Rede der ehemaligen Präsidentin der Liga, Prof. Dr. Fanny-Michaela Reisin, vor der Polizeistation Dessau/Rosslau, in deren „Obhut“ Oury Jalloh am 7. Januar 2005 bei lebendigem Leib verbrannte. Im Beisein des aus Sierra Leone angereisten Bruders Mamadous Saliou Diallo beklagt Reisin auch den Tod von Mariama Djambo Diallo über den schmerzlichen Verlust ihres Sohnes und wirft den Zuständigen in Sachsen Anhalt vor, die Aufklärung des Feuertodes Oury Jallohs durch Vertuschung und Verschleppung bis ins 13. Jahr danach zu vereiteln.
Rede der ehemaligen Präsidentin der Liga, Prof. Dr. Fanny-Michaela Reisin (deutsch, pdf)
Rede der ehemaligen Präsidentin der Liga, Prof. Dr. Fanny-Michaela Reisin (französisch, pdf)
Chèr Mamadou Saliou Diallo,
merci pour venir de Conakry en Guinea à Dessau
Nous pleurons avec vous, de votre mère Mariama Djombo Diallo et pas moin de votre et notre frère Oury.
Lieber Mamadou Saliou Diallo, Danke, dass Sie nach Dessau gekommen sind. Wir betrauern mit Ihnen den Tod Ihrer teuren Mutter Mariama Djombo Diallo und ebenso Ihres und unseres gemeinsamen Bruders Oury.
Ich habe Ihre Mutter, die moralisch starke und so schöne Bäuerin aus Guinea, gekannt. Sie machte sich im Jahre 2012 auf den langen Weg nach Magdeburg, weil sie – ähnlich wie wir alle damals – geglaubt und gehofft hatte, dass das Landgericht dort in dem Revisionsverfahren die Durchführung des Prozesses vor dem Dessauer Gericht korrigieren und das ungereimte Urteil nach einem ungeheuerlichen Täuschungsverfahrens revidieren würden.
Mariama Djombo Diallo war mit uns davon überzeugt, dass ihrem toten Sohn wenigstens Gerechtigkeit widerfahren und deutsche Gerichte die unmenschlichen Umstände seiner Verbrennung im Gewahrsam der Polizeistation Dessau–Roßlau rückhaltlos aufklären würde.
Mariama lebte bei der Familie von Mouctar Bah. Mouctar war ein guter Freund von Oury in Deutschland. Er hat als letzter noch am Vorabend des für uns alle unvorstellbaren 7. Januar 2005 mit Oury telefoniert. Während des Revisionsprozesses in Magdeburg beklagte Mouctar oft, wie schwer es für die „Mamma von Oury“ war, die Kälte auszuhalten, die sie im Gericht spürte, das über das Leben und Sterben ihres Sohnes zu richten hatte.
Mariama und ich saßen in den Prozesspausen oft zusammen, hielten uns die Hand, manchmal weinten wir leise. Wir konnten nie herzhaft miteinander lachen. Zu groß war der Schmerz.
Als es im Magdeburger Gericht dann im Frühjahr wieder um die Glaubwürdigkeit der vorgeblichen Selbst–Anzündung ihres Sohnes ging, hielt sie es nicht mehr aus. Sie beschloss abzureisen. Ihre Felder in Tourahol (Guinea, Dalaba), die einzige Nahrungsquelle, waren während der vielen Monate ihres Aufenthalts in Deutschland vernachlässigt worden.
Nur wenige Wochen nach ihrer Abreise sollte sie am 23. Juli 2012 bei der Feldbestellung sterben. Sicher auch in Folge verschiedener Krankheiten. Sie war nicht mehr ganz jung. Nicht weniger sicher zerbrach Mariama Djombo Diallo aber an dem großen Schmerz ihrer Enttäuschung darüber, dass ihr in Deutschland zu Tode gekommener Sohn weiterhin der Selbsttötung beschuldigt wird. Das bezeugen alle, die zum Schluss mit ihr waren. Seit dem 7. Januar 2013, seit fünf Jahren also, trage ich das Bild von Mariama Djombo Diallo bei jeder Demonstration in Gedenken an Oury und alle Opfer der rassistischen Gewalt in Deutschland als bittere Anklage der Mütter in Afrika mit, die gehofft hatten, ihre Söhne und Töchter könnten es hier in Deutschland besser haben als in den von Kriegen und Hungersnöten geplagten Heimatländern.
Lieber Mamadou Saliou Diallo,
Danke, dass Sie die Kraft haben, ihre Anklage aufrecht zu halten. Danke, dass Sie mit Ihren Klagen, mit der Initiative „In Gedenken an Oury Jalloh“ und ja, mit uns allen, die wir heute hier sind, sich standhaft und leidenschaftlich, für Gerechtigkeit, für Humanität und ja, für die Herstellung der Rechtsstaatlichkeit in Deutschland zu engagieren.
Danke, dass Sie heute mit uns sind!
Richten Sie bitte Ihrem Herrn Vater unsere Grüße aus. Wir werden keine Ruhe geben, bis seinem Sohn Gerechtigkeit widerfahren und sein Verbrennungstod in der Zelle der Dessauer Polizeistation gesühnt wird. Das verspreche ich Ihnen.
Ich gehöre der „Internationalen Liga für Menschenrechte“ an, die Mouctar Bah und die Initiative „In Gedenken an Oury Jalloh“ bereits 2009 mit der Carl-von-Ossietzky-Medaille für Zivilcourage, Standhaftigkeit und Unbestechlichkeit ausgezeichnet hat.
Vor dem Hintergrund der insgesamt mehr als zweifelhaften, von Vertuschungen und regelrechten Fälschungen geprägten Ermittlungstätigkeit der Dessauer Staatsanwaltschaft und angesichts der bitteren Tatsache, dass auch die Richterschaften beider Gerichte nicht imstande waren, alle Einflussnahmen abzuweisen und im sachsen-anhaltinischen Justizskandal vom 7. 1. 2005 geltendes Recht durchzusetzen, fordert die Liga mit der Initiative „In Gedenken an Oury Jalloh“,
- eine/n unabhängige/n Sonderermittler/in mit der Aufklärung zu betrauen und parallel
- eine unabhängige internationale Untersuchungskommission einzurichten, die endlich Licht in das Dunkel des am 7. Januar 2005 und die 13 Jahre seitdem bringt.
Liebe Freunde, liebe Freundinnen,
es gibt nun einen anfänglichen Mordverdacht selbst beim leitenden Dessauer Oberstaatsanwalt Bittmann. Immerhin nach 12 Jahren ein Aktenvermerk zu eigenen Selbstzweifeln.
Die Ungereimtheiten gehen aber weiter!
Die Akte Oury Jalloh wurde – wohl angesichts einer zu befürchtenden „Wende“ – an die Staatsanwaltschaft in Halle übertragen und dort im Oktober letzten Jahres geschlossen. „Fallermittlungen eingestellt“ heißt es, „vollständige Aufklärung nicht möglich“.
Der Ball ist also wieder bei uns auf der Straße!
Ich rufe von dieser Stelle in Richtung Polizeipräsidium, Justiz und Regierung Sachsen–Anhalts: Das kann und das wird so nicht stehen bleiben!
Machen wir uns noch einmal klar, worauf es in der nächsten Zeit ankommen muss:
In der Polizeistation Dessau–Roßlau, die wegen Aggressivität und Gewalt berüchtigt ist – schließlich hatten schon zwei andere Inhaftierte den „Gewahrsam“ dort nicht überlebt –, geschah mit der Verbrennung Oury Jallohs das Unvorstellbare, das aufgeklärt und gesühnt werden muss!
Uns muss aber auch interessieren,
- wer für die Selbstanzündungsthese und
- wer dafür Verantwortung trägt, dass in der Asservatentüte zwei Tage nach der Spurensicherung plötzlich ein Feuerzeug auftauchte, das in der Liste des zuständigen Kriminalkommissars nicht aufgeführt war, weil er es in der Zelle nicht aufgefunden hatte.
Das Polizeipräsidium in Dessau, das Innen– und das Justizministerium sowie alle Regierungsverantwortlichen Sachsen–Anhalts tragen die Vertuschungen und Verfälschungen seit 13 Jahren mit und ja, sie tragen alle mit Verantwortung für einen unsäglichen Justizskandal!
Rassisten und Demokratiefeinde feiern Urständ in Sachsen–Anhalt und nicht nur dort.
Ich fordere die Landes– und die Bundesregierung auf:
Schauen Sie endlich hin – ehe es wieder zu spät ist in Deutschland.