Mitteilung der Internationalen Liga für Menschenrechte vom 29.02.2016 (pdf)
La France doit être exemplaire dans la lutte contre le terrorisme (französisch, pdf)
60 FIDH member organizations call on François Hollande to be exemplary in the fight against terrorism (englisch, pdf)
Öffentlicher Protestbrief der FIDH an Staatspräsident François Hollande
Die Internationale Liga für Menschenrechte (Berlin) als eine von 178 Mitgliedsorganisationen des weltweiten Menschenrechtsverbandes FIDH (Féderation internationale des ligues des droits de l’Homme, Paris: http://www.fidh.org/) ist Mitträgerin eines öffentlichen Protestbriefs vom 26.02.2016 an den französischen Staatpräsidenten François Hollande. Der Protest richtet sich gegen die Antiterror-Notstandspolitik der französischen Regierung, besonders gegen die Fortführung des Ausnahmezustands und die weitgehend bürgerrechtswidrigen Maßnahmen, die als Antwort auf die Terroranschläge in Paris im vorigen Jahr ergriffen worden sind.
Die FIDH und mehr als 60 ihrer Mitgliedsorganisationen in aller Welt erklären, dass der Kampf gegen den Terrorismus unbedingt im Rahmen der Menschenrechte geführt werden muss, weil er anderenfalls die Grundlagen der Demokratie und des Rechtsstaats beschädigt. Das würde die Ziele derjenigen befördern, die Terroranschläge gegen unschuldige Menschen verüben, um Angst und Gegenterror zu provozieren. Jede Maßnahme, die die bürgerlichen Freiheitsrechte und damit die Bürgerrechte des Einzelnen in ihrem Kern antastet, kann nur als Verstoß gegen internationale Verpflichtungen Frankreichs, dem europäischen Ursprungsland der Erklärung der Menschenrechte, gewertet werden.
Die Liga teilt diese Einschätzung der FIDH und besonders auch ihre tiefe Besorgnis angesichts der Verlängerung des Ausnahmezustandes und seiner geplanten Verankerung in der französischen Verfassung, denn dies bedeutet eine zeitweise Suspendierung von verfassungsrechtlich garantierten Grund- und Bürgerrechten. Bisherige Informationen und Erkenntnisse deuten darauf hin, dass es bei den fast 3.400 Hausdurchsuchungen und Razzien, die ohne richterliche Genehmigung durchgeführt wurden, zu unangemessener und unnötiger Gewaltanwendung sowie zu gravierenden Fehlentscheidungen kam. Im Zuge des Ausnahmezustandes verhängten die Präfekten etwa 400 Hausarreste gegen einzelne Verdächtigte – und zwar auch auf der Grundlage nicht dokumentierter Verdachtsmomente.
Solche Maßnahmen, die die Bewegungsfreiheit der Betroffenen dramatisch einschränken, betrafen – über den engen Rahmen der Terrorismusbekämpfung hinausgehend – zum Beispiel auch Umweltaktivisten. Fast alle diese schwerwiegenden Eingriffe in die Freiheits- und Grundrechte haben Verwaltungsgerichte später bestätigt, deren nachträgliche Kontrolle sich insbesondere bei Razzien und Hausdurchsuchungen unter Bedingungen des Ausnahmezustands als weitgehend ungenügend, ja unwirksam erwiesen hat.
Die Liga kommt in Übereinstimmung mit der FIDH zu dem Schluss, dass die Mittel und Methoden des bestehenden allgemeinen Rechts der aktuellen Situation genügen und dass es daher keines problematischen Antiterror-Sonderrechts bedarf.
Der Verfassungsreform-Entwurf zum Ausnahmezustand und zur Aberkennung der französischen Staatsangehörigkeit für Bürger, die u.a. wegen Terrortaten verurteilt wurden, sowie auch der Entwurf zur Reform des Strafverfahrensrechts – die zum Überwachungsgesetz und zu dreißig Jahren Antiterror-Gesetzgebung noch hinzukommen – bergen enorme Gefahren für Menschenrechte und Rechtsstaat. Falls diese Reformvorschläge der Regierung Hollande tatsächlich durchkommen sollten, wird Frankreich eines der wenigen Länder sein, deren Verfassung drei Ausnahmezustandsregelungen vorsieht sowie die Aberkennung der Staatsbürgerschaft. Es steht zu befürchten, dass diese Regelungen in der Bevölkerung und besonders bei den am meisten verletzlichen Menschen ein Gefühl von Willkür und Rechtsunsicherheit verstärken; sie sind geeignet, Stigmatisierung und Diskriminierung zu befördern sowie den sozialen Zusammenhalt in Frankreich noch stärker als bisher schon zu beschädigen.
Die Liga ruft zusammen mit der FIDH dazu auf, den Ausnahmezustand keinesfalls zu erneuern, die Verfassungsreformen unverzüglich zurückzunehmen und den strikten Rahmen der Menschenrechte bei jeder Reform und auch bezüglich der französischen Außen- und Militärpolitik im Zusammenhang mit Terrorismusbekämpfung zu wahren.
Die Liga begrüßt die von der FIDH geplante internationale Untersuchungskommission, die zum Ziel haben soll, die Antiterrormaßnahmen und ihre Auswirkungen auf Menschenrechte und demokratischen Rechtsstaat zu untersuchen und aufzuarbeiten.