Internationale Liga für Menschenrechte

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Wenn der Gärtner doch ein Bock ist – Erfahrungen mit der Generalbundesanwaltschaft – Ende nicht in Sicht

Fanny-Michaela Reisin anlässlich Carl von Ossietzkys 126. Geburtstag und des 25. Jahrestags der vereinten Bundesrepublik Deutschland am 03. Oktober 2015, im Matinee Haus der Demokratie und Menschenrechte

Fanny-Michaela Reisin: Wenn der Gärtner doch ein Bock ist (pdf)

Anfang des vorigen Jahres, am 3. Februar 2014, erstattete die Liga gemeinsam mit den Nichtregierungsorganisationen Chaos Computer Club (CCC) und Digitalcourage sowie im Namen von vier Einzelpersonen Strafanzeige gegen Agenten US-amerikanischer, britischer und bundesdeutscher Geheimdienste und ihre Vorgesetzten sowie gegen den Bundesinnenminister, die Bundeskanzlerin und weitere Bedienstete der Bundesregierung, die für Überwachungen verantwortlich zeichnen. Die Anzeige führt geheimdienstliche Agententätigkeiten an, die strafbar sind, umfängliche Verletzungen persönlicher und privater Lebensbereiche sowie Strafvereitelung im Amt.

Die Bundesregierung ist ohne Zweifel zuständig für die bundesdeutschen Geheimdienste, als da wären Verfassungsschutz, Bundesnachrichten– und Militärischer Abschirmdienst; die Kanzlerin und der Innenminister haben vollständige Weisungshoheit. Andererseits ist es die vornehmste Aufgabe einer Bundesregierung – der Kanzlerschaft also und ihres Kabinetts – die im Grundgesetz verbrieften Grundrechte der Bürger und Bürgerinnen auf dem Territorium der Bundesrepublik Deutschland zu schützen, ihre Einhaltung durchzusetzen und sie gegen jeden Übergriff und Missbrauch zu verteidigen.

Daraus erwächst für die Bundesregierung offenkundig ein Zielkonflikt. Müsste nicht so sein, ist aber aufgrund der Verselbständigung der ja im Verborgenen arbeiten geheimen Dienste und der kaum zu bewältigenden Kontrolle ihrer komplexen Vernetzungen doch einer. Zielkonflikte sind alles in allem in komplexen Verhältnissen unvermeidbar.

Die Bundesregierung entscheidet aber den Konflikt zwischen Schutz der Bürgerrechte und Schutz der Geheimdienste fortwährend zu Gunsten der Geheimdienste. Und zwar, nicht nur der hiesigen – was schon ärgerlich genug ist, denn es wird so getan, als gehörten die Geheimdienste zum eigenen Haus und die Bürger und Bürgerinnen „draußen im Lande“, der eigentliche Souverän und damit Herr im Hause eben nicht. Die Bundesregierung entscheidet sich aber darüber hinaus völlig inakzeptabel auch zu Gunsten auch des Schutzes ausländischer Geheimdienste, zumal der übergriffigen CIA und NSA aus den USA.

Anhaltende Duldung und Verschleierung rechtswidriger Machenschaften aller genannten Geheimdienste und nicht zuletzt Kollaborationen, die – an der Öffentlichkeit vorbei – vertraglich abgesichert werden, sind Gang und Gebe. All dies nach den so genannten NSU-Skandalen, die ja eigentlich Verfassungsschutzskandale sind oder den NSA-Übergriffen, die nicht minder BND- und eigentlich auch Regierungsübergriffe auf Recht und Gesetzlichkeit sind.

Mit der Strafanzeige war der seinerzeitige Generalbundesanwalt Harald Range angerufen worden, Ermittlungen aufzunehmen. Dieser befand es ein halbes Jahr lang nicht für nötig jenseits von Eingangsbestätigungen zu reagierten. Alle Mahnungen nutzten nichts. Selbst die öffentliche Mitteilung, dass in der Folge unserer Erstanzeige sechs NGOs und mit 1.848 fast 2.000 weitere Einzelpersonen sich der Strafanzeige angeschlossen hätten, vermochte den Generalbundesanwalt nicht zu einer Würdigung des Vorbringen und einer einschlägigen Rechtsentscheidung zu bewegen. Hin und wieder bekamen wir eine halbseitige Mitteilung, der zufolge die Beweiskraft der von uns beigebrachten Belege weiterer Prüfungen unterzogen werden müsse. Alles in allem wurde unsere Anzeige auf die lange Bank geschoben.

Das Vorgehen des Generalbundesanwalts hatte allerdings Methode. Eine besonders perfide noch dazu. Zu keinem Zeitpunkt wies er die Strafanzeige zurück, für welchen Fall wir ja zu lautstarkem Protest provoziert worden wären. Er sah sich aber auch nicht veranlasst, unser Vorbringen zügig eingehend zu prüfen und vor allem wenigstens über die Annahme der Anzeige zu entscheiden.

Selbst die Drohungen der vier Einzelpersonen in unseren Reihen, die Verschleppung ihrer Fälle nicht hinzunehmen und die Prüfung durch den Generalbundesanwalt rechtlich zu erzwingen, beeindruckte einen Herrn Range nicht.

Fast eineinhalb Jahre nach Einreichung der Strafanzeige und in der Folge abermaliger, nunmehr massiver Mahnungen unserer Anwälte sowie schließlich neuerlicher Erstattung einer, nunmehr um zusätzliches Beweismaterial der Einzelkläger erweiterten Strafanzeige, reagierte der Generalbundesanwalt am 15. Juni d. J. mit einem ausführlichen Schreiben. Das alte Lied: Erläutert wurde nunmehr lang und breit, warum ein offizielles Ermittlungsverfahren nicht eingeleitet werden könne, die vorgebrachten Hinweise weiter geprüft werden sollen und folglich über die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens zum gegebenen Zeitpunkt nicht abschließend entschieden werde. Ein weiteres Hinhalteschreiben also.

Seine unsägliche Inaktivität begründete der Generalbundesanwalt abermals mit dem „Fehlen an zureichenden und tatsächlichen Anhaltspunkten“ für Straftaten. Schließlich seien die von Edward Snowden und anderen in den Medien veröffentlichten Enthüllungen „keine Grundlage für eine gerichtsfeste Beweisführung“ so lange er, Harald Range, keinen Zugriff auf die Original-Dokumente erlangen könne.

Nur einen Monat später wurden wir im Juli Zeugen, wie derselbe Generalbundesanwalt, der die von immerhin fast Zweittausend Bürgern und Bürgerinnen geforderten Ermittlungen über mehr als anderthalb Jahre systematisch verschleppt hatte, es nunmehr für richtig befand, sich in Sachen Abschreckung von Whistleblowing eiligst mit massiven Angriffen auf die Pressefreiheit verdient zu machen. Binnen nur zweier Monate nahm er, in Überschreitung seiner Zuständigkeiten völlig überzogene Ermittlungen wegen Landesverrat gegen zwei Journalisten der Onlinezeitung Netzpolitik.Org auf. Die beiden hatten im Frühjahr in ihrem Internet-Blog Informationen über Verschärfungen staatlicher Überwachungen veröffentlicht, die ihnen geheim zugespielt worden waren.

Nun war Harald Range der Regierung eigenständig doch zu weit gegangen. Zu offenkundig wurden seine selbstjustiziaren Machenschaften. Er wurde bekanntlich seines Amtes enthoben.

Die Geheimdienste und die Regierung sind dagegen geblieben. Sie setzen – wen wundert’s – die von uns beklagte Praxis unangefochten fort: Geheimverträge mit den USA werden abgenickt, heimlich verübte Übergriffe auf Bürgerrechte, die Verfassungsrecht verletzen und selbst die Gewaltenteilung aussetzen, werden geduldet.

Uns in der Liga, die wir unsere Erfahrungen mit den staatlichen Sicherheits– und Geheimdiensten nicht erst seit 2013, sondern seit über einem Jahrhundert dokumentieren, erinnert die unerträgliche Blockade der Ermittlungen an Komplotte der Regierung und Justiz während der Weimarer Republik. Wer wollte bestreiten, dass in diesem unguten Zusammengehen der Exekutiven und Judikativen jenen totalitären Verhältnisse Tür und Tor geöffnet wurden, die so viel Schaden über Deutschland gebracht haben?

Der von uns mit Carl von Ossietzkys Geburtstag alternativ begangene Nationalfeiertag ist Anlass über diese Zusammenhänge nachzudenken.Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit