Liga: Für eine friedliche Lösung der kurdischen Frage in der Türkei müssen sich alle beteiligten Seiten bewegen
Interview mit ROLF GÖSSNER in kurdischer Tageszeitung:
Rechtsanwalt Dr. Rolf Gössner, Vizepräsident der Internationalen Liga für Menschenrechte, fordert die Europäische Union (EU) dazu auf, sich im Zuge der Beitrittsverhandlungen mit der Türkei endlich aktiv für die Lösung der kurdischen Frage einzusetzen;
dabei trage vor allem auch die Bundesrepublik besondere Verantwortung: Mit ihrem hohen Anteil türkischer und kurdischer Bewohner sei sie gefordert, endlich politische Initiativen zu ergreifen und den offenen und kritischen Dialog mit der kurdischen Seite auf EU-Ebene und hierzulande zu fördern – „und zwar ohne Stigmatisierung, Kriminalisierung, Ausgrenzung und Berührungsängste, wie wir sie leider immer noch erleben“.
Rolf Gössner beantwortet in einem Interview der kurdischen Tageszeigung YENI ÖZGÜR POLITIKA vom Wochenende Fragen nach den Voraussetzungen einer Friedenslösung in der Türkei. Er unterstreicht, dass es hierfür eines mehrheitsfähigen politischen Willens bedürfe und dass sich alle beteiligten Seiten – der türkische Staat und die türkische Zivilgesellschaft sowie die kurdische Seite und die PKK – bewegen müssten, um einen ernsthaften Dialog in Gang zu setzen. Zu den Voraussetzungen gehören nach seiner Auffassung ein „Ende aller militärischen Operationen, ein Ende der Kriminalisierung von Kurden und ihrer Organisationen sowie die Auflösung des Dorfschützersystems“. Alle an dem Konflikt Beteiligten müssten erkennen, dass dieses Problem letztlich nicht militärisch zu lösen sei und dass militärische Operationen alle Bemühungen konterkarierten, die kurdische Frage im Verhandlungswege ernsthaft und mit friedlichen Mitteln zu lösen.
Die Internationale Liga für Menschenrechte hält die kurdische Frage, überhaupt die Minderheitenfrage sowie die Menschenrechtsfrage für die Schlüsselfragen eines EU-Beitritts der Türkei. Dabei gehe es, so Gössner, nicht zuletzt um eine gesamteuropäische Aufgabe. An dem Dialog, für den es gegenwärtig wieder Hoffnung gebe, müssten auch Repräsentanten der betroffenen Minderheiten beteiligt werden, wenn man eine ernsthafte demokratische Lösung finden wolle.
Die Internationale Liga für Menschenrechte sieht in einem tragfähigen Amnestie-Angebot für die direkt und indirekt Beteiligten an den kriegerischen Auseinandersetzungen eine wesentliche Bedingung für eine Friedenslösung in der Türkei – ebenso in Wiedereingliederungshilfen für (ehemalige) Kämpfer sowie Mitglieder der PKK. Darüber hinaus müsse die Entlassung und Rehabilitierung politischer Gefangener auf der Agenda eines jeden Dialogs stehen sowie die Aufklärung aller extralegalen Akte des „Verschwindenlassens“ und Tötens von Menschen in der Türkei. Um eine offensive Auseinandersetzung mit dem türkisch-kurdischen Konflikt und seinen Folgen zu erzielen sowie die Aufarbeitung der von beiden Seiten begangenen Verbrechen sei an die Einrichtung einer Wahrheits- und Gerechtigkeitskommission nach dem Vorbild Südafrikas zu denken.
http://www.yeniozgurpolitika.org/?bolum=haber&hid=47273
Abdruck der vorstehenden Erklärung ist frei (s. auch Original der Presseerklärung als pdf im Anhang).
Nachdruck des gesamten Interviews (siehe pdf-Anlage 2 auf deutsch, pdf 3 auf türkisch), auch im Internet, nur mit Genehmigung.