Internationale Liga für Menschenrechte

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Neue Erkenntnisse im NSA-BND-Überwachungsskandal liefern weitere Belege für Strafanzeige gegen Geheimdienste und Bundesregierung

Pressemitteilung (pdf)

Menschen- und Datenschutzorganisationen starten zum zweiten Jahrestag der Snowden-Enthüllungen neue Initiative: Internationale Liga für Menschenrechte fordert zusammen mit ChaosComputerClub und Digitalcourage vom Generalbundesanwalt unverzügliche Einleitung von Strafermittlungen wegen Totalausforschung der Bevölkerung

Nach den Enthüllungen des ehemaligen NSA-Mitarbeiters und Whistleblowers Edward Snowden erstattete die Internationale Liga für Menschenrechte zusammen mit ChaosComputerClub und Digitalcourage im Februar 2014 – also vor weit mehr als einem Jahr – beim Generalbundesanwalt Strafanzeige. Diese richtet sich gegen in- und ausländische Geheimdienst-Verantwortliche sowie gegen die Bundesregierung, im Besonderen gegen Bundeskanzlerin Angela Merkel und zuständige Bundesminister. Sie haben die massive Verstrickung des Bundesnachrichtendienstes (BND) in das globale, menschenrechtswidrige Massenüberwachungssystem zu verantworten sowie die hieraus resultierenden Verletzungen des Menschenrechts auf Privatsphäre, die nahezu alle Bundesbürger_innen schädigen; darüber hinaus machen sie sich bis heute der sträflichen Unterlassung von Abwehrmaßnahmen schuldig, so dass die Bevölkerung den geheimdienstlichen Angriffen schutzlos ausgeliefert ist.

Der Strafanzeige haben sich bisher sechs weitere Vereinigungen und fast 2.000 Personen angeschlossen. Bekanntlich hat der oberste Ankläger ein offizielles Strafermittlungsverfahren wegen des US-Spionage-Angriffs auf das Handy der Kanzlerin eingeleitet, inzwischen auch wegen mutmaßlicher Wirtschaftsspionage innerhalb der EU. Auf ein Ermittlungsverfahren wegen der ungleich schwerer wiegenden massenhaften Ausspähung der ganzen Bevölkerung verzichtet der Generalbundesanwalt jedoch bis heute – kurioserweise mangels „zureichender Tatsachen“. Nach Auffassung der Liga und der Anzeigeerstatter lässt diese einseitige Entscheidung an der Gleichbehandlung aller Bürger_innen vor dem Gesetz zweifeln.

Rolf Gössner, Liga-Vizepräsident und einer der Anzeigeerstatter, wertet die selektive Wahrnehmung des Generalbundesanwalts angesichts der Fülle an Belastungszeugen und -beweisen, die sich ständig mehren, als „Realitätsverleugnung oder Willfährigkeit – jedenfalls hart an der Grenze zur Strafvereitelung im Amt. Diese Rechtsschutzverweigerung ist eine Kapitulation des Rechtsstaats vor staatlichem Unrecht – nach den neuesten Erkenntnissen mehr denn je.“

Denn seit der Anzeigeerstattung im Februar 2014 sind zahlreiche neue Geheimdienstskandale bekannt geworden, die die Strafanzeige untermauern und die Notwendigkeit von Strafermittlungen belegen. Dazu zählen: gezielte Überwachung von Verschlüsselungsnutzern, massenhaft illegale Weitergabe von geschützten Telekommunikationsdaten durch den BND an die NSA bis hin zu umfassender Wirtschaftsspionage in EU-Staaten, die der BND im Rahmen seiner Auslandsüberwachung im Dienst der NSA mutmaßlich gefördert und betrieben hat. Dabei kommt es zu unzähligen Bürgerrechts- und Strafrechtsverstößen, die endlich gerichtlich überprüft und geahndet werden müssen.

Vor dem Hintergrund solcher Erkenntnisse, aber auch angesichts der regierungsamtlichen Informationsblockaden und Vertuschungen, die eine parlamentarisch-demokratische Kontrolle der Geheimdienste unmöglich machen, sehen sich die Anzeigeerstatter in ihrem Bemühen bestätigt, sich gegen die – von der Bundesregierung offenkundig gestützte – demokratie- und rechtsstaatswidrige Parallelwelt geheimdienstlicher Machenschaften auch mit den Mitteln des Straf- und Strafprozessrechts zur Wehr zu setzen. Sie fordern mit ihrer heutigen Initiative Generalbundesanwalt Harald Range auf, seinen Pflichten als oberster Ankläger endlich nachzukommen und unverzüglich offizielle Strafermittlungen einzuleiten. Die Bürger_innen der Bundesrepublik Deutschland haben einen Rechtsanspruch auf die rückhaltlose Aufklärung der skandalösen Übergriffe auf ihre informationelle Selbstbestimmung und Privatsphäre. Die dafür politisch und strafrechtlich Mitverantwortlichen des NSA-BND-Massenüberwachungsskandals – der längst ein Regierungsskandal geworden ist – müssen umgehend zur Rechenschaft gezogen werden – und zwar ohne Ansehen von Person und Amt und ohne Rücksicht auf (außen-) politische Interessen.

Kontakt: rolf-goessner@ilmr.de.

Für weitere Informationen verweisen wir auf beigefügte Pressemitteilung vom 5.06.2015 der Anwälte Eberhard Schultz und Claus Förster in Berlin, die die Strafanzeige im Namen der beteiligten Anzeigeerstatter_innen fertigten und mit ihrer neuen Initiative offizielle Strafermittlungen des Generalbundesanwalts anmahnen. Der Schriftsatz an den Generalbundesanwalt kann bei Interesse über die Kontaktadresse des Anwaltsbüros angefordert werden: info@racf.de.

Die Strafanzeige gegen Geheimdienst-Verantwortliche und Bundesregierung wegen geheimdienstlicher Massenausforschung erstatteten im Februar 2014:

Die Strafanzeige richtet sich gegen:

  1. US-amerikanische, britische und deutsche Geheimdienstagenten und ihre Vorgesetzten,
  2. den Präsidenten des Bundesnachrichtendienstes (BND), Gerhard Schindler,
  3. den Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutzes (BfV), Dr. Hans-Georg Maaßen,
  4. den Präsidenten des Militärischen Abschirmdienstes (MAD), Ulrich Birkenheier,
  5. die Leiter der Landesämter für Verfassungsschutz,
  6. den Bundesminister des Inneren, Herrn Dr. Thomas de Maiziére,
  7. die Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel und die übrigen Mitglieder der Bundesregierung,
  8. sowie die Amtsvorgänger der Verdächtigen zu 2) bis 7)

wegen

  • verbotener geheimdienstlichen Agententätigkeit sowie Beihilfe hierzu (§ 99 StGB),
  • Verletzungen des persönlichen Lebens- und Geheimbereichs, §§ 201 ff. StGB,
  • Strafvereitelung im Amt u. a., §§ 258 f. StGB sowie weiterer Delikte.

Dokumentation der Strafanzeige:
SPIONAGE ADÉ. Massenüberwachung und globale Datenspionage: Wir erstatten Strafanzeige gegen Bundesregierung und Geheimdienste. Mit einer Analyse von Rolf Gössner: „Informationskrieg der Geheimdienste“. (Verlag Art d’Ameublement, Bielefeld; ISBN 978-3-934636-14-9; 150 Seiten, 8 €).
Bezug per Online-Bestellung: https://shop.digitalcourage.de/broschuere-spionage-ade.html