Erschienen als Gastkommentar in der Mittelbayerischen Zeitung am 27. September 2018 in der Rubrik „Außenansichten“
Seit der Jahrtausendwende nehmen Erwerbsunsicherheiten, prekäre Beschäftigungsverhältnisse, soziale Deklassierung und kulturelle Geltungsverluste zu. Die zunehmende soziale Spaltung sowie eine vermeintliche „Überfremdung“ durch Einwanderung führten zum Erstarken des Rechtspopulismus. Ein auf die Zukunft gerichtetes Weltbild bedeutet, gesellschaftliche Integration von Zugewanderten als Bereicherung zu begreifen und erfordert – ohne falsch verstandene Toleranz – Offenheit gegenüber neuen Kulturen und Wertvorstellungen. Dieses Weltbild steht in Konkurrenz zu einem auf die Vergangenheit fixierten, pessimistischen Gesellschafts- und Zukunftsbild: Die vorgebliche „Überfremdung“ durch Migranten werden als Symptome eines gesellschaftlichen Niedergangs gedeutet und die andersartigen Fremden als Repräsentanten des Wandels betrachtet, vor denen die „nationale Leitkultur“ verteidigt werden muss.
Die Natur lehrt uns, dass Vielfalt als Reichtum zu begreifen ist. Die Artenvielfalt von miteinander vernetzten Mikroorganismen, Pflanzen und Tieren sind für den Fortbestand der Menschheit essentiell. Artenreiche Ökosysteme sind leistungsfähig und wichtig für unser Klima und den Wasserkreislauf. Monokulturen zerstören biologische Vielfalt. Die Verknappung der Vielfalt ist aber ein Angriff auf die Zivilisation.
Auch für die Gesellschaft schlummern in der Vielfalt ungeahnte Potenziale. Menschen brauchen um sich weiterzuentwickeln die diskursive Auseinandersetzung mit Andersdenkenden, mit Menschen unterschiedlicher Herkunft und unterschiedlicher Lebensentwürfe. So werden Zugang zu neuen Welt- und Wertvorstellungen ermöglicht, neue Perspektiven eröffnet, Kreativität ausgebildet und das eigene Verhaltensspektrum erweitert. Kulturelle Vielfalt gehört zum Alltag in unserer Gesellschaft und braucht breite gesellschaftliche Akzeptanz.
Wenn sich eine Gesellschaft in radikalisierende Lager aufspaltet die keine Schnittmengen mehr haben, die die Welt in Gut und Böse aufteilen, dann wird nicht nur der Blick verstellt für die Schönheit in der Andersartigkeit des Fremden, dann führt dies auch zu einer Zerstörung der Gemeinschaft. In einer pluralistischen Gesellschaft stärkt die Wertschätzung der Vielfalt das demokratische Immunsystem. Sie ist ein moralischer und gesellschaftspolitischer Imperativ.
Hier lesen Sie die Online-Version: https://www.mittelbayerische.de/politik/aussenansicht-nachrichten/plaedoyer-fuer-mehr-vielfalt-23450-art1699757.html
Herbert Nebel
Mitglied im Vorstand der Internationalen Liga für Menschenrechte e.V.