Internationale Liga für Menschenrechte

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Ansprache zu „Firas Maraghy im Hungerstreik für sein Recht auf Bewegungsfreiheit“

Firas Maraghy im Hungerstreik für sein Recht auf Bewegungsfreiheit

Ansprache

Fanny-Michaela Reisin(Präsidentin)

Kundgebung 15. August 2010

Im Namen des Vorstands der Internationalen Liga für Menschenrechte erkläre ich unsere Solidarität mit Firas Marghy und seiner kleinen Familie in Berlin sowie seiner Herkunftsfamilie in Ostjerusalem. Mit seinem schweren am 26. Juli begonnenen Hungerstreik vor der Botschaft des Staats Israel in Deutschland kämpft Firas Maraghy für sein elementares, allumfassende Menschenrecht auf Rechte. Jeder Mensch ist eine Rechtsperson! Er kämpft für sich und seine Familie um dauerhaftes Wohnrecht in seiner Heimatstadt Ost-Jerusalem. Und eigentlich kämpft er um eine Staatsangehörigkeit und um die bürgerlichen Grundrechte. Diese sind ihm vom Staat Israel zu garantieren. So lange Israels Regierungen das Besatzungsregime aufrecht erhalten und den Aufbau eines souveränen Staats Palästina mit Hauptstadt Ostjerusalem vereiteln.

Er kämpft um Rechte, die zu gewährleisten und zu verteidigen alle Mitgliedstaaten der UNO völkerrechtlich verpflichtet sind. So auch die Bundesrepublik Deutschland.

Gestatten Sie mir zu Beginn eine persönliche Bemerkung. Ich selbst wurde in Jerusalem jüdischen Eltern geboren, die vor dem Antisemitismus und den Nazis in Europa dorthin geflüchtet waren. Ich bin Jüdin und israelische Staatsbürgerin.

Als ich Firas Maraghy zum ersten Mal vor dem israelischen Botschaftsgebäude aufsuchte und ihm sagte, dass ich an seiner Seite für die Erhaltung des heiligen Jerusalems für alle kämpfe, stand ersichtlich geschwächt von seinem Sitz auf und sagte: „Ich liebe Jerusalem am Freitag, am Shabbat und am Sonntag. Ich werde immer dafür kämpfen, dass Nachkommen aller Religionen, Juden, Christen und Moslems in der Stadt frei und stolz leben können.“

Ich frage:

Wie blind müssen die Stadthalter Israels sein, nicht zu erkennen, dass Jerusalem durch Bürger wie Firas Maraghy am leidenschaftlichsten und besten verteidigt wird. Dass Jerusalem nur durch eine solche Haltung bleiben wird – letztlich auch für uns Juden und Jüdinnen nur so bleiben kann?

Seit 2007 mit der deutschen Staatsbürgerin Wiebke Diehl verheiratet, folgte Firas Maraghy alsbald seiner jungen Frau nach Berlin. Hier kam auch vor sieben Monaten im vergangenen Dezember ihre kleine Tochter Zenab zur Welt.

Das israelische Innenministerium verweigert Firas Maraghy die Eintragung seiner Frau und Tochter in sein Reisedokument und fordert überdies, dass sein Lebensmittelpunkt ab 2011 mindestens anderthalb Jahre lang in Ost- jerusalem zu sein habe, wenn seine Jerusalem-ID erlöschen soll.

Der Ehemann und Vater, dessen gesamte Herkunftsfamilie in Ost-Jerusalem ansässig ist, wird so bewusst der unmenschlichen Alternative ausgesetzt, entweder ohne Ehefrau und Tochter nach Ost-Jerusalem zurückzukehren oder sein Rückkehrrecht zu verlieren. In dieser ausweglosen Situation entschied er am 26. Juli um 17:00 Uhr so lange keine Nahrung zu sich zu nehmen, bis ihm, der Ehefrau und der kleinen Tochter ein legaler Status in seiner Heimatstadt Jerusalem zuerkannt wird.

Seine Situation ist kein Einzelfall:

Betselem, das israelische Informationszentrum für Menschenrechte in den besetzten Gebieten, gibt an, dass auf diese oder eine ähnliche Weise die Jerusalem-ID von 1967 bis 2008 mehr als 13.000 Palästinensern aberkannt wurde. In den letzten Jahren ist das israelische Innenministerium allerdings, so Betselem, zu einer Politik des stillen „Transfers‚“ zurückgekehrt.

„Transfer“ heißt auf zionistisch: Vertreibung der Palästinenser vom Territorium des jüdischen Staats. Heute aus Ostjerusalem. Der internationale Begriff für eine solche Politik ist „ethnische Säuberung“ und eigentlich auch Rassismus. Denn hier werden Menschen auf Grund ihrer ethnischen Herkunft ausgegrenzt. Schlimmer noch, aus ihrer Heimat vertrieben.

Während im Jahre 2005 222 Palästinensern ihre Jerusalem-ID aberkannt wurde, sprang die Zahl – ohne Vorwarnung bereits 2006 auf 1.363; stieg also um 600 % an. In den meisten Fällen mit der unzulässigen Begründung des Innenministeriums, die Person halte sich in einem anderen Land auf. Im Jahre 2008 stieg die Zahl abermals um mehr als das Dreifache auf 4.577 Aberkennungen des Jerusalem Status für palästinensische Einwohner. Für 2009 und insbesondere für dieses Jahr liegen die statistische Daten in Israel noch nicht vor. Es gibt triftige Anhaltspunkte für einen weiteren Anstiegssprung.

Zusammen mit den verweigerten Zusammenführungen Jerusalemer Familien, mit den Hauszerstörungen und Vertreibungen ganzer Straßen- und Hausgemeinschaften in die Obdach- und im Prinzip Heimatlosigkeit, handelt es sich um weit über 100.000 palästinensische Jerusalemer, die ihre Jerusalem-ID verlieren. Sie werden durch jüdische Siedler ersetzt, um die Mehrheitsverhältnisse so zu manipulieren, dass Ost-Jerusalem als Hauptstadt eines künftigen Staats Palästina mit einer eine Jüdischen Mehrheit vereitelt werden kann.

Liebe Wiebke Maraghy, richten Sie ihrem Mann Firas unseren großen Dank dafür aus, dass er es auf sich genommen hat, mit seinem Hungerstreik dem äußersten und zugleich eindringlichsten Mittel, das einem einzelnen Menschen verfügbar ist das Unrecht, das Ihnen und ihrer kleinen Tochter zugefügt wird, nicht hinzunehmen.

Danken Sie ihm in unser aller Namen dafür, dass er die – obgleich stille, so doch zum Himmel schreiende Gewalt, die an Ihrer gesamten Familie und mithin an Zehntausenden Jerusalemer Palästinenser verübt wird, endlich sichtbar macht: Hier in Deutschland und weit über die deutschen Grenzen hinaus.

Die Welt braucht Menschen wie Firas Maraghy, Menschen, die sich dem Unrecht entschlossen und unnachgiebig widersetzen.

Sagen Sie Firas, dass die breite Aufmerksamkeit und Zuwendung, die ihm und Ihrer Familie seit nunmehr drei Wochen täglich von unzähligen Menschen entgegengebracht wird, der stärkste Ausdruck der Dankbarkeit und der Anerkennung für seine und Ihre Zivilcourage ist, gegen Unrecht aufzubegehren.

Lassen Sie ihn wissen und nehmen Sie es selbst für sich mit: Firas Maraghy hat unser aller Entschlossenheit gefestigt und gestärkt, nicht zuzulassen, dass die israelische Regierung dauerhaft ungestraft nationales und internationales Recht verletzt.

Die Annexion Ostjerusalems und die vom Innenministerium und der gesamten Regierung Israels politisch verfolgte und systematisch praktizierte Dezimierung der Anzahl seiner palaästinensischen Anwohner durch Aberkennung der Jerusalem-ID, sind völkerrechtlich illegal. Sie müssen daher international geahndet und als kriminell sanktioniert werden. Sonst machen doch Beschlüsse des UN-Sicherheitsrat und der Regierungen der Mitgliedsstaaten des Vereinten Europas und der Vereinigten Staaten von Amerika keinen Sinn.

Firas Maraghy hat viel erreicht. Die breite Berichterstattung in den Berliner und überregionalen Medien, aber auch die Verbreitung seiner unerschrockenen Botschaft im Ausland sprechen für das Einverständnis und die Anerkennung, die seine Aktion allenthalben findet: Jerusalem gehört nicht einem Staat. Jerusalem gehört nicht einer Religion. Jerusalem gehört auch nicht allein der gestrigen oder heutigen Generation.

Jerusalem, die ewige Stadt mit dem goldenen Licht und der Verletzlichkeit der betenden Seele ist Geschenk, ist Erbe und Vermächtnis für alle Kinder Gottes!
Für alle Menschen aller Zeiten!

Gestern hörte ich in einem Radiobericht über die besorgten Eltern von Firas in Ostjerssagen, den Vater sagen, der israelische Innenminister hätte, auf seine Bitte die Registrierung der Ehefrau und der kleinen Zeinab vorzunehmen, damit sein Sohn den Hungerstreik beenden könne, zu erwidern gewusst, der Hungerstreik von Firas Maraghy gehe ihn nichts an. Herr Maraghy stellte bitter fest: „Der Innenminister Israels werde die volle Verantwortung tragen, falls sein Sohn zu Schaden komme“.

Bitte berichten Sie, liebe Wiebke Maraghy Ihren Schwiegereltern in Ostjerusalem von unserer Kundgebung in Berlin heute: Sagen Sie ihnen, wir teilten ihre Auffassung und gehen noch weiter: Die bundesdeutsche Regierung und namentlich die Bundeskanzlerin, der Außenminister und das gesamte Kabinett stehen ebenfalls in der Verantwortung und Pflicht! Sie müssen jetzt! handeln.

Die Tatsache, dass trotz der breiten Berichterstattung der Medien und entgegen der Verpflichtungen, die Deutschland, als Mitglied der Vereinten Nationen international übernommen hat, bisher kein einziger Regierungsvertreter sich erklärt hat, ist unerträglich.

Ich will an dieser Stelle aber nicht verhehlen, dass bisher auch kein Bundestags- oder Landesabgeordneter, aber auch kein namhaftes Mitglied der Regierungs- oder Oppositionsparteien es in sich hatte, Firas Maraghy vor der Botschaft Israels aufzusuchen oder sich wenigstens zu erklären. (Heute sehe ich zum ersten Mal die Abgeordnete der Partei die Linke, Christine Buchholz unter uns. Danke, dass Sie gekommen sind).

Es geht um Grund- und Menschenrechte. Zugegeben, nicht in China, nicht in Burma, Sudan oder der Türkei. Es geht um die Versagung international anerkannter und von der Bundesregierung deklarativ hochgehaltener Rechte durch Israel.

Ich rufe von unserer heutigen Kundgebung alle Persönlichkeiten der Politik in Deutschland auf:

Nehmen Sie sich der Anliegen von Firas Marghy an. Schauen Sie nicht weg! Versagen Sie ihm und uns Bürgern und Bürgerinnen Deutschlands nicht die Verantwortung, die Sie innehaben, wenn Sie nicht zulassen wollen, dass die Autorität des Völkerrechts untergraben und die Glaubwürdigkeit der von ihnen öffentlich propagierten Zwei-Staaten-Lösung sowie das Vertrauen in eine solche Perspektive gänzlich auf’s Spiel gesetzt wird.

Der Vorstand der Internationalen Liga für Menschenrechte appelliert an den Botschafter des Staates Israel in Deutschland, s. E. Yoram Ben-Zeev, sich mit aller Kraft dafür einzusetzen, dass die Zuständigen in Israel dem berechtigten Antrag von Firas Maraghy auf einen jederzeitigen Daueraufenthalt der Familie in seiner Heimatstadt Ost-Jerusalem stattgeben.

Alle Mitgliedsstaaten der UNO haben sich völkerrechtlich verpflichtet, das System der Grund- und Menschenrechte zu verwirklichen und als geltendes internationales Recht zu verteidigen.

Artikel 12. des Zivilpakts schreibt das individuelle Recht zur Ein- und Ausreise in jedes Land einschließlich das eigene als Grundfreiheit fest.

Die Bundesregierung ist verpflichtet, den anhaltenden Verstößen Israels gegen elementare Grund- und Menschenrechte politisch mit Nachdruck entgegenzuwirken. Bei Erfolglosigkeit mit Sanktionen, wie bei vergleichbaren Vergehen anderer Staaten verhängt werden.

Ich habe mit einer persönlichen Bemerkung begonnen und möhte auch persönlich schließen:
Jerusalem darf weder eine feste Burg und noch jemals ein Militärstützpunkt werden.

Ich stehe an der Seite der Familie Maraghy, und ich werde nicht aufhören gemeinsam mit ihr, meine geliebte Geburtsstadt gegen die Übergriffe finsterer Macht zu verteidigen.

So lange bis die, golden leuchtende Stadt allen gehören wird, die sie lieben. So lange bis die heilige Stadt allen gehören wird, die sie aufsuchen, um sich schutzlos dem Gebet hinzugeben und gemeinsam die eigenen und der anderen offenen Wunden zu beweinen.

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.