Aufruf zur Teilnahme an der Demonstration am 20. September 2020 um 14 h, Wittenbergplatz, Berlin
Das Lager in Moria auf der griechischen Insel Lesbos besteht nicht mehr. Ebenso wenig besteht ein menschenwürdiges europäisches Asylsystem mit rechtskonformen Aufenthalts- und Rückführungsregeln. Im Gegenteil: Die rechtswidrigen und unmenschlichen Bedingungen in den Lagern an den europäischen Außengrenzen sind politisch ebenso gewollt, wie die Rechtlosstellung der Flüchtenden. Die Botschaft der EU-Regierungen an flüchtende Menschen auf dem Weg nach Europa ist klar: »Sterbt woanders, oder ihr werdet dauerhaft interniert!« Das ist eine Schande.
Rechtspolitisch bedeutet das: Selbst wenn die Insel-Lager evakuiert werden – und bereits gegen die Evakuierung aus Moria von Asylsuchenden und Personen, die unter die non-refoulement-Regel fallen, wehren sich die konservative griechische Regierung und sämtliche EU-Staaten –, soll das bisher geltende Recht keine Anwendung mehr finden und schon gar kein humanitäres Recht für Flüchtende entstehen. Dass Europa sich gleichzeitig herausnimmt, sich als Trägerin des Friedensnobelpreises und als Verfechterin der angeblich universellen Menschenrechte zu rühmen, kann nicht anders als zynisch bezeichnet werden.
Das Ertrinken-Lassen von Flüchtenden auf dem Weg nach Europa, die Angriffe auf private Rettungsschiffe, die Kriminalisierung der Menschen auf der Flucht vor Mord, Vergewaltigung, Versklavung, Hunger und Umweltkatastrophen sind die eine Antwort der europäischen Regierungen. Die Internierung in überfüllten Lagern, in Dreck und Hoffnungslosigkeit auf den ägäischen Inseln und anderswo an den EU-Außengrenzen sind die andere Antwort der EU-Staaten auf die menschenrechtlichen Katastrophen in vielen Ländern der Welt.
Aufnahme Flüchtender statt permanentes Lagersystem
»Statt einer europa- und menschenrechtskonformen Flüchtlingspolitik will die EU das europäische Asylrecht bis zur Unkenntlichkeit verstümmeln. Das in Moria vor aller Augen gescheiterte Hot- Spotsystem soll ausgeweitet und mit flächendeckenden Grenzverfahren und Haft an den Außengrenzen verbunden werden. In so einem System besteht faktisch kein individuelles Asylrecht mehr. Der Zugang zum Recht wird so systematisch verwehrt«, so Rechtsanwältin Berenice Böhlo, RAV-Vorstandsmitglied und Co-Präsidentin der europäischen Anwaltsorganisation AED-EDL. »Dabei ist in Moria das Scheitern eines solchen Europäischen Asylsystems bereits jetzt evident«, ergänzt Ursula Mende, Bundessekretärin der Vereinigung Demokratischer Juristinnen und Juristen (VDJ). »Dennoch setzen die europäischen Regierungen auf Grenzverfahren, die ohne ausreichenden Rechtsschutz in katastrophalen Aufnahmebedingungen stattfinden«, stellt Michèle Winkler vom Komitee für Grundrechte und Demokratie klar.
Die Weigerung, Flüchtende unter humanitär vertretbaren Bedingungen so unterzubringen, dass alle Grundbedürfnisse ausreichend abgedeckt sind, steht für die gewollte und vollständige Aushöhlung des Asylschutzes. Sie bezeichnet auch den Beginn einer Haltung der Schengen-Staaten, dass Flüchtende ohne ausreichende Prüfung ihres Asylanspruchs weiter Hunger, Obdachlosigkeit und Gewalt ausgesetzt bleiben, durch FRONTEX kriminalisiert und abgeschreckt und in vielen Fällen zusätzlich verletzt werden. Das bedeutet auch, dass damit deren Verelendung und Tod billigend in Kauf genommen wird – nur aufgrund ihrer nicht-europäischen Herkunft.
Moria steht für das drohende Ende der zivilisatorischen Leistung Europas: dass sich Staaten Rechten und Pflichten unterwerfen und dass Menschenrechte unteilbar sind.
Stattdessen wird jetzt der permanente Rechtsbruch zur ›neuen Normalität‹ in der EU erklärt, der griechische Staat wird für seine Außerkraftsetzung von Rechten als EU-Schutzschild ausdrücklich gelobt. Es wird ein neues Unrechtssystem begründet, das bereits den Zugang von Schutzsuchenden zum Recht unmöglich machen soll. Faktisch läuft diese Politik auf Verelendung und Tod flüchtender Menschen hinaus.
Wir fordern demgegenüber:
- eine uneingeschränkte Anwendung und ein klares Bekenntnis der deutschen Regierung zur Genfer Flüchtlingskonvention
- eine rechtskonforme Abklärung des Schutzstatus jedes einzelnen Menschen auf der Flucht innerhalb der EU
- ein humanitäres und solidarisches Europäisches Recht für Flüchtende, das den international geltenden humanitären Versorgungsstandards entspricht
- einen sofortigen konzertierten europäischen Rettungsplan
- die sofortige Evakuierung aller Flüchtlinge von den griechischen Inseln
- die Aufnahme in Deutschland und anderen europäischen Staaten
Mitunterzeichner:
- Republikanischer Anwältinnen- und Anwälteverein
- Internationale Liga für Menschenrechte
- Humanistische Union
- Komitee für Grundrechte und Demokratie
- Neue Richtervereinigung – Zusammenschluss von Richterinnen und Richtern, Staatsanwältinnen und Staatsanwälten
- Respekt für Griechenland
- Vereinigung Berliner Strafverteidiger
- Vereinigung Demokratischer Juristinnen und Juristen
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