Meinungs- und Versammlungsfreiheit für Abschiebegegner!
Liga-Vizepräsident Rolf Gössner beobachtet
Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht
in Karlsruhe am Dienstag, 23. November 2010, ab 10 Uhr
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Flughafen Frankfurt nicht grundrechtsfreier Raum
Die Internationale Liga für Menschenrechte beobachtet dieses Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht, weil es um eine Grundsatzfrage der rechtsstaatlichen Verfasstheit der Bundesrepublik geht: Darf auf einem Flughafen, von dem aus jedes Jahr Tausende Menschen – oft gewaltsam – abgeschoben werden, protestiert und über mögliche Menschenrechtsverletzungen informiert werden? Oder: Sind private Flughafenbetreiber als „Herren des Hauses“ berechtigt, zivilgesellschaftliche Protest- und Aufklärungsaktionen durch Hausverbote und Strafanzeigen zu unterbinden?
Zum Hintergrund: Durch Informationen und Interventionen des „Aktionsbündnisses Rhein-Main gegen Abschiebungen“ konnten mitunter problematische Abschiebungen auf dem Flughafen Frankfurt/M. verhindert werden. Die Bündnismitglieder klärten vor Ort über die menschenrechtswidrigen Umstände auf, informierten Flugpassagiere, Piloten und Stewardessen über die Betroffenen, die gegen ihren Willen gewaltsam abgeschoben werden sollten und vor allem auch über die Menschenrechtssituation in den jeweiligen Zielländern.
Doch seit 2003 überzieht der private Flughafenbetreiber die Aktivisten mit Hausverboten und Strafanzeigen. Dieses Vorgehen ist inzwischen in dritter Instanz vom Bundesgerichtshof (BGH) mit Urteil vom 20.01.2006 abgesegnet worden.
Begründung: Die Fraport AG als Flughafenbetreiberin sei aufgrund ihres Hausrechts berechtigt gewesen, gegenüber der Klägerin ein Hausverbot auszusprechen. Die Fraport AG müsse, unter Berücksichtigung der Grundrechte der Klägerin, Proteste und Versammlungen nicht dulden, die geeignet seien, den Flughafenbetrieb zu stören.
Diese Entscheidung bedeutet eine unverhältnismäßige Einschränkung der Grundrechte auf Flughafengelände und die Möglichkeit, Abschiebegegner bei der Wahrnehmung ihrer Grundrechte wegen „Hausfriedensbruchs“ zu kriminalisieren. Nachdem die betroffene Abschiebegegnerin aus Frankfurt/M. Verfassungsbeschwerde einlegte, geht das Verfahren jetzt in die nächste, entscheidende Runde vor dem Bundesverfassungsgericht.
Dazu Liga-Vizepräsident Rolf Gössner, der das Verfahren für die Liga vor dem Bundesverfassungsgericht beobachten wird: „Unter Verweis auf das private Hausrecht einer Aktiengesellschaft hat der Bundesgerichtshof die staatliche Abschiebepraxis, die nicht selten mit Menschenrechtsverletzungen verbunden ist, zulasten der Grundrechte der Abschiebegegnerin juristisch abgesichert. Das ist umso schwerer nachzuvollziehen, als die Fraport AG, auf deren Flughafengelände sich jährlich Millionen von Personen bewegen, sich überwiegend in öffentlicher Hand befindet und im Zusammenhang mit Abschiebungen auch hoheitliche Aufgaben unterstützt.“
Nach Auffassung der Betroffenen und des „Aktionsbündnisses Rhein-Main gegen Abschiebungen“ müsse es möglich sein, an Orten zu demonstrieren und aufzuklären, an denen Menschenrechtsverletzungen angebahnt oder begangen werden. Tatsächlich geht es nach Auffassung von Rolf Gössner bei der Verfassungsbeschwerde um eine Grundsatzfrage:
„Ist es mit den Prinzipien einer rechtsstaatlich verfassten Demokratie vereinbar, dass öffentlich genutzter Raum in Privatgelände umdefiniert wird, wo dann elementare Grundrechte die Meinungs- und Versammlungsfreiheit – drastisch eingeschränkt, ja regelrecht suspendiert werden können? Kann sich eine Demokratie solche grundrechtsfreien Räume leisten – zumal, wenn in diesen heikle hoheitliche Aufgaben wahrgenommen werden?“
Die Abschiebepraxis verstößt auf dem größten Abschiebeflughafen Deutschlands immer wieder eklatant gegen Menschenrechte von Flüchtlingen. Wie wichtig und legitim Aufklärung und Proteste gerade dort sind, hatten Aktionen etwa gegen die Abschiebung der Iranerin Zarah Kameli im Februar 2005 gezeigt, die nach der Verhinderung ihrer Abschiebung in den Verfolgerstaat Iran ein Bleiberecht in Deutschland erhielt.
Am Dienstag, 23.11., wird ab 10 Uhr vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe darüber verhandelt, ob das Urteil des Bundesgerichtshofs Bestand hat oder nicht. Eine Bestätigung des Urteils wäre eine schwere Niederlage für die Meinungs- und Versammlungsfreiheit auf Flughäfen, die dann willkürlich zu quasi grundrechtsfreien Räumen erklärt werden könnten. Der legitime Protest gegen staatliche Abschiebemaßnahmen und drohende Menschenrechtsverletzungen vor Ort würde damit weiter kriminalisiert und unterbunden.