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„Ineffizient, überflüssig, demokratiefeindlich und unkontrollierbar“

gehe zum Beitrag ↓  Kurzbegründung („Unkontrollierbarkeit/Demokratiewidrigkeit eines Geheimdienstes mit dem Tarnnamen ‚Verfassungsschutz'“), von RA Rolf Gössner (Liga-Vizepräsident)   Download PDF

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Pressemitteilung: „Ineffizient, überflüssig, demokratiefeindlich und unkontrollierbar“ Gemeinsames Memorandum von Bürgerrechtsorganisationen fordert Auflösung der Verfassungsschutzämter

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Mehrere bundesdeutsche Bürgerrechtsorganisationen präsentieren am heutigen Freitag, den 20. September 2013, in Berlin ein gemeinsames Memorandum zur Auflösung des „Verfassungsschutzes“ (VS). Die Autoren und unterstützenden Organisationen appellieren an die Politiker/innen aller Parteien, nach den jüngsten Geheimdienst-Skandalen endlich durchgreifende rechtspolitische Konsequenzen zu ziehen. Der Inlandsgeheimdienst habe sich wiederholt als ineffizient, überflüssig, demokratiefeindlich und unkontrollierbar erwiesen. Es handle sich dabei um permanente, systembedingte Defizite, die alle bisherigen Versuche einer Reform der VS-Behörden in Bund und Ländern überstanden haben. Die Verfassungsschutzbehörden sollten deshalb ersatzlos abgeschafft werden. Die Bürgerrechtsorganisationen rufen Bürgerinnen und Bürger dazu auf, ihre Forderung zu unterstützen.

Keine Sicherheitslücke bei Auflösung der VS-Behörden des Bundes und der Länder

Till Müller-Heidelberg (Humanistische Union) weist darauf hin, dass bei einer Auflösung des Bundesamtes und der 16 Landesbehörden für „Verfassungsschutz“ keine „Sicherheitslücken“ entstünden. „Auch wenn heute immer wieder die Gefahr terroristischer Anschläge beschworen wird – davor schützt uns kein Verfassungsschutz. Seine gesetzliche Hauptaufgabe besteht darin, Informationen über verfassungsfeindliche Bestrebungen zu sammeln.“ Was „Verfassungsschützer“ darunter verstünden, lasse sich in jedem ihrer Jahresberichte nachlesen. Der VS registriere missliebige politische Auffassungen und denunziere deren Vertreter. „Keine der so genannten terroristischen Aktivitäten hat die Sicherheit von Bund und Ländern oder deren Verfassungsorgane ernsthaft gefährdet.“ Bei „terroristischen“ Taten handle es sich um mehr oder weniger gravierende Straftaten. „Für die Abwehr unmittelbar bevorstehender Gefahren sowie die Aufklärung solcher Gewalttaten ist allein die Polizei zuständig“, so Müller-Heidelberg. Er verweist zudem auf den jährlich von Bürgerrechtsorganisationen herausgegebenen „Grundrechte-Report“, der die Gefährdungen für Demokratie und Verfassungsordnung bilanziere. Diese gingen überwiegend von staatlichen Sicherheitsorganen, anderen Behörden und Wirtschaftsunternehmen aus. „Um Bedrohungen für unsere demokratische Gesellschaft zu erkennen, bedarf es keiner Geheimdienste. Die Expertisen zivilgesellschaftlicher Gruppen und sozialwissenschaftlicher Forschungen sind den Berichten und Lageeinschätzungen der amtlichen „Verfassungsschützer“ deutlich überlegen, wenn es etwa um Diagnose, Analyse und Früherkennung rassistischer Strukturen oder gewaltorientierter Gefahrenlagen geht. Und sie kommen ohne Schnüffeleien und unüberprüfbare Verrufserklärungen aus“, betont der Mitherausgeber des seit 1997 erscheinenden „alternativen Verfassungsschutzberichtes“.

Skandale, Machtmissbrauch und Bürgerrechtsverletzungen als Strukturprobleme

Für Rolf Gössner (Internationale Liga für Menschenrechte) sind die aktuellen Affären um NSU und NSA ein weiterer Beleg dafür, dass Geheimdienste wie der VS strukturell unkontrollierbar sind, skandalträchtig arbeiten und zur Verselbständigung neigen. „Das ist eine große Gefahr für viele Menschen und ihre Bürgerrechte. Unser Memorandum erinnert daran, dass die 63jährige Geschichte des VS eine Geschichte der Skandale und Bürgerrechtsverletzungen ist.“ Gössner stellt klar, dass sich die Kritik am VS nicht etwa gegen sämtliche MitarbeiterInnen richte: „Es geht nicht in erster Linie um individuelles Fehlverhalten oder inkompetente VS-Bedienstete, sondern um intransparente, unkontrollierbare und deshalb demokratiewidrige Arbeitsweisen und Strukturen der VS-Behörden.“ Deshalb würden auch die jetzt laufenden punktuellen Reformbemühungen dem Problem keineswegs gerecht. „Mehr IT-Kompetenz, eine bessere Quellenauswertung und neue Richtlinien zum Aktenumgang sind hilflose und untaugliche Versuche, denn sie lösen weder die strukturelle Blindheit des VS gegenüber den Gefahren von Rechts und aus der Mitte der Gesellschaft noch die im Kern demokratie- und rechtsstaatswidrige Arbeitsweise der Behörde.“ Mit Blick auf die vorgeschlagene Stärkung der Kompetenzen des Bundesamtes warnt Gössner: „Es wäre der Grundstein zum nächsten Skandal, wenn der VS am Ende gestärkt aus dem gewaltigen Desaster, das er selbst angerichtet hat, hervorginge. Ihm sollten schleunigst die nachrichtendienstlichen Mittel und Methoden entzogen werden – damit die Gesinnungskontrolle und das kriminelle V-Leute-Unwesen endlich ein Ende finden.“ Eine Auflösung des geheimdienstlichen VS sei auch mit dem Grundgesetz vereinbar – die Verfassung schreibe keineswegs vor, dass die Behörde mit geheimdienstlichen Kompetenzen auszustatten sei.

Gescheiterte parlamentarische und gerichtliche Kontrollversuche

Der Freiburger Rechtsanwalt Udo Kauß (Humanistische Union) betrachtet sämtliche Versuche einer parlamentarischen wie datenschützerischen Kontrolle des Geheimdienstes als gescheitert. „Am verfassungsschützerischen System der Geheimhaltung, das dem Schutz der V-Leute und anderer Informationsquellen dient, scheitern regelmäßig Justiz, Parlamente und Datenschutzbeauftragte. Jene Behörde, die Verfassung und Demokratie schützen soll, erweist sich damit selbst als demokratische Gefahr, weil sie den Grundprinzipien der Transparenz und Kontrollierbarkeit widerspricht.“ Bezeichnenderweise wurde keiner der Geheimdienstskandale von den Kontrolleuren aufgedeckt. „Die Arbeit der parlamentarischen Kontrollgremien selbst bleibt im Geheimen. Konsequenzen muss der Dienst kaum fürchten – die Kontrolleure dürfen darüber in der Öffentlichkeit nicht reden.“ Als Rechtsanwalt erlebe er immer wieder, wie Gerichtsverfahren, an denen der Verfassungsschutz beteiligt ist, zu Geheimverfahren mutieren. „All das widerspricht rechtsstaatlichen Grundsätzen und ist schlicht demokratiewidrig“, so Kauß. Auch wenn der VS jetzt mit verstärkter Öffentlichkeitsarbeit um mehr Vertrauen in der Bevölkerung werbe, gelte weiterhin: „Ein transparenter, effektiv kontrollierbarer Geheimdienst bleibt ein Widerspruch in sich.“

Memorandum & Informationen

Humanistische Union, vereinigt mit Gustav Heinemann-Initiative, Internationale Liga für Menschenrechte und Bundesarbeitskreis Kritischer Juragruppen (Hg.): Brauchen wir den Verfassungsschutz? NEIN!
Gemeinsames Memorandum von Bürgerrechtsvereinigungen zum Inlandsgeheimdienst „Verfassungsschutz“. 1. Auflage Berlin, Sept. 2013, 84 Seiten, ISBN: 978-3-930416-30-1
Erarbeitet von Dr. Rolf Gössner, Johann-Albrecht Haupt, Dr. Udo Kauß, Dr. Till Müller-Heidelberg und Thomas von Zabern. Mit Unterstützung von: Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung, Chaos Computer Club, digitalcourage e.V., Forum InformatikerInnen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung (FIfF), Komitee für Grundrechte und Demokratie

Die vollständige Textfassung des Memorandums, eine ausführliche Skandal-Chronik sowie weitere Informationen zum Verfassungsschutz finden sich auf der Webseite: http://www.verfassung-schuetzen.de. Für Rückfragen steht Ihnen der Geschäftsführer der Humanistischen Union, Sven Lüders, unter Rufnummer 01520 183 1627 gern zur Verfügung.

Autoren des Memorandums
* Dr. Rolf Gössner, Rechtsanwalt (Bremen), Buchautor (zuletzt: „Geheime Informanten. V-Leute des Verfassungsschutzes: Neonazis im Dienst des Staates“, 2012), Vizepräsident der Internationalen Liga für Menschenrechte und stellv. Richter am Staatsgerichtshof der Freien Hansestadt Bremen; wurde vier Jahrzehnte lang rechtswidrig vom Bundesamt für Verfassungsschutz überwacht und ausgeforscht.
* Johann-Albrecht Haupt, Jurist (Hannover), ehem. Mitglied des Bundesvorstandes der HU.
* Dr. Udo Kauß, Rechtsanwalt (Freiburg), Vorsitzender der Humanistischen Union Baden-Württemberg, Spezialist für Verfahren gegen VS und Polizei, hat u.a. die Beendigung der 40jährigen Beobachtung des Mitverfassers Rolf Gössners durch den Verfassungsschutz erstritten.
* Dr. Till Müller-Heidelberg, Rechtsanwalt (Bingen), langjähriger Bundesvorsitzender der Humanistischen Union. Veröffentlichungen zu Innerer Sicherheit und VS, Sachverständiger bei Bundestag und Landtagen zu Gesetzentwürfen der Inneren Sicherheit und der Terrorismusbekämpfung, erfolgreicher Prozessbevollmächtigter gegen rechtswidrige Beobachtung durch den VS
* Thomas von Zabern, Humanistische Union (Bremen).


 

Links zum bisherigen Presseecho: „Bürgerrechtler fordern Auflösung des Verfassungsschutzes“:
FRANKFURTER RUNDSCHAU: www.fr-online.de/politik/verfassungschutz-gegner-buergerrechtler-wollen-verfassungsschutz-abschaffen,1472596,24390368.html
BERLINER ZEITUNG: www.berliner-zeitung.de/politik/buergerrechtler-fuer-ende-des–verfassungsschutzes-,10808018,24375924.html
WESER-KURIER/BREMER NACHRICHTEN: www.weser-kurier.de/startseite_artikel,-Verfassungsschutz-in-der-Kritik-_arid,666596.html
NEUES DEUTSCHLAND: www.neues-deutschland.de/artikel/833758.buergerrechtler-fordern-aufloesung-des-verfassungsschutzes.html
JUNGE WELT: https://www.jungewelt.de/loginFailed.php?ref=/2013/09-21/049.php
SÜDWEST-PRESSE: www.swp.de/ulm/nachrichten/politik/Buergerrechtsgruppen-wollen-den-Verfassungsschutz-aufloesen;art4306,2214482
SCHWÄBISCHES TAGBLATT: www.tagblatt.de/Home/nachrichten/ueberregional/politik_artikel,-Buergerrechtsgruppen-wollen-den-Verfassungsschutz-aufloesen-_arid,229679.html
hpd-HUMANISTISCHER PRESSEDIENST: http://hpd.de/node/16760
GOLEM.de: www.golem.de/news/nsa-skandal-buergerrechtler-fordern-aufloesung-des-verfassungsschutzes-1309-101719.html

Links zu Pressemitteilungen von Bundestags- und Landtagsfraktionen zur Vorstellung des Memorandums:
BUNDESTAGSFRAKTION BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, MdB Hans-Christian Ströbele: www.stroebele-online.de/show/7144344.html
BUNDESTAGSFRAKTION DIE LINKE, MdB Ulla Jelpke: www.linksfraktion.de/pressemitteilungen/linke-buergerrechtler-fordern-abschaffung-verfassungsschutzes/
LINKSFRAKTION IN DER BREMER BÜRGERSCHAFT: www.linksfraktion-bremen.de/nc/buergerschaft/aktuell/detail/zurueck/aktuell-2/artikel/entbehrlich-schaedlich-unkontrollierbar-buergerrechtsgruppen-stellen-memorandum-zur-abschaffu/
LINKSFRAKTION IM SÄCHSISCHEN LANDTAG: www.linksfraktionsachsen.de/index.php?section=news&cmd=details&newsid=2762&teaserId=6
LINKSFRAKTION IM THÜRINGER LANDTAG: http://bundespresseportal.de/thueringen/item/16001-die-linke-unterst%C3%BCtzt-memorandum-von-b%C3%BCrgerrechtsorganisationen.html
ALLE FRAKTIONEN DER PIRATEN Berlin, NRW,  Saarland und Schleswig-Holstein: http://kompass.im/2013/09/gemeinsame-pm-aller-piratenfraktionen-abschaffung-verfassungsschutz/

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Rolf Gössner: Statement zur Vorstellung des VS-Memorandums in Berlin 20.09.2013

 

Auch in Demokratien sind Geheimdienste wie der ‚Verfassungsschutz’ (VS) undurchschaubare, nicht kontrollierbare Institutionen, die skandalgeneigt arbeiten, die systembedingt zu Verselbstständigung, zu Eigenmächtigkeit und Machtmissbrauch neigen und damit eine große Gefahr für viele Menschen und ihre Bürgerrechte darstellen. Die NSU- und NSA-Affären sind neuere Belege für diese strukturelle Problematik. Tatsächlich lässt sich die 63jährige Geschichte des „Verfassungsschutzes“ auch als Geschichte von Skandalen und Bürgerrechtsverletzungen schreiben.

In Wirklichkeit trägt der „Verfassungsschutz“ einen euphemistischen Tarnnahmen. Denn gerade in seiner Ausprägung als Inlandsgeheimdienst ist der VS, der ja Verfassung und Demokratie schützen soll, selbst Fremdkörper in der Demokratie. Warum? Weil er demokratischen Grundprinzipien der Transparenz und Kontrollierbarkeit widerspricht. Vor allem sein V-Leute-System hat sich als unkontrollierbar und erhebliches Gefahrenpotential für Bürgerrechte und Rechtsstaat erwiesen: V-Leute etwa in Neonaziszenen sind mitnichten Agenten des demokratischen Rechtsstaates, sondern staatlich alimentierte Nazi-Aktivisten – zumeist gnadenlose Rassisten und Gewalttäter, über die sich der VS heillos in kriminelle Machenschaften verstrickt. Wie sich auch im Zuge der NSU-Mordserie zeigte, deckt der VS seine kriminellen VLeute oft genug und schirmt sie systematisch gegen polizeiliche Ermittlungen ab, um sie weiter abschöpfen zu können – anstatt sie sofort abzuschalten. Niemals sind dafür VS-Verantwortliche zur Rechenschaft gezogen worden, selbst wenn Unbeteiligte schwer geschädigt wurden (vgl. Gössner, Geheime Informanten, 2003/2012).

Das Geheimhaltungssystem des VS, etwa zum Schutz seiner V-Leute, umschlingt zwangsläufig auch Justiz und Parlamente, die ihn kontrollieren sollen und zumeist daran scheitern. Die reguläre parlamentarische Kontrolle erfolgt ihrerseits im Geheimen; und Prozesse, in denen etwa V-Leute eine Rolle spielen, mutieren tendenziell zu Geheimverfahren. All dies widerspricht rechtsstaatlichen Grundsätzen und ist schlicht demokratiewidrig.“

Zum Schluss ein kurzer Ausblick: An dem Befund eines strukturellen Kontrolldefizits werden bloße Reformen und Kontrollverbesserungen, wie sie derzeit verfolgt werden, nicht viel ändern. Denn ein transparenter, effektiv kontrollierbarer Geheimdienst ist und bleibt ein Widerspruch in sich. Bei den meisten offiziellen Reformplänen handelt es sich im Kern um Modernisierungs-, Verschlankungs-, Vernetzungsund Zentralisierungsmaßnahmen; sie wagen sich jedenfalls nicht an die Ursachen, nicht an die Geheimsubstanz des VS, sondern zielen darauf ab, die systembedingte Skandalträchtigkeit geheimdienstlicher Arbeit zu verringern, die nicht überprüfbare „Effizienz“ zu steigern, das gehörig erschütterte Vertrauen der Bevölkerung zurückzuerobern.

Es wäre u.E. ein erneuter Skandal, wenn der VS gestärkt aus dem gewaltigen Desaster hervorginge. Spätestens jetzt – nach NSU und NSA – sollte klar geworden sein, dass solchen freiheitsschädigenden, demokratiewidrigen Geheiminstitutionen schleunigst die geheimen Mittel und Strukturen entzogen werden müssen – und damit die Lizenz zur Gesinnungskontrolle, zum Führen von V-Leuten und zum Infiltrieren. Solchen Überlegungen steht nicht etwa das Grundgesetz entgegen. Denn danach muss der VS eben keineswegs als Geheimdienst ausgestaltet sein.

Dr. Rolf Gössner, Rechtsanwalt (Bremen), Buchautor (zuletzt: „Geheime Informanten. V-Leute des Verfassungsschutzes: Neonazis im Dienst des Staates“, München 2012), Vizepräsident der Internationalen Liga für Menschenrechte (www.ilmr.de) und stellv. Richter am Staatsgerichtshof der Freien Hansestadt Bremen; wurde vier Jahrzehnte lang rechtswidrig vom Bundesamt für Verfassungsschutz überwacht und ausgeforscht. Internet: www.rolf-goessner.de

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Zentrale Thesen aus dem „Verfassungsschutz“-Memorandum

THESEN

1. Eine demokratische Gesellschaft lebt von der Meinungsvielfalt. Radikale Auffassungen und Bestrebungen (die von den vorherrschenden Meinungsbildern abweichen) sind deshalb nicht nur zulässig, sondern auch wünschenswert – solange die Grenzen zur Strafbarkeit bzw. zu gewalttätigem Handeln nicht überschritten werden. Staatliche Behörden dürfen derartige Äußerungen weder als „verfassungsfeindliche“ oder „extremistische“ Bestrebungen abqualifizieren, beobachten oder gar verfolgen. Wir brauchen kein staatliches „Frühwarnsystem” zur Beobachtung derartiger Auffassungen und Bestrebungen.

2. Geheimdienstlicher Verfassungsschutz ist schädlich, wie auch die zahlreichen Verfehlungen und Skandale in der Geschichte der Bundesrepublik zeigen. Es handelt sich dabei nicht um zufällige, persönliche oder vermeidbare Fehler, sondern systematisch bedingte Mängel eines behördlichen und geheimdienstlichen „Verfassungsschutzes“.

3. Die gesetzlichen Aufgaben der Verfassungsschutzbehörden sind überflüssig. Bei ihrem Wegfall entsteht keine Sicherheitslücke. Eine Aufgaben- und Befugnisüberleitung von den Verfassungsschutzbehörden auf die Polizei ist daher nicht erforderlich. Der Schutz vor Gewalt und Straftaten obliegt der Polizei, der Staatsanwaltschaft und den Gerichten.

4. Eine Kontrolle geheim arbeitender Verfassungsschutzbehörden, die rechtsstaatlichen und demokratischen Ansprüchen genügt, ist nicht möglich. Auch Kontrollverbesserungen sind untauglich: ein transparenter, voll kontrollierbarer Geheimdienst ist ein Widerspruch in sich.

5. Die Verfassungsschutzbehörden sind ersatzlos abzuschaffen – allein schon deshalb, um nicht in Zeiten knapper Kassen und in Beachtung der verfassungsrechtlichen Schuldenbremse jährlich eine halbe Milliarde Euro für überflüssige, ja schädliche Behörden auszugeben. Es bedarf auch keiner ersatzweisen, mit offenen Quellen arbeitenden staatlichen Informations- und Dokumentationsstelle über extremistische Bestrebungen. Das Problem besteht nicht in einem mangelnden Wissen über radikale, bisweilen auch menschenverachtende Meinungen und Haltungen in unserer Gesellschaft. Die Auseinandersetzung darüber muss mit politischen, demokratischen Mitteln geführt werden; sie ist innerhalb der Gesellschaft zu führen.

Humanistische Union, Internationale Liga für Menschenrechte, Bundesarbeitskreis Kritischer Juragruppen (Hg.),
Brauchen wir den Verfassungsschutz? Nein! Gemeinsames Memorandum.
1. Auflage Berlin, Sept. 2013, 84 Seiten, ISBN: 978-3-930416-30-1
Zu beziehen über die Humanistische Union: Greifswalder Str. 4, 10405 Berlin, www.humanistische-union.de

 

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Die vollständige Textfassung des Memorandums, eine ausführliche Skandal-Chronik sowie weitere Informationen zum Verfassungsschutz finden sich auf der Webseite:
http://www.verfassung-schuetzen.de   (darin auch die Möglichkeit, einen Aufruf zur Auflösung des „Verfassungsschutzes“ zu unterzeichnen)
sowie unter: http://ilmr.de/2013/memorandum-brauchen-wir-den-verfassungsschutz-nein