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Recht gehabt, nichts gewonnen

Fast 40 Jahre lang wurde der Bremer Rechtsanwalt und Publizist Rolf Gössner geheimdienstlich überwacht und ausgeforscht. Er klagte und gewann den Prozess nach fünfjähriger Verfahrensdauer im Februar 2011. Doch jetzt wird sein Verfahren wieder neu aufgerollt, weil das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen die Berufung des Bundesamts für Verfassungsschutz nach fast fünf weiteren Jahren zugelassen hat.

Kai von Appen, taz-nord vom 30.12.2015 (pdf)

Seit 1970 ist der Bremer Rechtsanwalt, Publizist und Bürgerrechtler Rolf Gössner 38 Jahre lang vom Bundesamt für Verfassungsschutz in Köln überwacht und ausgeforscht worden. Unverhältnismäßig und von Anfang an rechtswidrig, wie das Verwaltungsgericht Köln im Januar 2011 nach einem fünfjährigen Prozess erklärte. Das Gericht billigte Gössner ein „Rehabilitierungsinteresse“ zu.

Doch zur Entlastung kommt es vorerst nicht: Gössner muss sich auch kommendes Jahr weiter mit den Folgen der Ausspähung herumschlagen. Das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen in Münster hat jetzt nach über viereinhalb Jahren die Beschwerde gegen das Kölner Urteil durch die Bundesrepublik Deutschland – vertreten vom Inlandsgeheimdienst – zugelassen. Das Verfahren wird also neu aufgerollt.

Das Gericht begründet diese Entscheidung damit, dass es im Fall Gössner „tatsächliche und rechtliche Schwierigkeiten“ gebe. Gössners Rechtsvertreter, der Landesvorsitzenden der Humanistischen Union Baden-Württemberg, Udo Kauß, sieht allerdings keine Verfahrensfehler. Für ihn ist die Berufung nur aus einem vorgeschobenen Grund zugelassen worden: „Nicht etwa, weil ernsthafte Zweifel an der Richtigkeit des Kölner Urteils bestünden oder ein Verfahrensmangel vorliege“, sagt Kauß.

Zu solchen Mitteln kann ein Gericht aus Gründen der Staatsräson greifen, wenn es verhindern möchte, dass ein Urteil sofort rechtskräftig wird. Stattdessen muss das Verfahren dann noch mehrere Jahre durch die Instanzen bis zum Bundesverfassungsgericht fortgesetzt werden. „Dann bin ich vermutlich schon 80 Jahre alt“, sagt Rolf Gössner.

Urteil von grundsätzlicher Bedeutung

Der Kölner Urteilsspruch, wäre er denn rechtskräftig, ist von grundsätzlicher Bedeutung – besonders für andere Publizisten, Anwälte und Menschenrechtler. „Der Verfassungsschutz müsste seine Arbeitsweise darauf einstellen“, sagt Gössner. Er sieht durch die geheimdienstliche Überwachung die verfassungsrechtlich geschützten Vertrauensverhältnisse zwischen Anwalt und Mandant und zwischen Journalist und Informant erschüttert. Die geheimdienstlichen Überwachung führe dazu, dass Berufsgeheimnisse wie das Mandatsgeheimnis und der Informantenschutz nicht mehr zu gewährleisten seien.

„Diesem uferlosen geheimdienstlichen Treiben hatte das Kölner Gericht einen rechtsstaatlichen Riegel vorschieben wollen“, sagt Gössners Anwalt. Das hat jetzt auch das Verwaltungsgericht eingeräumt, indem es die Bespitzelung seines Mandanten „als schwerwiegenden Eingriff in verfassungsrechtlich geschützte Positionen“ bewertete.

Dabei sei in Gössners Fall erschwerend hinzugekommen, dass vor allem bei Recherchen in seinem Haupttätigkeitsfeld der inneren Sicherheit eine „besondere Vertrauensbasis zu Auskunftspersonen nötig“ sei, die laut Urteil „durch eine Beobachtung seitens des Verfassungsschutzes erheblich tangiert“ worden sei.

Linke Gruppen gesellschaftsfähig gemacht

Das Bundesamt für Verfassungsschutz legte Rolf Gössner damals zur Last, berufliche und ehrenamtliche Kontakte zu angeblich „linksextremistischen“ und „linksextremistisch beeinflussten“ Gruppen und Veranstaltern unterhalten zu haben. Hier soll er referiert und diskutiert haben. Aber auch der Kontakt zu bestimmten Presseorganen, in denen Gössner – neben vielen anderen Medien – Aufsätze veröffentlichte und denen er als Bürgerrechtler Interviews gegeben hatte, war dem Inlandsgeheimdienst ein Dorn im Auge.

Mit seinen Kontakten, publizistischen Beiträgen und Vorträgen soll Gössner, dem Inlandsgeheimdienst zufolge, zwar nicht verbotene, aber als „linksextremistisch“ eingestufte Gruppen und Organisationen „nachdrücklich unterstützt“ haben. Gössner soll sie – so das Bundesamt – als „prominenter Jurist“ aufgewertet und gesellschaftsfähig gemacht haben. Aus vollkommen legalen und legitimen Berufskontakten konstruierte der Verfassungsschutz so eine Art Kontaktschuld.

Im ursprünglichen Verfahren hatte das Kölner Verwaltungsgericht das Bundesamt für Verfassungsschutz verpflichtet, die gesamte Akte Gössners vorzulegen. Der Geheimdienst legte daraufhin eine Akte von über 2.000 Seiten vor. Doch wegen einer Sperrerklärung des Bundesinnenministeriums wurden allerdings vorher Seiten entfernt, viele Textteile waren geschwärzt.

Im Laufe des Beschwerde-Verfahrens vor dem Oberverwaltungsgericht in Münster schob der Verfassungsschutz dann neue Vorwürfe gegen Gössner nach: Vorwürfe, die zuvor keinerlei Rolle gespielt hatten und möglicherweise nachträglich anderes Licht auf die andauernde Überwachungsgeschichte werfen sollten.

In Misskredit gezogen

Der Inlandsgeheimdienst zog schließlich sogar Gössners veröffentlichte Aufsätze und Bücher in Misskredit und stellte seine Kritik an bundesdeutscher Sicherheits- und Antiterrorpolitik sowie an den Sicherheitsorganen und Geheimdiensten unter Linksextremismusverdacht. Der Skandal um die rechte Terrorgruppe NSU, in dem V-Leute des Verfassungsschutzes involviert waren und das Wirken des US-Geheimdiensts National Security Agency (NSA) im Zusammenspiel mit dem Bundesnachrichtendienst in Deutschland zeigen jedoch, dass Gössner mit seiner Geheimdienst-Kritik nicht ganz falsch liegt.

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