Internationale Liga für Menschenrechte
Komitee für Grundrechte und Demokratie
An den
Innenminister des Landes Sachsen-Anhalt
Herrn Holger Stahlknecht
An die Fraktionen des Landtags von Sachsen-Anhalt
An die Vorsitzenden des Innenausschusses des Landtags
O F F E N E R B R I E F
Sehr geehrter Herr Innenminister,
sehr geehrte Damen, sehr geehrte Herren,
im Namen der Internationalen Liga für Menschenrechte und des Komitees für Grundrechte und Demokratie protestieren wir scharf gegen die entfesselte polizeiliche Gewalt in Dessau am 7. Januar 2012.
Im Rahmen einer Gedenkdemonstration an den Tod Oury Jallohs, der sieben Jahre zuvor im Dessauer Polizeigewahrsam verbrannte, wurden die Grundrechte auf körperliche Unversehrtheit, Meinungs- und Versammlungsfreiheit zahlreicher Bürgerinnen und Bürger von der Polizei massiv verletzt. Unter dem willkürlichen Vorwand, es sei gerichtlich verboten, das Motto „Oury Jalloh – das war Mord“ in die Öffentlichkeit zu transportieren, hatte sich die Polizeidirektion grundrechtswidrig die Möglichkeit verschafft, gewaltsam in die friedliche Versammlung einzugreifen. Gleich zu Beginn der Demonstration wurden Teilnehmer und Teilnehmerinnen von der Polizei verletzt. Darunter die Initiatoren der Demonstration und der Versammlungsleiter Mouctar Bah. Im Anschluss an die friedlich verlaufene Demonstration wurden die nach Berlin zurückkehrenden Vorstandsmitglieder der Initiative in Gedenken an Oury Jalloh von in der Eingangshallte wartenden Polizeibeamten erkennungsdienstlich kontrolliert, körperlich angegriffen und verletzt. Mouctar Bah wurde bewusstlos ins Krankenhaus eingeliefert.
Wir fordern das Innenministerium und die im Landtag vertretenen Parteien auf, die schweren Grundrechtsverletzungen, insbesondere im Anschluss an die Demonstration im Hauptbahnhof Dessau aufzuklären, die Verantwortlichen für die Gewalteskalation bis zur Aufklärung vom Dienst zu suspendieren und den geschädigten Bürgerinnen und Bürger eine Entschädigung zukommen zu lassen.
Es scheint, als könnte die Polizei in Dessau tun und lassen, was ihr beliebt, z. B. antirassistische Aktivitäten zu diskreditieren und Bürger und Bürgerinnen einzuschüchtern, die auf eine rückhaltlose Aufklärung der Umstände drängen, die zum Tod Oury Jallohs führten
Die Liga und das Komitee fordern nachdrücklich, die Polizei der demokratischen parlamentarischen Kontrolle zu unterwerfen. Es ist Aufgabe der Politik rechtsstaatliche Maßverhältnisse wiederherzustellen.
Das Vorgehen der Polizei in Dessau ist skandalös und bedarf dringend der Aufklärung. Dies umso mehr als es den Verdacht nährt, dass Vorstandmitglieder der Initiative in Gedenken an Oury Jalloh gezielt abgefangen und misshandelt wurden.
Mit freundlichen Grüßen
Prof. Dr. Fanny-Michaela Reisin (Liga)
Dirk Vogelskamp (Komitee)
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- Bericht von der Demonstration Fanny-Michaela Reisin
- Pressemitteilung der Initiative in Gedenken an Oury Jalloh
- 2 Fotodokumente
Bericht zur Demonstration am 7. Januar 2012 in Dessau
Am Samstag, den 7. Januar 2012 kamen ca. 400 Menschen in Dessau zu einer friedlichen Demonstration anlässlich des 7. Todestags von Oury Jalloh, der am 7. Januar 2005 in der Zelle Nr. 5 des Polizeigewahrsams Dessau verbrannte. Schon im Vorfeld suchte die Polizei Mouctar Bah, Gründer der Initiative in Gedenken an Oury Jalloh und Träger der Carl-von-Ossietzky-Medaille 2009 auf, um ihm mitzuteilen, dass Slogans und Transparente mit der Aufschrift „Oury Jalloh, das war Mord“ auf der Demonstration von der Polizei nicht gestattet sein werden. Bei Zuwiderhandlung wurde ihm persönlich mit einer Strafanzeige gedroht. Die Internationale Liga für Menschenrechte und das Komitee für Grundrechte und Demokratie, die ihrerseits zur Demonstration aufgerufen hatten, wiesen diese völlig unverständliche Einschüchterung mit Bezug auf die in der Bundesrepublik Deutschland verbrieften Grundrechte der Meinungs- und Redefreiheit zurück.
Der beanstandete Slogan ist weder individuell ehrverletzend noch polizeikollektiv beleidigend. Vielmehr drückt er allgemein die Überzeugung von Bürgerinnen und Bürgern zum Geschehen am 7. Januar 2005 in einer Dessauer Polizeigewahrsamszelle aus. Ein Verbot den genannten Slogan auf der Demonstration zu auf Transparenten zu zeigen oder auszurufen, kommt einer Verletzung der genannten Grundrechte gleich und hätte gerichtlich wohl keinen Bestand. Das muss der Dessauer Polizeidirektion bekannt gewesen sein.
In den vergangenen sieben Jahren verliefen alle Protest- und Trauerdemonstrationen zu Oury Jallohs Verbrennungstod ohne vergleichbare Beanstandungen. Vor diesem Hintergrund teilten wir am Freitag, den 6. d. M., einen Tag vor der geplanten Demonstration in einem Brief an die Polizeidirektion unser Befremden über den auf Herrn Bah ausgeübten Druck mit. Zugleich äußerten wir unsere Befürchtung, dass mit dieser Auflage bereits im Vorfeld die Konfrontation mit den veranstaltenden Organisationen gesucht und deren grundrechtlich geschützte Versammlungsfreiheit behindert werde. Die Demonstration war bereits vor Wochen angemeldet und mit den Zuständigen in Dessau abgesprochen worden. Sie sollte unter denselben Losungen von statten gehen wie alle anderen zuvor auch. Unverständlich ist, dass einen Tag vor der Demonstration und dann auf der Demonstration selbst zur Straftat erklärt werden sollte, was jahrelang Demonstrationspraxis war. Unter dem
Vorwand der Strafbarkeit der genannten Losung wurden so kurzfristig polizeiliche Eingriffsrechte angekündigt und am Tag der Demonstration unverhältnismäßig zur Anwendung gebracht. Am Tag der Demonstration selbst trachteten die Polizeibeamten am Ort, ein Transparent auf dem der Slogan „Oury Jalloh das war Mord“ zu lesen war, den Demonstranten zu entreißen. Das führte wie von uns vorhergesagt zu körperlichen Auseinandersetzungen, zumal die Polizeibeamten gewalttätig vorgingen und wie auch von Mitgliedern unserer Organisationen bezeugt, unkontrolliert auf Demonstrationsteilnehme einschlugen. Mouctar Bah wurde offenkundig gezielt ins Gesicht geschlagen. Einem anderen schwarzen Demonstrationsteilnehmer wurde Pfefferspray direkt ins Auge gesprüht.
Die Veranstaltungsleitung bemühte sich in jeder Hinsicht die Situation zu de-eskalieren. Die Demonstrantinnen und Demonstranten blieben friedlich und ließen sich in keiner Weise provozieren. Die auch vor Ort anwesende Präsidentin der Internationalen Liga für Menschenrechte, Prof. Dr. Fanny-Michaela Reisin erfuhr bei einem der für den Einsatz verantwortlichen Polizeibeamten, dass die Polizei sich auf einen gerichtlichen Beschluss zur Strafbarkeit des Mittragens des Slogans „Oury Jalloh, das war Mord“ berufe und es nicht als ihre Aufgabe sähe, strafbare Handlungen zu dulden oder gar zu schützen. Die Bitte der Präsidentin das Gerichtsdokument in Augenschein zu nehmen, musste der Polizeibeamte abschlagen. Er hatte einen solchen Beschluss nicht.
Dank einer klugen Demonstrationsleitung und einer höchst politischen Einstellung der Demonstrationsteilnehmer das Gedenken an Oury Jalloh und der anderen Opfer rassistischer Übergriffe zu würdigen, verlief die Demonstration trotz wiederkehrender Polizeimaßnahmen, die den Demonstrationszugs am Weitergehen behinderten, bis zum Ziel, dem Polizeirevier Dessau friedlich.
Umso erstaunlicher ist es, dass nach Ende der Demonstration in der Eingangshallte des Dessauer Hauptbahnhofs immer noch Polizeibeamten standen, die offenbar auf Demonstranten warteten, die nach Berlin zurückreisen wollten. Wir fordern eine Erklärung dafür, dass am 7. Januar 2012 am Eingang des Bahnhofs
- Demonstranten und Demonstrantinnen, die im Begriff waren, mit der Bahn nach Berlin zurückzukehren, erkennungsdienstlich kontrolliert wurden
- Die drei Vorstandsmitglieder der Initiative in Gedenken an Oury Jalloh, Mocutar B., Komi E. und Abraham H. von den Polizeibeamten körperlich angegriffen und dabei verletzt wurden. Herr Bah wurde bewusstlos geschlagen und musste ins Krankenhaus eingeliefert werden, wo er z. Zt., am Sonntag morgen noch liegt. Komi E., der unter Asthma leidet, wurde zu Boden geschlagen und klagt über starke Kopfschmerzen und Atembeschwerden.
Das Vorgehen der Polizei bedarf dringend der umfassenden Aufklärung. Dies umso mehr als die beschriebenen Geschehnisse unaufgeklärt den Verdacht nähren, dass hier gezielt Vorstandsmitglieder der Initiative in Gedenken an Oury Jalloh abgefangen und misshandelt wurden.
Fanny-Michaela Reisin, Sonntag, 8. Januar 2012
INITIATIVE IN GEDENKEN AN OURY JALLOH e.V
Brutale Polizeigewalt bei Demo gegen rassistische Polizeigewalt
Mouctar Bah bewusstlos ins Krankenhaus eingeliefert
(Dessau, 7.1.12)
Die friedliche Demonstration, die an den siebten Todestag, des in Polizeigewahrsam in Dessau zu Tode verbrannten Afrikaner Oury Jalloh, erinnern sollte, artete in einer unprovozierten Gewaltorgie der Polizei aus. Dabei wurden zahlreiche Demonstranten verletzt. Mouctar Bah, Initiator der Initiative in Gedenken an Oury Jalloh, wurde mehrmals von der Polizei geschlagen. Zum Ende der Kundgebung wurde er von mehreren Polizisten angegriffen, woraufhin er bewusstlos ins Krankenhaus eingeliefert werden musste.
Am Anfang der Demonstration versuchte die Polizei gewaltsam die Verwendung des Begriffs „Oury Jalloh, das war Mord“ zu verbieten. Die Demonstranten weigerten sich und bezogen sich auf ihr Grundrecht der Meinungsfreiheit und entsprechende Gerichtsurteile, was die Polizei nicht akzeptierte. Nachdem ihr Versuch scheiterte, das Transparent gewaltsam zu entfernen, fing die Polizei mit Provokationen und Angriffen an, trotz der friedlich verlaufenden Demonstration. Für die Demonstranten schienen die polizeiliche Provokation und Angriffe ohnehin geplant zu sein. Es wurden gezielt Aktivisten ohne ersichtlichen Grund provoziert und geschlagen. Mouctar Bah und vielen Demonstranten wurde unvermittelt ins Gesicht geschlagen und u.a. an Nasen und Augen verletzt. Bei der Schlusskundgebung wurde Mouctar Bah von mehreren Polizisten zu Boden gerissen und geschlagen, sodass er bewusstlos ins Krankenhaus eingeliefert werden musste. Er ist im Krankenhaus geblieben.
„Egal wie hart uns die Polizei angreift und verletzt, wir werden den Kampf zur Aufklärung des Mordes an Oury Jalloh niemals aufgeben.“ so Komi, ein Aktivist der Oury Jalloh Initiative.
Am 9. Januar 2012 wird der Oury Jalloh-Prozess fortgesetzt, am 19. Januar 2012 ist die Urteilsverkündung anberaumt.
Kontakt: Komi.E Handy:017638113135 http:initiativeouryjalloh.wordpress.com