Internationale Liga für Menschenrechte

Internetpräsenz der Internationalen Liga für Menschenrechte

Aktion „Steine des Anstoßes“ (die Reden)

Begrüßungsrede

Wahied Wahdathagh,
Präsident der Internationalen Liga für Menschenrechte

Sehr geehrter Herr Koschnick, sehr geehrte Frau Rosenberg, sehr geehrte Damen und Herren,

hiermit begrüße ich Sie ganz herzlich zur siebten Aktion „Steine des Anstoßes“, der symbolischen Errichtung eines Mahnmals für die vom Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma Europas.

Ich möchte meine Begrüßungsrede mit einem Zitat von Hermann Langbein beginnen:
„Auschwitz ist das Symbol für die Ermordung von Menschen in Gaskammern, nur weil sie als Sinti, Roma oder Juden auf die Welt gekommen sind. Das ist die härteste Anklage, das darf am wenigsten vergessen werden.“

Sehr geehrte Damen und Herren,
vom Anbeginn der Nationalsozialistischen Diktatur wurden Sinti und Roma misshandelt und in die ersten Konzentrationslager verschleppt. Tausende Mitarbeiter im Propagandaapparat unter Joseph Goebbels kontrollierten die öffentliche Meinung in Deutschland. Neben den Medien Rundfunk und Film wurde auch die gleichgeschaltete Presse zum zentralen Instrument der NS-Propaganda, die gezielt Hetzkampagnen gegen die Sinti und Roma führte. Ihre systematische Kriminalisierung sollte dazu beitragen die Verfolgungsmaßnahmen zu rechtfertigen. Somit legte die nationalsozialistische „Rassenpolitik“ beispielsweise fest, dass Sinti und Roma nur zu festgesetzten Zeiten und in wenigen ausgewählten Geschäften einkaufen durften. Vielerorts wurde ihnen der Besuch von Lokalen, Kinos oder Theatern untersagt.

Ohne jede rechtliche Grundlage wurden Sinti und Roma in „Schutzhaft“ genommen und in Konzentrationslager gesteckt. Es war die SS, die ab Sommer 1934 die alleinige Kontrolle über die Konzentrationslager hatte. SS-Totenkopfverbände übernahmen die Bewachung der KZ-Häftlinge. Neben Terror und Vernichtung gehörte die Zwangsarbeit zum bestimmenden Element der KZ-Haft.

Im September 1939 wurde das „Reichssicherheitshauptamt“ gegründet. Diese Zentrale des SS-Staates war verantwortlich für die Verfolgung und Vernichtung von Millionen Menschen. Fast alle Amtsgruppen des „Reichssicherheitshauptamtes“ waren am bürokratisch organisierten Völkermord an den Sinti und Roma beteiligt. Der oberste Vollstrecker des Völkermordes an Sinti, Roma und Juden war der Reichsführer SS und Chef der Deutschen Polizei, Heinrich Himmler, der über einen grausamen Verfolgungs- und Mordapparat verfügte. Auch folgende Namen sollten nicht in Vergessenheit geraten: Reinhard Heydrich, Chef der Sicherheitspolizei und Leiter des neu gegründeten „Reichssicherheitshauptamtes“. Heydrich war maßgeblich an der Planung und Durchführung der gegen Sinti und Roma gerichteten Vernichtungspolitik beteiligt. Adolf Eichmann gestand selbst bei seinem Prozess in Jerusalem, nicht nur für die Deportationen von Juden verantwortlich zu sein, sondern auch die Deportationen der Sinti und Roma in Konzentrationslager im besetzten Polen organisiert zu haben. In unregelmäßigen Abständen folgten mehrere Deportationswellen. Ab Sommer 1942 begannen die systematischen Massendeportationen von Juden und Sinti und Roma aus allen von den Deutschen besetzten Gebieten in die Vernichtungslager in Polen. Während des Kampfes um Stalingrad wurden die Deportationen ausgesetzt. Diese wurden Anfang 1943 wieder aufgenommen und auf die südeuropäischen Länder ausgedehnt. In „Todesmärschen“ wurden die Menschen von einem KZ in das andere KZ geführt. Die Deportationen verfolgten das Ziel der sogenannten „völkischen Flurbereinigung“ zu-nächst Deutschlands und dann Europas. Nach dem Überfall auf die Sowjetunion im Juni 1941 fiel Heinrich Himmler die Aufgabe zu, die Ausrottungspläne in die Tat umzusetzen. Mordkommandos der SS durchkämmten die Gebiete hinter der Front systematisch nach Roma, Sinti und Juden, die an Ort und Stelle umgebracht wurden. Neben der Polizei beteiligte sich auch die Wehrmacht an der rassistischen Vernichtungspolitik. Die vor dem Überfall auf die Sowjetunion gebildeten „Einsatzgruppen“ erhielten den Auftrag, direkt hinter der deutschen Front alle sogenannten „rassisch und politisch unerwünschten Elemente“ umzubringen. Die militärischen Erfolge der Wehrmacht verlängerten den Arm dieser Mordkommandos und ermöglichten erst die Realisierung der Ausrottungspolitik. Als Teil der „Endlösung“ ordnete Heinrich Himmler am 16. Dezember 1942 an, alle noch im Reichsgebiet verbliebenen Sinti und Roma nach Auschwitz zu deportieren, mit dem Ziel, sie fabrikmäßig zu ermorden.

Nicht unerwähnt sollte Arthur Nebe bleiben, der als Leiter der „Einsatzgruppe B“ unmittelbar verantwortlich für die Ermordung Tausender Sinti und Roma war. Als letztes Beispiel soll Otto Ohlendorf benannt werden, der als Kommandeur der „Einsatzgruppe D“ in der Ukraine und auf der Krim tausende von Sinti und Roma ermorden ließ.

In vielen Konzentrationslagern und Vernichtungslagern führten SS-Ärzte medizinische Versuche an Sinti- und Roma-Häftlingen durch.

Es soll auch nicht vergessen werden, dass sich Sinti und Roma von Anfang an gegen ihre Ent-rechtung und gegen ihre rassistische Erfassung zur Wehr setzten. Innerhalb der Konzentrationslager leisteten Sinti und Roma vielfältigen Widerstand. Ein Höhepunkt war der Aufstand der Sinti und Roma im Lagerabschnitt BIIe von Auschwitz-Birkenau. Als die SS dort am 16.Mai 1944 die noch lebenden Sinti- und Roma-Häftlinge in den Gaskammern ermorden wollte, bewaffneten diese sich mit Steinen und Werkzeugen, auch wenn sie keine Chance hatten.

Die Zahl der Sinti und Roma, die Opfer des Holocaust wurden, ist mit 500 000 beziffert. Der volle Umfang der NS- Verbrechen an Sinti und Roma ist nie wirklich aufgearbeitet worden. Die Anerkennung der rassistisch begründeten Verfolgung und erst recht der am 16.12. 1942 beschlossenen Endlösung auch für diese Minderheit erfolgte durch die Bundesregierung erst fünfunddreißig Jahre nach Beendigung der NS- Herrschaft, Anfang der 80er Jahre. Die Entschädigung war spärlich. Für viele kam sie zu spät. Die meisten Überlebenden hierzulande mussten sich entwürdigenden Verfahren unterziehen.

Die noch lebenden Roma in Osteuropa wurden gar nicht einbezogen. Nach wie vor muss selbst der Zentralrat der Deutschen Sinti und Roma gegen seine Ausgrenzung aus den Verhandlungen über Entschädigungen der Opfer durch Wirtschaft und Staat kämpfen.

Vor diesem Hintergrund errichtet die Internationale Liga für Menschenrechte mit Ihnen zusammen hier und heute zum siebten Mal ein symbolisches Mahnmal für die Sinti und Roma, die Opfer des nationalsozialistischen Völkermordes in Europa wurden. Und wir versprechen, diese Aktion weiterhin jedes Jahr am 2. Sonntag im September solange durchzuführen, bis das Mahnmal endlich errichtet ist !

Wir fordern die Bundesregierung und die Landesregierung auf, das beschlossene Mahnmal nun endlich zügig zu errichten und den Bau nicht länger hinauszuzögern!

Meine Damen und Herren,
die Diskriminierung und Verfolgung der Sinti und Roma Europas ist leider nicht nur eine Sache der Vergangenheit. Leider ist in allen Ländern Europas die Ausgrenzung und Diskriminierung von Sinti und Roma bis hin zu rassistischen Übergriffen und Mordanschlägen sehr stark angewachsen.

Alle internationalen Beobachter berichten seit Langem übereinstimmend, dass die Lage im Kosovo nach wie vor von gewalttätigen Versuchen der ethnischen Vertreibung der verbliebenen Roma geprägt ist. Im Kosovo sind Roma tagtäglich Gefahren für Leib und Leben ausgesetzt! Wir können deshalb nicht nachvollziehen, wie die Innenminister von Bund und Ländern am 6. Juni 2002 die Abschiebung von Roma-Flüchtlingen in den Kosovo und in die Nachfolgestaaten Jugoslawiens beschließen konnten!

Die Internationale Liga für Menschenrechte fordert ein humanitäres Bleiberecht für Roma und damit einen sofortigen Abschiebestopp für Roma und andere Minderheitenangehörige aus dem ehemaligen Jugoslawien. Die Internationale Liga für Menschenrechte befürwortet weiterhin eine wirksame Altfallregelung, die den Betroffenen eine sinnvolle Lebensperspektive gibt. Die Internationale Liga für Menschenrechte solidarisiert sich damit auch mit den Protesten der etwa 500 Roma, die seit dem 27. April mit bundesweiten Demonstrationszügen auf ihre bedrängte Lage aufmerksam machen. Auch wenn die Innenministerkonferenz in Bremerhaven die Abschiebung der Roma in das ehemalige Jugoslawien beschlossen hat, sind wir der festen Überzeugung, dass dieser Beschluss der tatsächlichen Lage der Roma in Serbien, Montenegro und dem Kosovo mitnichten gerecht wird. Wir setzen uns für das Recht der Roma ein, nach zehn Jahren in ihrer neuen Heimat Deutschland leben zu dürfen. Eine Abschiebung von Kindern, von denen viele in Deutschland geboren wurden, und von Jugendlichen bedeutet, diese neue Generation in eine Situation absoluter Perspektivlosigkeit zu stoßen.

Und wir fragen, welche Signalwirkung auf unsere Gesellschaft es hat, wenn die Innenminister erklären, es gäbe dort keine signifikanten Gefahren mehr für die Flüchtlinge !

Meine Damen und Herren,
die deutsche Vergangenheit erfordert ein Mahnmal zur Erinnerung an die Verbrechen an den Sinti und Roma Europas während der Zeit des Nationalsozialismus.

Die Gegenwart verlangt das Mahnmal, weil Sinti und Roma in unserer Gesellschaft und in Europa auch heute noch Diskriminierung, Verfolgung und Ermordung erleiden müssen.

Ich danke Ihnen.

Petra Rosenberg
Landesverband Deutscher Sinti und Roma Berlin-Brandenburg e.V.

Sehr geehrter Herr Koschnick, sehr geehrter Herr Wahdatagh, sehr geehrte Damen und Herren,

im Nationalsozialismus wurden hunderttausende Sinti und Roma ermordet.

In Deutschland haben es die Nationalsozialisten fast geschafft, unser Volk vollständig auszulöschen. Nur wenige haben überlebt.

Heute, 57 Jahre nach der Befreiung der nationalsozialistischen Konzentrations- und Vernichtungslager, sehen wir uns immer noch mit der Situation konfrontiert, daß es in der ehemaligen Reichshauptstadt Berlin keinen zentralen Ort der Erinnerung für die von den Nationalsozialisten ermordeten Sinti und Roma gibt.

Die Aussonderung und fabrikmäßige Ermordung der Sinti und Roma fand allein aus sog. rassischen Gründen statt. Daß diese historische Tatsache von der deutschen Öffentlichkeit auch heute nicht als Selbstverständlichkeit angesehen wird, hat die langwierige, von Kontroversen und teilweise respektlosen Argumentationen geprägte Debatte um das Mahnmal gezeigt.

Um so mehr begrüßen wir es heute, daß der Berliner Senat und die Bundesregierung nach jahrelangem zähen Ringen einen gemeinsamen Konsens zur Errichtung des Mahnmals erzielt haben. Doch hat auch diese politische Konsensfindung gezeigt, wie wichtig es immer wieder ist, daß die politischen Entscheidungsträger mit konkreten Forderungen konfrontiert werden. Die Konsensfindung ist nicht zuletzt auf die langjährige Überzeugungsarbeit des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma zurückzuführen.

Ich begreife den heutigen Tag und die sich zum siebten Mal jährende Aktion der Internationalen Liga für Menschenrechte „Steine des Anstoßes“ auch als einen wesentlichen Beitrag zu diesem langwierigen Diskussionsprozeß.

An dieser Stelle möchte ich mich noch einmal im Namen des Landesverbandes Deutscher Sinti und Roma bei der Internationalen Liga für Menschenrechte und bei all denjenigen, die unsere Forderungen nach einem Denkmal durch diese Aktionen seit Jahren tatkräftig unterstützt haben, bedanken.

Jetzt geht es in unserer Arbeit nicht mehr um den Kampf um ein Mahnmal überhaupt. Es gilt darauf zu achten, daß einmal gemachte Zusagen auch eingehalten werden!

Meine Damen und Herren, ein Mahnmal, so könnte man einwenden, sei für die nachfolgende Generation nicht von Bedeutung.

Von Bedeutung sei ebenfalls nicht, daß Schüler in Gedenkstätten und an Mahnmalen um ihnen persönlich unbekannte Menschen trauern.

Von Bedeutung sei statt dessen, daß ihnen die von Leid und Verfolgung geprägten Schicksale der Menschen nahegebracht werden und daß sie diese mit ihrem eigenen, alltäglichen Erleben in Bezug setzen.

Diese Einwände sind sicherlich nicht falsch. Dennoch bin ich der Überzeugung, daß es insbesondere in der heutigen, von Rechtsradikalismus, Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus und Antiziganismus geprägten Zeit besonders wichtig ist, sichtbare Zeichen zu setzen.

Der heutige symbolische Akt setzt ein solches Zeichen – und dieses Mahnmal wird ein Zeichen von Dauer sein.
Ich bin sicher, daß es Fragen aufwerfen wird. Vielleicht fragt ein Schüler, der das Mahnmal gesehen hat, am nächsten Tag seinen Lehrer, warum er in der Schule bisher nichts über das Schicksal der Sinti und Roma erfahren hat.

Daß Mahnmale und Denkmäler als wichtige Zeichen der gesellschaftlichen Erinnerung angesehen werden, zeigt auf negative Art leider auch immer wieder ihre Zerstörung durch rechtsextreme Gewalttäter. Der Brandanschlag auf das „Museum des Todesmarsches“ in Wittstock ist nur das aktuellste der vielen traurigen Beispiele der letzten Jahre. Neben Anschlägen auf Mahnmale, Gedenkstätten und jüdische Friedhöfe gehören rassistische Anschläge auf Einzelpersonen oder Gruppen nach wie vor zum traurigen Alltag der Bundesrepublik. So werden wir durch die Ereignisse in Wittstock an die vielen Übergriffe und Anschläge vergleichbarer Art und nicht zuletzt an die zehn Jahre zurückliegenden pogromartigen Ausschreitungen in Rostock-Lichtenhagen erinnert.

Als Tochter von Otto Rosenberg, der Auschwitz überlebt hat, sind für mich Bilder von Hakenkreuz-Schmierereien auf Mahnmalen kaum zu ertragen. Wie müssen sich erst die Überlebenden fühlen?

Auch an die Haustür meines Vaters wurden kurz vor seinem Tod im letzten Jahr Hakenkreuze und SS-Runen geschmiert.

An dieser Stelle richte ich einen dringenden Appell an die Verantwortlichen im Bundesparlament, in der Bundesregierung, in den Landesparlamenten und an sämtliche demokratische Parteien: Seien Sie sich bewußt, daß unser demokratisches Rechtssystem in Gefahr gerät, zerstört zu werden. Freiheit- und Menschenwürde sind keine abstrakten Werte. Vielmehr gilt es, sie jeden Tag aufs Neue zu verteidigen. Eine Verharmlosung von Rassismus und fremdenfeindlichen Aktionen muß als das erkannt werden, was sie ist: eine Gefahr für unser demokratisches Zusammenleben. Dem rassistischen Terror muß endlich ein Ende gesetzt werden!

Aus einer Anfang September vorgestellten Studie zu Antisemitismus und Ausländerfeindlichkeit geht hervor, daß Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit insbesondere in Westdeutschland dramatisch zugenommen haben. Bereits aus älteren Studien wissen wir, daß Vorurteile gegen sog. Zigeuner stets noch weiter verbreitet waren und tief in der Vorstellungswelt der Mehrheitsgesellschaft verankert sind.

Die rechtsextremen Anschläge und Morde der letzten Jahre haben uns eindringlich vor Augen geführt, daß Rassismus, Antisemitismus und Antiziganismus nach 1945 keinesfalls ein Ende gefunden haben. Auch in der aktuellen Debatte um die drohende Abschiebung mehrerer hundert Roma aus dem ehemaligen Jugoslawien hat sich gezeigt, daß diese Tatsachen auch heute eine nicht zu unterschätzende Gefahr für unsere Zivilgesellschaft und unsere Demokratie darstellen.

Diese Menschen haben seit mehreren Monaten mit Demonstrationen auf ihre, im Falle der Verweigerung des Bleiberechts in der Bundesrepublik, lebensbedrohliche Situation aufmerksam gemacht. Damit haben sie zu einem demokratischen Mittel gegriffen. Als sie jedoch auf ihrem friedlichem Demonstrationszug durch mehrere Städte in die Bundeshauptstadt kamen, wurden sie von Berliner Polizisten in Kampfanzügen und Hunden in einer Art und Weise drangsaliert, die gerade bei den alten Menschen die Erinnerung an die NS-Verfolgung wachrief.

Bereits im Juni 1999 hat der Vorsitzende des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma, Romani Rose, an den Bundesaußenminister, an den US-Botschafter bei der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa sowie an den Vertreter der Hohen Flüchtlingskommission appelliert, die Roma-Minderheit des Kosovo mit Sofortmaßnahmen zu schützen und gefordert, daß beim Aufbau des Verwaltungs- und Rechtssystems im Kosovo von Beginn an die Minderheitenrechte der seit jeher in diesem Land beheimateten ca. 150.000 Roma gesichert werden müßten. Dazu gehört auch die Verwirklichung des „Rahmenübereinkommens des Europarates zum Schutz nationaler Minderheiten“ und der „Europäischen Charta für Minderheitensprachen“.

Jedoch haben die Reaktionen einiger Politiker auf die aktuellen Proteste der Roma deutlich gezeigt, wie wenig Bereitschaft seitens der Politik besteht, sich ernsthaft mit den berechtigten Anliegen der Roma auseinander zu setzen. Nicht mit den Problemen, die die Roma gezwungen haben, auf die Straße zu gehen, wollte man sich befassen. Vielmehr es ging darum, ein vermeintliches Roma-Problem ‚àí ein sog. Zigeunerproblem zu lösen. Das Herbeireden eines „Zigeuner-Problems“ jedoch durchzieht die Verfolgungsgeschichte der Sinti und Roma wie der sprichwörtliche rote Faden. Immer jedoch waren es Probleme der Mehrheitsgesellschaft, die diese auf die Minderheit projizierte.

Wir Sinti und Roma kennen die von dem Slogan „zigeunerfrei“ ausgehende Bedrohung für unser Leben. Hunderte von Erlassen und Gesetzen wurden für das Erreichen dieses menschenverachtenden Ziels geschrieben, die Landwehr mobilisiert und die Mehrheitsbevölkerung aufgehetzt.

Die gegenwärtigen Verhältnisse sind nicht mit den damaligen gleichzusetzen. Doch es gilt, zu erkennen, daß die Vorstellung vom ungleichen Wert, von ungleichen Lebensrechten der Menschen bis heute tief im Denken von zu vielen Menschen verankert ist.

Das Gedenken an die Opfer des Holocaust ist von großer Bedeutung. Für sich allein jedoch reicht es nicht aus. Wir müssen damit die tagtägliche Verpflichtung verbinden, gegen jede Form von Diskriminierung und rassistischer Gewalt aktiv zu werden! Nicht abstraktes Gedenken hilft heute den von Ausgrenzung, Diskriminierung, Abschiebung und Mord Bedrohten. Erst wenn es gelingt, Menschen dafür zu sensibilisieren, sich tagtäglich und mit gemeinsamen Aktionen gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit zur Wehr zu setzen, kann wirkliche Demokratie zum Alltag werden. Unser Ziel muß es sein, zu verhindern, daß sich das Unheil, das hunderttausende Leben zerstörte, nicht wiederholt. Nur so werden wir dem Vermächtnis unserer Toten gerecht.

Ich danke Ihnen und übergebe das Wort an Herrn Koschnick

Hans Koschnick
Bürgermeister a.D.

Verehrte Anwesende,

in einer Zeit, in der sich die politische wie die allgemeine Öffentlichkeit zu Recht über Reden im Bundestag aufregen, die Vorurteile verstärken und manch dumpfen Gefühlen spießbürgerlicher Stammtische entsprechen, wie es gerade dem Hamburger Bürgermeister Schill so provokativ gelungen ist, sind wir hier zusammengekommen, um Einzufordern, was verantwortlicher Umgang mit früherer deutscher Unrechtspolitik gebietet. Wir haben dabei zu beachten, was gerade jetzt vor wenigen Tagen an erneuter Schändung von Gedenkstätten im Brandenburgischen geschehen ist. Zugleich können wir uns darüber empören, dass auch Repräsentanten demokratischer Parteien sich in Wahlkampfzeiten nicht zu schade dafür sind, dumpfe Instinkte wieder zu aktivieren oder wie jetzt in Düsseldorf geschehen, solchen Vorschub zu leisten. Was soll man denn zu einem Oberbürgermeister sagen, der als Repräsentant der Landeshauptstadt von Nordrhein-Westfalen mit kommunalen Mätzchen verhindert, dass Demonstrationen, die ordnungsgemäß angemeldet und genehmigt waren, nicht stattfinden können und bei dem die Staatsanwaltschaft eingreifen musste wegen vermutetem Verfassungsbruch? Besonders pikant ist dieser Vorgang allein dadurch, dass man so eine genehmigte Protestveranstaltung von Roma und Sinti verhindern wollte.

Das alles kommt nicht von ungefähr. Vieles hätte verhindert werden können, wenn die gewählten Vertreter des Deutschen Volkes rechtzeitiger und konsequenter ein Zeichen gegen Fremdenfeindlichkeit, Rassenhass und Intoleranz gesetzt hätten. Und zwar sichtbare Zeichen, durch verbale Deklamationen, Resolutionen und Wohlwollenserklärungen wird nämlich das öffentliche Bewusstsein nicht wirklich verändert.

Und wegen eines erforderlichen sichtbaren Zeichens, eines Denkmals für die durch das Naziregime ermordeten Roma und Sinti, sind wir hier zusammengekommen. Zum siebenten Mal übrigens. So lange kämpfen die Opfer tyrannischer Politik um eine den Toten angemessene Erinnerungsstätte, wird ein Mahnmal hier im Zentrum der Stadt gefordert, der Stadt, von der einst die Mordbefehle ausgingen. Doch geht es nicht nur um diese Stadt, es geht auch und gerade um den konkreten Platz. Hier an dieser Stelle – gleich neben dem Reichstag – muss sichtbar bleiben, welche Konsequenzen eine unmenschliche Politik für die davon Betroffenen und ihre Angehörigen hatte. Nicht am Rande der Stadt, nicht in Marzahn, wie es der frühere Bürgermeister Diepgen vorsah, ist der richtige Ort eines nationalen Gedenkens. Hier in unmittelbarer Nähe zum Holocaust-Mahnmal ist der richtige Platz der Erinnerung an die zweite Bevölkerungsgruppe, die in Europa -ausgehend von NaziDeutschland – einem mörderischen Rassenwahn zum Opfer fiel.

Und deshalb fordern wir hier ein, was zugesagt aber nicht verwirklicht wurde. Erinnern wir uns doch: Nachdem der Bundestag sich für einen dem Gedenken an die jüdischen Genozidopfer würdigen Platz entschieden hatte, war man sich einig, der anderen großen Gruppe, die zur Vernichtung aus rassehygienischen Gründen vorgesehen war, einen angemessenen Ort der Mahnung zur Verfügung zu stellen. Es war Frau Professor Rita Süssmuth als Präsidentin des vormaligen Bundestages, die diesen gemeinsamen Willen der Vertreter des Parlamentes verdeutlichte. Vergessen sei auch nicht, dass dieser Standort nach Willen der jetzigen Bundesregierung – ich erinnere an die eindeutige Bekundung von Kulturstaatsminister Michael Naumann – hier in der unmittelbaren Nähe zum Reichstag das Mahnmal zu platzieren sei. Verdrängen wollen wir auch nicht, die Erinnerung an eine Zusage des früheren Senats von Berlin, das notwendige Gelände für dieses Mahnmal hier zur Verfügung zu stellen. Jahre sind vergangen und immer herrscht noch keine Klarheit. Dabei gehe ich nunmehr davon aus, dass der heutige Senat von Berlin in der Lage ist, noch in diesem Jahr eine entsprechende Entscheidung zu fällen. Ich werde jedenfalls morgen Früh darüber mit dem Regierenden Bürgermeister Wowereit sprechen.

In diesem Zusammenhang werde ich gern auch das wiederholen, was Romani Rose, der Vorsitzende des Zentralrates Deutscher Sinti und Roma, aus Anlass der diesjährigen Wiederkehr des Jahrestages der Befreiung des KZ Buchenwald dort vor den ehemaligen Häftlingen und Opfern von Buchenwald gesagt hat. Ich zitiere:

„Erlauben Sie mir am Ende noch einige Worte zum geplanten „nationalen Holocaust-Denkmal für die ermordeten Sinti und Roma“ auf dem vorgesehenen Standort beim Berliner Reichstag. Ich erwarte von der Bundesregierung jetzt die zugesagte Entscheidung für die Errichtung dieses Denkmals, das zeitgleich mit dem Denkmal für die ermordeten Juden Europas entstehen soll. Im Auftrag des Berliner Senats erstellte der international angesehene Künstler Dani Karavan ein Modell des Holocaust-Denkmals für die ermordeten Angehörigen unserer Minderheit, das die Zustimmung des Regierenden Bürgermeisters Wowereit, des Bundestagspräsidenten Thierse und des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma gefunden hat. Das Modell muss jetzt der Öffentlichkeit vorgestellt werden, und die Bundesregierung muss die notwendigen Schritte für den Bau des Denkmals einleiten, damit die Opfer nicht länger hingehalten werden.“

Diesem in knappen Worten gefassten Appell ist nichts hinzuzufügen. Gerade wer sich bei der jungen Generation darum bemüht, sie zu gewinnen für ein entschiedenes Eintreten für den demokratischen Rechtsstaat, wer dabei nicht nur von dem Leiden, von den Opfern mörderischer Gewalt spricht, sondern auch die helleren Zeichen eines sich der Gewalt widersetzenden Aufbegehrens aufzeigt und Zivilcourage einfordert, wer sich zur „persönliche Verantwortung vor Gott und den Menschen“ bekennt, kann eigentlich nichts anderes, als bewusst und öffentlich für dieses Mahnmal eintreten.

Eine junge Generation, nicht verantwortlich für das, was gestern geschah, wird dann in Verantwortung genommen werden, wenn totalitäre Herrschaft wieder über unser Volk hereinbrechen sollte. Dieses gilt es zu verhindern.

Der Schutz der Menschenwürde, die Bewahrung der Grundrechte, Gewaltlosigkeit im Umgang mit- und untereinander – auch bei nicht zu vermeidenden gesellschaftlichen Konflikten – kann am besten bekundet werden, wenn wir sichtbar der Opfer von unmenschlicher Gewalt gedenken. Es gilt, daraus die Schlussfolgerung zu ziehen, nie wieder wegzuschauen, nie wieder zuzuschauen, nie wieder Rassismus und Fremdenfeindlichkeit zuzulassen. Dem Ungeist entschieden zu widerstehen und wo immer es möglich ist, ihn aktiv zu bekämpfen, bleibt Gebot für Jung und Alt in jeglicher Zeit.

Es wird von der Reife einer menschlichen und demokratischen Gesinnung zeugen, wenn wir uns öffentlich mit der verhängnisvollen Gewaltpolitik totalitärer Systeme auseinandersetzen. Nicht verdrängen, nicht vergessen, keinen vermeintlichen Schlussstrich ziehen! Dabei genügt es nicht, einer neu begründeten Toleranz das Wort zu sprechen, sondern den Respekt „vor dem Anderen in seinem Anderssein“ zur Wirklichkeit werden zu lassen. Nur ein solcher Respekt führt zu dem erwünschten und gebotenen Frieden unter- und miteinander. Er ist eine Antwort auf die unvorstellbaren Schrecken der Vergangenheit; Schrecken, die in anderer Form nach wie vor das Dasein vieler Millionen Menschen in der Welt bedrohen.

Bleiben wir also wachsam und stehen wir zusammen in unserem Bemühen, Gerechtigkeit gegenüber den Toten walten zu Iassen als Verpflichtung der Gegenwart. Lasst uns weiterhin „Stein des Anstoßes“ sein.

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