Internationale Liga für Menschenrechte

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Internationale Menschenrechtsorganisationen üben Kritik an der EU-Politik gegenüber Marokko

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Auf Vorschlag der Internationalen Liga für Menschenrechte verabschiedete die Internationale Föderation für Menschenrechte (FIDH) auf ihrer 42. Weltkonferenz eine Resolution mit dem Titel „Resolution on the impact of trade agreements between Morocco and the EU on the fundamental right of self-determination of the Sahrawi people“.

Die Resolution thematisiert die besorgniserregende Menschenrechtslage in der besetzten Westsahara und unterstreicht die Verantwortung der Europäischen Union sowie ihrer Mitgliedstaaten für diese verheerende Situation. Ausschlaggebend sind dabei die Fischerei- und Handelsabkommen zwischen der EU und Marokko, die seit Jahren geschlossen und bereits mehrfach von internationalen Gerichten für rechtswidrig erklärt wurden, da sie das im Völkerrecht verankerte Recht des sahrauischen Volkes auf Selbstbestimmung missachten.

Die jüngsten Entwicklungen zeigen jedoch erneut die fortwährende Missachtung dieser Urteile. Dies wird insbesondere in dem Abkommen zwischen der EU und Marokko deutlich, das Anfang Oktober 2025 in rasantem Tempo beschlossen wurde. Anstatt das 2024 ergangene Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) umzusetzen und die Bevölkerung der Westsahara einzubeziehen, setzt die EU sogar auf eine erhöhte finanzielle Unterstützung des marokkanischen Regimes. Auf Grundlage fadenscheiniger Argumente und ohne die notwendige Entscheidung des Europäischen Parlaments abzuwarten, wurde das Abkommen von der Europäischen Kommission zur vorläufigen Anwendung in Kraft gesetzt.

Damit unterstützt die EU direkt die seit Jahrzehnten andauernde strukturelle Unterdrückung, Vertreibung, Gewalt und Diskriminierung des sahrauischen Volkes, wie ein neuer Bericht der sahrauischen Organisation CODESA erneut verdeutlicht. Nicht zu vergessen sind zudem die rund 170.000 Sahrauis, die seit etwa 50 Jahren gezwungen sind, in Geflüchtetencamps in Algerien zu leben, nachdem sie von Marokko vertrieben wurden.

In insgesamt neun Punkten ruft die FIDH in ihrer Resolution daher die Europäische Union und ihre Mitgliedstaaten, die marokkanische Regierung sowie die internationale Gemeinschaft dazu auf, das völkerrechtlich legitimierte Selbstbestimmungsrecht des sahrauischen Volkes zu respektieren, die Menschenrechte verletzende marokkanische Siedlungspolitik zu beenden und die rechtswidrigen Freihandelsabkommen umgehend für nichtig zu erklären.

Mit 196 Partnerorganisationen in 116 Ländern zählt die FIDH zu den bedeutendsten internationalen Organisationen im Bereich der Menschenrechte. Ihre Weltkonferenz stellt einen zentralen Moment im globalen Einsatz für die Wahrung und Durchsetzung der Menschenrechte dar und setzt wichtige Impulse für die zukünftige Menschenrechtsarbeit.

Die diesjährige Konferenz fand vom 27. bis 31. Oktober in Bogotá, Kolumbien, statt. Im Mittelpunkt der Diskussionen standen unter anderem die zunehmenden Einschränkungen und der staatliche Druck auf die Zivilgesellschaft, die Herausforderungen der Menschenrechtsarbeit im digitalen Zeitalter sowie die Frage, inwiefern der Ausbau erneuerbarer Energien eine Bedrohung für die Lebensräume vieler Gemeinschaften darstellen kann.

Die Internationale Liga für Menschenrechte setzt sich weiterhin für die Souveränität und das legitime Recht auf Selbstbestimmung der sahrauischen Bevölkerung ein und verfolgt mit Besorgnis den zunehmenden internationalen Druck, dieses Recht auszuhöhlen. Dies zeigt sich nicht zuletzt in der jüngsten Resolution der Vereinten Nationen, die das 1991 im Friedensvertrag beschlossene Referendum erstmals außer Acht lässt und ausschließlich den Autonomieplan Marokkos für die Westsahara erwähnt.

Umso wichtiger ist daher eine klare Positionierung der EU und ihrer Mitgliedstaaten zur Einhaltung des Völkerrechts, zu dessen Wahrung sie verpflichtet sind.

Text der Resolution der FIDH-Weltkonferenz vom 30.10.2025

Resolution zu den Auswirkungen der Handelsabkommen zwischen Marokko und der EU auf das grundlegende Recht des sahrauischen Volkes auf Selbstbestimmung

Die Internationale Liga für Menschenrechte beobachtet seit Jahren die verheerende Menschenrechtssituation in der okkupierten Westsahara, die aus der Praxis von Repression, Siedlungstätigkeit und Ressourcenextraktion des Königreichs Marokko in dem von ihm besetzten Gebiet resultiert.

Die besorgniserregende Situation wird vom Generalsekretär der Vereinten Nationen unterstrichen, der einmal wieder in seinem Bericht vom 01. Oktober 2024 von „Behinderung, Einschüchterung und Belästigung“[i] von sahrauischen Menschenrechtsverteidiger*innen spricht sowie die Einschränkung der sahrauischen Zivilgesellschaft anprangert, welche sich für die Unabhängigkeit der Westsahara aussprechen. Ein emblematisches Beispiel sind die systematischen Angriffe auf das Kollektiv sahrauischer Menschenrechtsverteidiger in der Westsahara (Codesa), welche auch von der FIDH und der OIMT thematisiert wurden.[ii] Auch die Situation der sahrauischen politischen Gefangenen in marokkanischen Gefängnissen zeichnet sich durch menschenunwürdige Haftbedingungen und Folter aus, wie auch die FIDH in mehreren dringenden Aufrufen zur Situation schilderte.[iii] Genaue Zahlen über die Menschenrechtsverletzungen sind schwer auszumachen, da die Dokumentation der Fälle viele Risiken birgt und unabhängigen internationalen Journalist*innen und Menschenrechtsaktivist*innen die Einreise verwehrt wird. Dies gilt auch für das OHCHR, welchem im neunten Jahr in Folge trotz unzähliger Anfragen der Zutritt in die besetzten untersagt wurde.[iv]

Dabei auch nicht zu vergessen sind die Flüchtlingscamps in Algerien, welche ca. 170.000 Sahrauis beherbergen und schon seit mehr als 50 Jahren als einziger Zufluchtsort dient.[v] Wassermangel, prekäre Lebensverhältnisse und kaum Möglichkeiten der ökonomischen Independenz sind dort allgegenwärtig und verschlimmern sich immer drastischer.

Dies steht in direktem Widerspruch mit dem im Jahr 1975 vom Internationalen Gerichtshof festgestellten Selbstbestimmungsrecht der Westsahara. [vi] Im Jahr 1991 wurde dieses Recht noch durch den vereinbarten Waffenstillstand zwischen Marokko und der Frente Polisario unterstrichen, welcher die Durchführung eines Referendums der sahrauischen Bevölkerung mit der Frage der Unabhängigkeit beinhaltet.[vii] Allerdings steht dieses Referendum bis heute weiterhin aus und wird vonseiten der marokkanischen Regierung mit Unterstützung von vielen anderen Ländern umgangen.

Ein Hauptgrund sind die Rohstoffabkommen vor allem europäischer Staaten mit Marokko, die auch auf Exporte aus der Westsahara angewandt werden, obwohl die gefestigte Rechtsprechung der europäischen Gerichte der Westsahara einen „separaten und eigenständigen“ Status als nicht selbstverwaltetes Territorium zuspricht und die Bevölkerung der Westsahara als Dritte Partei definiert, deren Zustimmung zu Abkommen zwischen Marokko und der EU einzuholen ist, die auch das besetzte Gebiet betreffen.

Seit 2015 urteilte sowohl das EUGH sowie das EuG gegen diese Abkommen, kulminierend in dem letzten Urteil vom 04. Oktober 2024, welches das Fischerei- und das Landwirtschaftsabkommen zwischen Marokko und der EU für ungültig erklärt, da die legitime politische Vertretung des sahrauischen Volkes nicht dazu angehört wurde. Das Urteil unterstreicht gleichsam die Tatsache, dass die Westsahara völkerrechtlich nicht zu Marokko gehört. Das Gericht setzt dabei eine 12-monatige Frist zur Umsetzung des Urteils.[viii] Die Europäische Kommission begann daraufhin einen weiteren Versuch dieses Urteilzu umgehen, indem sie argumentierte, dass die Mehrheit der sahrauischen Bevölkerung nicht in den besetzten Gebieten der Westsahara lebe und somit nicht angehört werden müsste. Die Reaktion des EuGH war auch diesbezüglich klar, als er am 06. Februar 2025 nochmals unterstrich, dass das Selbstbestimmungsrecht des sahrauischen Volkes unantastbar sei, unabhängig davon sie innerhalb oder außerhalb des besetzen Gebiets lebten.[ix]

Trotz der eindeutigen und immer weiter präzisierten Urteile der höchsten europäischen Gerichte, erwecken die politischen Reaktionen die Sorge der gezielten Missachtung dieser Entscheidungen. Die eindeutige Positionierung europäischer Mitgliedsstaaten wie Spanien und Frankreich zugunsten des sogenannten Autonomieplans Marokkos für die besetzte Westsahara machen dies deutlich.[x] Zudem gibt es berechtigten Anlass zur Sorge, dass die europäische Kommission die Urteile umgehen will, indem sie die Verträge nicht neu verhandelt, sondern nur einzelne Protokolle anpasst, etwa zur Herkunftsbezeichnung.[xi] Auch gibt es Bestrebungen, die Einholung der Zustimmung des sahaurischen Volkes oder seiner Vertreter zu umgehen, indem unter Bezugnahme auf Verhandlungen mit lokalen marokkanischen Verwaltungsstrukturen die Vermutung einer Zustimmung der sahaurischen Bevölkerung lediglich unterstellt wird.[xii]

Die Verträge zur Ressourcenextraktion und wirtschaftlichen Entwicklung der besetzten Gebiete sind eine ökonomische Rettungsleine, durch die die dauerhafte Besetzung der Westsahara durch das Königreich Marokko erst ermöglicht wird. Dies zu Lasten des sahrauischen Volkes, welchem das fundamentale Recht auf Selbstbestimmung sowie die Rückkehr aus jahrzehntelangem Exil verwehrt bleibt.

Aus diesem Grund:

  1. Fordern wir die Europäische Union und ihre Mitgliedsstaaten dazu auf
  2. die Urteile des EuGH und des EuG zu respektieren.
  3. das völkerrechtlich anerkannte Selbstbestimmungsrecht des sahrauischen Volkes zu respektieren und sein verbrieftes Recht auf ein Referendum unter Einbeziehung der Vertriebenen und ohne Teilnahme der marokkanischen Siedler zu unterstützen.
  4. ihren Verpflichtungen des Lissabon-Abkommens nachzugehen und die Menschenrechtsverletzungen vonseiten Marokkos zu unterbinden.
  5. Fordern wir von der marokkanischen Regierung
  6. den Respekt vor den Menschenrechten sowie die sofortige Beendigung der Repression gegen die sahrauische Zivilbevölkerung und Menschenrechtsverteidiger*innen.
  7. die sofortige Freilassung aller sahrauischen politischen Gefangenen.
  8. ein sofortiges Ende der Siedlungspolitik.
  9. eine uneingeschränkte Einreise von unabhängigen Organisationen zur Dokumentation und Kontrolle der Situation der Menschenrechte in den besetzten Gebieten zu gewähren.
  10. Fordern wir alle Mitgliedsorganisationen der FIDH auf
  11. zur Aufklärung und Sensibilisierung über die Situation in der Westsahara beizutragen.
  12. den Beitrag der jeweiligen nationalen Regierungen ihrer Wirkungsländer und der aus den jeweiligen Nationalstaaten ins europäische Parlament gewählten Abgeordneten bei der Umgehung der Urteile des EUGH zu benennen und ihnen entschieden entgegenzutreten.

[i] United Nations: Situation concerning Western Sahara – Report of the Secretary-General, 2024

[ii] FIDH: Maroc / Sahara occidental : harcèlement, surveillance et restrictions continues à l’encontre des membres du Codesa, 2025

[iii] FIDH: Maroc / Sahara occidental : dégradation de l’état de santé du journaliste sahraoui Mohamed Lamin Haddi, en detention arbitraire depuis 15 ans, 2025

[iv] United Nations: Situation concerning Western Sahara – Report of the Secretary-General, 2024

[v] United Nations: Far from the headlines: After 50 years refugees from Western-Sahara are still in camps, 2024

[vi] ICRC: The Conflict in Western Sahara

[vii] DGVN: Der Westsahara-Konflikt und die UN

[viii] European Union: Judgment of the Court (Grand Chamber) of 4 October 2024, 2024

[ix] WSRW: EuGH lehnt von Kommission beantragte Neufassung der Urteile zur Westsahara ab, 2025

[x] AP News: Morocco’s King lauds new allies in Western Sahara dispute after European court ruling, 2024

[xi] Hortidaily: European Commission continues to analyze the CJEU Sahara ruling, 2024

[xii] WSRW: EU Commission still scratching heads over ECJ rulings, 2025

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