Die Vereinigung Demokratischer Juristinnen und Juristen (VDJ) hat Rolf Gössner für seinen jahrzehntelangen engagierten Einsatz für die Verteidigung von Demokratie und Bürgerrechten mit dem Hans-Litten-Preis ausgezeichnet. Rolf Gössner war von 2003 bis 2008 Präsident der Liga, ab 2008 Vizepräsident, dann bis März 2018 Mitglied im Vorstand und ist seitdem Mitglied im Kuratorium der Liga. Noch immer trägt er durch sein Engagement wesentlich zur Arbeit der Liga bei.
Wir gratulieren Rolf Gössner sehr herzlich zu dieser Auszeichnung und veröffentlichen die Laudatio, die der Rechtsanwalt und ehemalige hessische Justizminister Rupert von Plottnitz anlässlich der Verleihung gehalten hat.
Laudatio von Rupert von Plottnitz
Wenn es nach der Papierform ginge, müssten wir in der Bundesrepublik in einem ziemlich makellosen demokratischen Rechtsstaat leben. Alle wesentlichen Bürger – und Menschenrechte stehen als Grundrechte unter dem Schutz des Grundgesetztes, zuvörderst die Würde des Menschen. Für die Sicherheit der Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger soll die Staatsgewalt vor allem dadurch sorgen, dass er sich nicht an ihnen vergreift.
Aber man muss kein Verfassungsexperte sein, um zu wissen, dass sich auch hier zulande die Verfassungswirklichkeit häufig schwer tut mit der Verfassung und den Verheißungen ihrer Grundrechte. Das eklatanteste Beispiel hierfür ist aktuell die deutsche und die europäische Flüchtlingspolitik. Da sind im und rund ums Mittelmeer die Würde des Menschen und das Menschenrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit fern. Stattdessen dominiert vor allem die Maxime: Flüchtlinge, nein danke.
Aber auch in vielen anderen Bereichen, vor allem dort, wo es um die sog. innere Sicherheit geht, bei der Polizei, den Strafverfolgungsbehörden oder den Geheimdiensten, halten die Grundrechte des Grundgesetztes in der Wirklichkeit zu selten das, was sie auf dem Papier versprechen. Zumindest so lange sie nicht selbst davon betroffen sind, lässt das viele Menschen im Lande kalt. Wenn überhaupt, betrachten sie die Grundrechte nicht als das was sie sind, nämlich fundamentale Rechte der Menschen und der Bürgerinnen und Bürger, sondern als bloße Utopie. Bei dieser Weltsicht verkümmert der Verfassungsstaat zum Obrigkeitsstaat, der selbst am besten weiß, was für die Bürger gut und richtig ist.
Rolf Gössner allerdings, der Preisträger des heutigen Abends, hat es Zeit seines Lebens abgelehnt, im Umgang mit dem Staat und der Staatsgewalt die Rolle des Untertanen zu akzeptieren. Schon zu Beginn seines beruflichen und politischen Lebens hat er ein feines und sensibles Gespür für die Gefahren und Risiken entwickelt, die den Grundrechten auch in der Demokratie drohen, wenn die Staatsgewalt, sei es als Legislative, als Exekutive oder als rechtsprechenden Gewalt, der Versuchung erliegt, sich zu Gunsten eigener Statusinteressen zu verselbstständigen und zu verabsolutieren. Wo immer in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten Gesetzgeber, Behörden oder Gerichte glaubten, sich im angeblichen Interesse des Staatswohls über die Grundrechte hinwegsetzte zu können, hat er öffentlich und laut widersprochen und in der Rolle des Strafverteidigers, des Nebenklagevertreters, des Publizisten oder des Prozessbeobachters zu Gunsten der Grundrechte der Betroffenen interveniert. Die Vielzahl der Fälle aufzuzählen, in denen er dabei aufgetreten und tätig geworden ist, würde den zeitlichen Rahmen der heutigen Preisverleihung sprengen.
Schon seit 2008 gehört Rolf Gössner zu den Mitherausgebern und Autoren des alljährlich erscheinenden Grundrechte-Reportes. Der Grundrechte-Report zieht seit 1997 Jahr für Jahr eine kritische Bilanz zu realen Lage der Bürger- und Menschenrechte in der Bundesrepublik. Für die Aufgabe des Schutzes der Verfassung leistet er dabei sehr viel mehr und besseres als die Verfassungsschutzberichte, die das Bundesamt für Verfassung jedes Jahr kredenzt.
2010 hat das Bundesverfassungsgericht dem damaligen Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung von Telekommunikations- und Standortdaten den Zahn gezogen. Dass dies gelungen ist, war nicht zuletzt auch das Verdienst von Rolf Gössner, der zu den Klägern im damaligen Verfahren gehörte.
Das Engagement von Herrn Gössner für die Bürger- und Menschenrechte war und ist nicht nur auf den Bereich der Bundesrepublik Deutschland beschränkt. Er war lange Jahre, von 2003-2008, Vorsitzender der internationalen Liga für Menschenrechte und bis 2018 Mitglied im Vorstand der Liga. In Verfahren in Spanien oder der Türkei in denen die Verletzung der Menschenrechte zu befürchten war, hat er dabei für internationale Prozessbeobachtung mitgesorgt.
Gegenwärtig versucht eine krude Mischung aus Rechtsextremismus und Esoterik, die Wahnidee unter die Leute zu bringen, die Corona-Pandemie sei wahlweise das Werk von Bill Gates, der Bundeskanzlerin oder von Juden. Zur Garnierung ihrer Absichten bemühen sie gern die Freiheitsrechte des Grundgesetzes. Ihnen auf den Leim zu gehen, besteht allerdings nicht der geringste Anlass. Denn im Ergebnis fordern sie nur Freiheit für ein politisches System, in dem nicht die Demokratie, sondern allein ihre eigenen Überzeugungen das autoritäre Sagen haben.
Reale Gefahr droht den Freiheitsrechten des Grundgesetzes allerdings seit geraumer Zeit schon von anderer Seite, nämlich von dem Irrglauben, dass sich Sicherheit auch im demokratischen Rechtsstaat am besten durch die anlasslose Erhebung und Speicherung der Daten möglichst vieler Bürgerinnen und Bürger herstellen lasse. Rolf Gössner gehört zu denjenigen, denen der Kampf gegen diesen Irrglauben verfassungsrechtlich wie politisch besonders am Herzen liegt.
„Die Gefahr geht von den Menschen aus“, hieß es einstmals in einem ermittlungsrichterlichen Beschluss des Bundesgerichtshofs zu Beginn der 70-er Jahre in der damaligen Auseinandersetzung mit den Anschlägen der RAF. Der Bürgerrechtler Sebastian Cobler hat diesen Satz seinerzeit zum Titel einer Buchveröffentlichung gemacht, in der es um die damals üblichen Strafverfolgungspraktiken ging. Der Bürger als generell potenzieller Gefahrenherd ist eine Vorstellung, die mit dem Menschenbild des Grundgesetztes nichts gemein hat. Dennoch hat sie in den letzten Jahren in den Polizei- und Strafverfahrensgesetzen der Bundesrepublik mehr und mehr Verbreitung gefunden.
Es gibt eine Behörde, bei der das öffentliche und hartnäckige Engagement Rolf Gössners für die Bürger- und Menschenrechte nicht nur für notorischen Argwohn, sondern sogar für einen veritablen Verfolgungsfuror gesorgt hat. Ich spreche vom Verfassungsschutz.
Schon Beginn der 70-er Jahre hat sich das Bundesamt für Verfassungsschutz das Recht angemaßt, Rolf Gössner als angeblich linksextremen Feind der Verfassung unter Beobachtung zu stellen. Grund waren seinerzeit seine Aktivitäten als Mitglied in sozialdemokratischen und sozialistischen Hochschulverbänden. 38 Jahre lang, bis zum Jahr 2008 war Rolf Gössner das gar nicht mehr geheime Objekt der Begierde des Verfassungsschutzes, 38 Jahre lang wurden seine beruflichen, seine publizistischen und sonstigen politischen Aktivitäten beobachtet, erfasst und gespeichert. Und sogar bis zum Jahre 2018, also 48 Jahre, hat es gedauert, bis das Oberverwaltungsgericht Münster – wie zuvor das Verwaltungsgericht Köln -, endlich festgestellt hat, dass das Bundesamt für Verfassungsschutz mit seinem Vorgehen gegen Rolf Gössner nicht die Verfassung und die Demokratie geschützt, sondern die Grundrechte des Bürgers Rolf Gössner massiv verletzt hat.
Wer nun glaubt, damit sei die Sache nun endlich vom Tisch, irrt leider. Denn das Bundesamt und sein Dienstherr Seehofer betreiben gegen die Entscheidung aus Münster finster entschlossen die Revision vor dem Bundesverwaltungsgericht. Daraus lässt sich nur schließen, dass es beim Verfassungsschutz des Bundes und seinem Dienstherren noch immer am Willen und an der Fähigkeit fehlt, extremistische Verfassungsfeindschaft vom offenen und kritischen Engagement für den Schutz der Grundrechte und der Demokratie zu unterscheiden. Das ist umso beunruhigender, als sich der Verfassungsschutz bekanntlich dort, wo der Demokratie derzeit durchaus reale politische Gefahren drohen, nämlich von Neonazis und Rechtsextremisten, wahrlich nicht als sonderlich schlagkräftige Institution erwiesen hat. Bei dem Gedanken, dass ein Maaßen, der mittlerweile als Mitglied der sog. Werte-Union im Grenzbereich von CDU und AfD herumlichtert, noch bis vor relativ kurzer Zeit Chef des Bundesamtes für Verfassungsschutz war und in dieser Rolle die Gewaltaktion von neo-Nazis im Chemnitz zu verharmlosen versuchte, kann einem noch heute der Schreck in die Glieder fahren.
Hans Litten, der Namensgeber des heutigen Preises, war einer der hervorragendsten Strafverteidiger in der Weimarer Republik. Im Gegensatz zu Mehrheit seiner damaligen Berufskollegen – Berufskolleginnen gab es kaum – war er ein überzeugter Demokrat, der sich mit Mut und hoher Fachkompetenz für die Rechte seiner jeweiligen Mandantschaft eingesetzt hat. Häufig hat er Menschen vertreten, die Opfer brutaler tätlicher Angriffe der SA oder anderen Nazis geworden waren. Wegen seiner demokratischen Haltung wurde er schon kurz nach der Machtergreifung 1933 inhaftiert und 5 Jahre in den Kerkern der Nazis gequält, ehe er 1938 in der Haft seinem Leben ein Ende setzte.
Wir leben in der Bundesrepublik und nicht in der an den Nazis und ihren Helfern gescheiterten Weimarer Republik. Aber wir leben in Zeiten, in denen mit der AfD wieder Kräfte in den Parlamenten der Bundesrepublik auf den Plan treten, die gar keinen Hehl daraus machen, dass sie wieder dorthin wiederzurückkehren wollen, wo der Ungeist und die Barbarei der Nazis 1945 ihr verdientes Ende gefunden haben. Diese Kräfte sind ein massives Risiko für die Demokratie und für die Grundrechte.
Die Vorgänge um den NSU, die Ermordung Walter Lübckes oder die Anschläge von Halle und Hanau zeigen, dass und warum es blauäugig wäre, sich derzeit beim Schutz der Demokratie auf die Behörden des Verfassungsschutzes zu verlassen. Wichtiger sind Repräsentanten der Zivilgesellschaft, die den Schutz der Demokratie und der in ihr verbürgten Grundrechte zu ihrer eigenen Sache machen. Das hat Rolf Gössner wie kein zweiter getan und tut es noch, mit Mut, Beharrlichkeit und Leidenschaft. Deshalb hat er den Hans-Litten-Preis, der ihm heute verliehen wird, in jeder Beziehung verdient.
Herzlichen Glückwunsch!
Die Laudatio von Rupert von Plottnitz auf der Website der VDJ