Internationale Liga für Menschenrechte

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Fast 30.000 Menschen ziehen gegen Vorratsdatenspeicherung vor das Bundesverfassungsgericht

Fast 30.000 Menschen ziehen gegen Vorratsdatenspeicherung vor das Bundesverfassungsgericht: Sammel-Verfassungsbeschwerde und Eilantrag heute in Karlsruhe eingereicht

weiter unten siehe: Pressemitteilung des Arbeitskreises Vorratsdatenspeicherung (Organisator der Sammelbeschwerde)

Liga-Präsident und Erstbeschwerdeführer Rolf Gössner: „Es handelt sich um die größte Sammelbeschwerde in der bundesdeutschen Rechtsgeschichte. Dieser überaus rege Zuspruch zeigt, dass die Menschen vermehrt bereit sind, sich gegen die freiheitsfeindlichen Überwachungsgesetze der Großen Koalition zur Wehr zu setzen.“

Die bislang größte Verfassungsbeschwerde in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland von rund 30.000 Bürgerinnen und Bürgern ist heute, am 31.12.2007 um 11:45 Uhr, beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe eingereicht worden. Außerdem wurde beantragt, die Datensammlung wegen „offensichtlicher Verfassungswidrigkeit“ durch eine einstweilige Anordnung sofort auszusetzen.

Diese „Massen-Verfassungsbeschwerde“ richtet sich gegen das Gesetz zur zwangsweisen und verdachtsunabhängigen Vorratsspeicherung von Telekommunikationsverbindungs- und standortdaten – also von Telefon-, Handy-, E-Mail- und Internetdaten aller Nutzer. Nachdem Bundespräsident Horst Köhler dieses Gesetz am 26.12. unterzeichnet hat, kann es zum 01.01. 2008 in Kraft treten. Dann werden die Kommunikationsprofile von 80 Millionen Menschen sechs Monate lang auf Vorrat erfasst, um sie für mögliche polizeiliche oder geheimdienstliche Zwecke vorrätig zu halten. Das kann besonders für Berufsgeheimnisträger wie Anwälte, Ärzte, Journalisten zum Problem werden, die dann ihren Mandanten, Patienten oder Informanten die besonders geschützte Vertraulichkeit der Kommunikation nicht mehr garantieren können.

„Das Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung ist letztlich ein Anschlag auf freie Kommunikation, auf Berufsgeheimnisse und Pressefreiheit“, so Liga-Präsident Rolf Gössner: Die rege Beteiligung an der Sammelbeschwerde zeige, dass die Menschen vermehrt bereit seien, sich gegen die freiheitsfeindlichen Überwachungsgesetze der Großen Koalition zur Wehr zu setzen. Mit einiger Aussicht auf Erfolg: Spätestens seit dem Volkszählungsurteil und anderen Entscheidun-gen des Verfassungsgerichts wisse man, dass ein systematisches Ansammeln sensibler Daten auf Vorrat ohne konkreten Verdacht verfassungswidrig ist. Rolf Gössner erinnert in diesem Zusammenhang daran, dass das Bundesverfassungsgericht in den vergangenen Jahren bereits eine ganze Reihe von Gesetzen und Maßnahmen für verfassungswidrig erklären musste. Das zeige deutlich, dass das Verfassungsbewusstsein der politischen Klasse im Zuge des staatlichen Antiterrorkampfes erheblich abgenommen habe. Das Verfassungsgerichtsverfahren gegen die Vorratsdatenspeicherung könne nun ähnlich bedeutend werden, wie das gegen die Volkszählung in den 1980er-Jahren, das mit einem richtungsweisenden Urteil endete.

Erstbeschwerdeführer der Sammel-Verfassungsbeschwerde sind:

  1. der Bielefelder Rechtsprofessor Prof. Dr. Christoph Gusy,
  2. der Bremer Publizist und Rechtsanwalt Dr. Rolf Gössner (Präsident der Internationalen Liga für Menschenrechte),
  3. der Bürgerrechtler Patrick Breyer vom Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung;

außerdem der Leiter einer Beratungsstelle der AIDS-Hilfe, die kommerzielle Anbieterin eines Anonymisierungsdienstes, das Vorstandsmitglied des Journalistenvereins „Netzwerk Recherche“, ein Steuerberater und ein Strafverteidiger.

Wir dokumentieren im Folgenden auszugsweise die Pressemitteilung des Arbeitskreises Vorratsdatenspeicherung vom 31.12.2007

Verfassungsbeschwerde und Eilantrag gegen Vorratsdatenspeicherung eingereicht

Die vom Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung initiierte Verfassungsbeschwerde gegen die sechsmonatige Speicherung aller Verbindungsdaten ist heute beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe eingereicht worden. Erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik haben rund 30.000 Menschen einen Rechtsanwalt mit der Erhebung einer Verfassungsbeschwerde beauftragt.

Nachdem das von CDU, CSU und SPD beschlossene Gesetz zur Protokollierung der Telekommunikation der gesamten Bevölkerung („Vorratsdatenspeicherung“) im Bundesgesetzblatt verkündet worden ist, hat der Berliner Rechtsanwalt Meinhard Starostik am heutigen Montag Verfassungsbeschwerde gegen die Datensammlung beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe eingereicht. In der über 150-seitigen Beschwerdeschrift [1] wird auch beantragt, die Datensammlung wegen „offensichtlicher Verfassungswidrigkeit“ durch eine einstweilige Anordnung sofort auszusetzen.

Zur Begründung heißt es, das Gesetz lasse „massive Kommunikationsstörungen“ in Deutschland befürchten. Zum einen werde jeder Bürger grundlos wie ein potenzieller Straftäter behandelt. Es stelle einen gravierenden Eingriff in die Grundwerteordnung des Rechtsstaates dar, das Verhalten von 80 Millionen Bundesbürger ohne jeden Verdacht einer Straftat aufzeichnen zu lassen. Zum anderen drohe Journalisten der Abbruch von Informantenkontakten, Beratungsangeboten wie der Telefonseelsorge die Abnahme von Anrufen und E-Mails von Menschen in Not, Strafverfolgern der Wegfall anonymer Anzeigen und Hinweise, Regierungskritikern das Ende unkomplizierter Kommunikation und Internetsurfern Ermittlungen wegen des Besuchs vermeintlich verdächtiger Internetseiten. Sensible Kontakte und Kommunikationen könnten nur noch durch persönliche Treffen abgewickelt werden oder müssten insgesamt unterbleiben. Mit der unbefangenen Kommunikation gehe „die unverzichtbare Grundvoraussetzung eines demokratischen Staatswesens“ verloren.

Erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik haben rund 30.000 Menschen einen Rechtsanwalt zur Erhebung einer Verfassungsbeschwerde bevollmächtigt. Da die Erfassung und Auswertung der vielen Vollmachten noch nicht abgeschlossen werden konnte, ist die Beschwerde zunächst im Namen von acht Erstbeschwerdeführern eingereicht worden. Es handelt sich um den Bielefelder Rechtsprofessor Prof. Dr. Christoph Gusy, den Bremer Publizisten und Rechtsanwalt Dr. Rolf Gössner, den Bürgerrechtler Patrick Breyer vom Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung, den Leiter einer Beratungsstelle der AIDS-Hilfe, die kommerzielle Anbieterin eines Anonymisierungsdienstes, das Vorstandsmitglied des Journalistenvereins „Netzwerk Recherche“ Albrecht Ude, den Steuerberater Heinz Raschdorf und den Strafverteidiger Peter Zuriel. Die Beschwerde wird im Namen der weiteren Beschwerdeführer eingereicht werden, sobald die Erfassung der bis zum 24.12.2007 eingegangenen Vollmachten abgeschlossen ist.

Nach dem Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung soll ab 2008 ohne Anfangsverdacht protokol-liert werden, wer mit wem in den letzten sechs Monaten per Telefon, Handy oder E-Mail in Verbindung gestanden oder das Internet genutzt hat. Bei Handy-Telefonaten und SMS soll auch der jeweilige Standort des Benutzers festgehalten werden. Bis Ende 2008 können Unternehmen eine Vorratsspeicherung noch straffrei verweigern [2]. Sodann drohen hohe Bußgelder. Der Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung ruft alle Telekommunikationsanbieter auf, einstweilen auf die Massendatensammlung zu verzichten. Erste Internet-Service-Provider haben be-reits angekündigt, 2008 noch keine Daten auf Vorrat zu speichern.

Quellen:
[1] Die Beschwerdeschrift im Internet

[2] Nichtspeicherung ist straffrei: § 150 Abs. 12b TKG, auf Seite 15.

Weitere Informationen:

Der Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung (AK Vorrat) ist ein bundesweiter Zusammen-schluss von Bürgerrechtlern, Datenschützern und Internet-Nutzern, der die Arbeit gegen die geplante Vollprotokollierung der Telekommunikation koordiniert. Der Arbeitskreis Vorratsda-tenspeicherung ist politisch unabhängig, überparteilich und setzt sich für eine freie und offene Gesellschaft