Gespräch mit Rolf Gössner. Über den Fall Maaßen, neue Polizeigesetze sowie ein Verdunkelungssystem bis hinein in Justiz und Parlamente
Interview: Markus Bernhardt
in: jW-Wochenendgespräch, Ausgabe vom 13.10.2018, Seite 1 und 2 Wochenendbeilage
https://www.jungewelt.de/artikel/341598.geheimdienste-verfassungsschutz-in-unverdienten-ruhestand.html
Sie gelten als Experte für Polizei und Geheimdienste. Die »Causa Maaßen« hat die Bundesregierung aus CDU/CSU und SPD kürzlich in eine ernste Krise katapultiert.
Wie haben Sie die Ereignisse wahrgenommen?
Mir stellte sich spontan die Frage: Wer schützt uns vor solchen »Verfassungsschützern«? Nur soviel: Dieser Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz, BfV, verletzte mehrfach seine Dienstpflichten, verfolgte seine eigene, rechtskompatible Agenda, informierte Politiker der AfD in vertraulichen Gesprächen über unveröffentlichte Erkenntnisse des »Verfassungsschutzes«, VS, soll sie gar beraten haben, wie eine VS-Beobachtung der AfD zu vermeiden sei, bezweifelte, relativierte, ja verharmloste rechte Ausschreitungen und rassistische Hetze und Angriffe auf Migranten in Chemnitz sowie rechtsterroristische Tendenzen, belog das Parlament über den Einsatz eines V-Manns im Umfeld des Attentäters Anis Amri, verdächtigte den Whistleblower Edward Snowden, ein russischer Spion zu sein, und löste mit einer Strafanzeige gegen Journalisten des Internetportals Netzpolitik.org Ermittlungen aus, die die Pressefreiheit in Gefahr brachten. Und ein solcher Mann soll als oberster Verfassungsschützer befugt sein, Demokratie und Grundgesetz zu schützen?
Hans-Georg Maaßen muss wegen seines Verhaltens den Hut als Chef des Bundesamts nehmen. Er wird nun mit einer neuen Funktion im Bundesinnenministerium, BMI, belohnt. Was ist davon zu halten?
Statt Maaßen als unhaltbaren politischen Spitzenbeamten sofort in den vorzeitigen Ruhestand zu versetzen – und seinen Vorgesetzten, Bundesinnenminister Horst Seehofer, gleich mit –, sollte er zunächst auch noch mit einem höher dotierten Staatssekretärsposten belohnt werden. Nach heftigen Protesten soll er nun als Sonderberater ins BMI wechseln und für europäische und internationale Fragen zuständig sein. Womöglich kann er so noch Schlimmeres anrichten, denn es geht dabei auch um hochsensible Themen wie den Umgang mit Geflüchteten und die EU-Abschottung, Abkommen zu »Rückführungen« von Asylbewerbern und andere Flüchtlingsdeals.
Dass solche Befürchtungen berechtigt sind, zeigt bereits Maaßens Wirken vor seiner Zeit als BfV-Chef. Damals schon hatte er sich als Referatsleiter für Ausländerrecht den Ruf eines sicherheits- und migrationspolitischen Hardliners erworben. So lieferte er etwa die rabulistische Rechtsauffassung dafür, dass der Bremer Murat Kurnaz lange unschuldig im US-Gefangenencamp Guantanamo unter Folterbedingungen ausharren musste und nicht nach Deutschland zurückkehren konnte. Damit erwarb sich Maaßen, der sich selbst als »Dienstleister der Demokratie« versteht, schon frühzeitig den Ruf eines »furchtbaren Juristen«.
Aber ist es nicht einfach nur folgerichtig, dass jemand mit einem solchen Charakter Chef des Inlandsgeheimdienstes ist?
Die Personalie Maaßen und sein skandalöses Wirken lenken tatsächlich davon ab, dass es letztlich um tieferliegende strukturelle Probleme geht, die durch einen bloßen Wechsel an der BfV-Spitze keinesfalls gelöst werden. Die politischen Konsequenzen müssten also wesentlich weiter gehen – nämlich an die Substanz eines Inlandsgeheimdienstes, der unter dem euphemistischen Tarnnamen »Verfassungsschutz« firmiert. (….)
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Außerdem in der Jungen Welt:
Bedrohte Grundrechte
Für Gewaltenteilung und Unschuldsvermutung: Breiter Protest gegen Verschärfung von Polizeigsetzen
von Markus Bernhardt
in: JUNGE WELT 11.10.2018, S. 3
https://www.jungewelt.de/artikel/341405.bedrohte-grundrechte.html
Während alle Bundesländer mit Ausnahme von Thüringen ihre Polizeigesetze entweder bereits verschärft haben oder dies in naher Zukunft tun wollen, hält der Widerstand gegen den Abbau von Grund- und Freiheitsrechten an. So wird es im Rahmen der Großdemonstration unter dem Motto »Unteilbar« am Sonnabend einen eigenen »Freiheit statt Angst«-Block geben, der unter anderem vom Bürgerrechtsverein Digitalcourage organisiert wird und dem sich mehrere lokale Initiativen, die gegen die neuen Repressionsinstrumente aktiv sind, anschließen wollen. Die DKP Berlin will sich zudem – ausgestattet mit dem Transparent »Gemeinsam gegen Überwachung, Repression und die Verschärfung der Polizeigesetze!« – im Block des Bündnisses »Unser Berlin« einreihen, welches sich hauptsächlich gegen die Ausweitung des Berliner Allgemeinen Sicherheits- und Ordnungsgesetzes engagiert.
»Die Verschärfungen der Polizeigesetze bedrohen Rechtsstaat und Rechtsempfinden«, stellte der Aktionskünstler »padeluun« von Digitalcourage in einer am Montag veröffentlichten Pressemitteilung klar. »Die Union und ihre Koalitionspartner versuchen, das Grundgesetz zu unterminieren. Dabei sind die Abwehrrechte gegen den Staat gerade das, was langfristig Frieden und Sicherheit möglich macht«, so der Bürgerrechtler weiter. Die von den sogenannten Sicherheitsbehörden geforderten Maschinengewehre, »Staatstrojaner« und eine uferlose Videoüberwachung seien hingegen »Gift für eine Demokratie«.
Umfangreiche Überwachungsmaßnahmen sind in allen neuen Landespolizeigesetzen vorgesehen, welche laut Padeluun »teils die gesamte Bevölkerung« betreffen werden. Auch der Bürgerrechtler und Jurist Rolf Gössner, zugleich Kuratoriumsmitglied der Internationalen Liga für Menschenrechte, hatte in der Vergangenheit mehrfach eindringlich vor den Konsequenzen gewarnt, sollten die von der Mehrheit in Politik und im Polizeiapparat gewünschten Gesetzesverschärfungen, wie etwa die Einführung sogenannter Staatstrojaner oder der elektronischen Fußfessel, tatsächlich verabschiedet werden. …
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