

Zugleich fordert die Liga die Bundesregierung auf, den unverkennbaren Verstoß der Regierung Israels gegen Internationales Recht nicht tatenlos hinzunehmen.

Alle Mitgliedsstaaten der UNO haben sich völkerrechtlich verpflichtet, die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte zu verwirklichen und mehr noch ihre Bestimmungen zu verteidigen. Artikel 13 fordert von Israel ebenso wie von allen übrigen Staaten, jedem Menschen das grundlegende Recht auf Bewegungsfreiheit zu garantieren. Dies schließt insbesondere die Garantie der Rechtssicherheit für jeden Menschen ein, „jedes Land einschließlich seines eigenen, zu verlassen und in sein Land zurückzukehren.“ (Art. 13 Abs. 2).

Israel ist zudem seit Januar 1992 Vertragsstaat des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte. Auch hieraus erwächst ihm die für alle Vertragsstaaten bindende Verpflichtung zur Garantie der im Pakt verankerten bürgerlichen Grundrechte. Artikel 12. des Zivilpakts schreibt das individuelle Recht zur Ein- und Ausreise in jedes Land einschließlich das eigene als Grundfreiheit fest. Ihre willkürliche Einschränkung wird durch Absatz 3 ausgeschlossen, zumal, wenn sie grundlos und entgegen den übrigen in dem Pakt anerkannten Rechten erfolgt. Ausdrücklich heißt es in Absatz 4 „Niemandem darf willkürlich das Recht entzogen werden, in sein eigenes Land einzureisen.“

Deutschland ist ebenfalls Vertragsstaat des Zivilpakts. Die Bundesregierung ist verpflichtet, den anhaltenden Verstößen Israels gegen elementare Grund- und Menschenrechte politisch mit
Nachdruck entgegenzuwirken und bei Erfolglosigkeit ebenso zu sanktionieren, wie bei vergleichbaren Vergehen anderer Staaten mehrfach geschehen. Willkürliche Einschränkungen der Grundfreiheiten von Menschen, ethnische Säuberung und der Entzug des Rechts auf Rechte sind keine Kavaliersdelikte, die „guten Freunden“ gestattet sein dürfen. Wir appellieren an die Bundeskanzlerin, an den Außenminister, den Menschenbeauftragten der Bundesregierung, den Vorsitzenden des Menschenrechtsausschusses des Deutschen Bundestages sowie an alle Bundestagsabgeordneten: Verhelfen Sie der Familie Maraghy zu ihrem Recht. Bewegungsfreiheit gehört zu den unteilbaren Grund- und Menschenrechten, deren Verteidigung Sie selbst zu Ihren vornehmsten und vorrangigen politischen Aufgaben zählen.

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