Digitaler Waffenhandel vs. Menschenrechte (Teil 1)
Von Herbert Nebel
Erschienen unter http://hpd.de/artikel/trojaner-sind-los-13731
Der Krieg gegen Veränderungen und für Unterdrückung findet auch im Internet statt. Die Waffen dazu kommen ebenfalls aus Deutschland, denn Deutschland ist nicht nur erfolgreicher Exporteur von konventionellen Rüstungsgütern sondern längst ein Hauptakteur auf dem Weltmarkt für Überwachungstechnologie. Wenn der Einsatz von Spähsoftware in „funktionierenden Demokratien“ bereits sehr diskussionswürdig ist, sind solche Techniken in den Händen repressiver Staaten eindeutig Mittel zur Verletzung von Menschenrechten sowie zur Unterdrückung der Meinungsfreiheit und werden so auch genutzt.
Wo immer in der Welt Menschen für ihre Freiheitsrechte auf die Straße gehen und für Demokratie kämpfen, organisieren und verabreden sie sich im Internet. Unter dem Vorwand, Terroristen zu bekämpfen, wird der Meinungsfreiheit im Netz der Kampf angesagt und soziale Netzwerke wie Twitter oder Facebook systematisch überwacht. Neben dem Aufruf zu Streiks und Protesten wird jedwede Regierungskritik zur staatsfeindlichen Handlung erklärt und häufig auch Informationen über Blasphemie und „unmoralischem Verhalten“ erfasst. Überwachungstechnologien finden so Abnehmer auf der ganzen Welt mit fatalen Auswirkungen auf Menschenrechte, v.a. in nicht-demokratischen Ländern. Mit Spionage-Software werden im Internet Dissidenten, regimekritische Blogger und häufig auch Homosexuelle von Sicherheitsdiensten aufgespürt, verschleppt, gefoltert und getötet. So fordert der Export „digitaler Waffen“ täglich seine Opfer auf Straßen und in Polizeirevieren.
Der Markt für Bespitzelungssoftware
Geheimdienste menschenverachtender Regime schwärmen von Spähsoftware aus Europa und den USA. Produkte der Unternehmen Blue Coat (USA), Utimaco Safeware (Deutschland), Trovicor (Deutschland), Gemma Group (britisch-deutsch), Hacking Team (Italien), Amesys (Frankreich), etc., spionieren Rechner aus, hören Handys ab und erstellen Bewegungsprofile. Monitoring Centres, die sich für die Komplettüberwachung des Online-Verkehrs, Voice over IP und Mobilfunk eignen, wurden und werden in Staaten wie Ägypten, Äthiopien, Afghanistan, Bahrain, Brunei, der Türkei, Irak, Iran, Katar, Kenia, Saudi-Arabien, Sudan, Syrien, Turkmenistan und den Vereinigten Arabischen Emiraten, um nur einige zu nennen, aufgebaut.
Sind brutale Unterdrückungsstaaten ein (Zukunfts-)Markt für den „digitalen Waffenhandel“? Der Export von Überwachungstechnik ist für Oppositionelle ebenso gefährlich wie die Lieferung klassischer Militärausrüstungen. Die verhängnisvollen Wirkungen sind bei der Niederschlagung des sog. „Arabischen Frühlings“ deutlich geworden. Die legal und illegal in diese Region gelangte Überwachungssoftware hat dazu beigetragen, dass Oppositionelle schnell identifiziert und mundtot gemacht werden konnten.
Auch sind Rüstungsgüter in der Regel langlebige Güter und zum Zeitpunkt ihrer Lieferung ist nicht absehbar, in wessen Hände sie einmal gelangen können und zu welchen Zwecken sie einmal eingesetzt werden. Die Risiken einer Verbreitung von Rüstungsgütern für Frieden, Freiheit und Menschenrechte liegen offen zutage. Dennoch wird dieser Export von der Bundesregierung mit Hermes-Krediten gefördert. Deutschland und die Europäische Union sind in der Pflicht, ein strenges und verbindliches Regelwerk zur Kontrolle von Rüstungsexporten jenseits nationaler Kompetenzen zu installieren. Einen freien Markt für Spionagesoftware darf es nicht geben.
Rechtsgrundlagen für Rüstungsexporte
Um den Handel mit Spionagesoftware einordnen zu können, müssen wir die Rechtsgrundlagen für den Rüstungsexport in Deutschland und der EU verstehen. Überwachungssoftware sind als Dual-Use Waren eingestuft. Und hier beginnt das Problem, da für den Export von solchen Gütern weit weniger Restriktionen gelten als für Kriegswaffen oder andere Rüstungsgüter.
Die Exportvarianten
Unter dem Begriff Rüstungsexport werden umgangssprachlich drei verschiedene Exportvarianten zusammengefasst: der Export von Dual-Use Gütern, der Export von Rüstungsgütern und der Export von Kriegswaffen. Für jeden dieser Vorgänge gelten unterschiedliche Genehmigungsverfahren.
Dual-Use Güter sind Wirtschaftsgüter, die für zivile Zwecke produziert wurden, aber auch im militärischen Bereich verwendet werden können. Jedoch sind nur jene Dual-Use Güter genehmigungspflichtig, deren mögliche militärische Verwendung von besonderer strategischer Bedeutung ist oder wenn sie zur Entwicklung und Herstellung von Massenvernichtungswaffen dienen könnten. Geregelt wird die Exportkontrolle für Dual-Use Güter durch die EG-Dual-Use-Verordnung. Sie enthält eine Liste von Gütern, die beim Export in einen Nichtmitgliedstaat der EU einer Genehmigungspflicht unterliegen. Jedes EU Land kann aber zusätzlich noch weitere Dual-Use Güter für genehmigungspflichtig erklären.
Rüstungsgüter sind jene Güter, die vorrangig oder ausschließlich einer militärischen Verwendung dienen. Hierzu zählen beispielsweise Uniformen, Lastkraftwagen mit Tarnanstrich, oder Aufstellvorrichtungen für Waffen. Sie dürfen nur ausgeführt werden, wenn eine entsprechende Genehmigung vom Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle vorliegt.
Kriegswaffen stellen eine besondere Kategorie der Rüstungsgüter dar. Alle Kriegswaffen sind in der Kriegswaffenliste des Kriegswaffenkontrollgesetzes benannt. Sie unterliegen im Vergleich zu den anderen Rüstungsgütern einem verschärften Ausfuhrgenehmigungsprozess. In einem zweistufigen Verfahren muss zunächst eine Genehmigung nach dem Kriegswaffenkontrollgesetz vorliegen, um danach in einem zweiten Schritt eine Ausfuhrgenehmigung nach dem Außenwirtschaftsgesetz beantragen zu können.
Das Kriegswaffenkontrollgesetz ist insofern schärfer als das Außenwirtschaftsgesetz, als dass es explizit keinen Anspruch auf Erteilung einer Ausfuhrgenehmigung für Kriegswaffen gibt, sondern diese nur dann gewährt werden soll, wenn bestimmte Gründe dafür sprechen. Dies kehrt die Beweispflicht um: während nach dem Außenwirtschaftsgesetz begründet werden muss, warum ein Rüstungsgut ausnahmsweise nicht exportiert werden darf, muss für Kriegswaffen begründet werden, warum ihre Ausfuhr ausnahmsweise doch zulässig ist.
Gesetze, Verordnungen und Grundsätze für den Export
Folgende Tabelle zeigt im Überblick, welche Gesetze, Verordnungen und Grundsätze den Export welcher Güter regeln:
Quelle: Informationsportal des Bundesverbandes der Deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie
Die Gesetze und Leitlinien schreiben vor, anhand welcher Grundsätze über die Erteilung von Rüstungsexportgenehmigungen entschieden werden muss. Jedoch ist die Genehmigung von Rüstungsexporten letztlich immer auch eine politische Entscheidung.
Das Grundgesetz behandelt nur den Export von Kriegswaffen im engeren Sinne; der Export von Rüstungsgütern und Dual-Use Gütern ist von den Vorschriften nicht betroffen. Grundsätzlich lässt das Grundgesetz Rüstungsexporte zu, sofern sie den Anforderungen des Kriegswaffenkontrollgesetzes entsprechen.
Das Kriegswaffenkontrollgesetz schreibt vor, dass der Export von Kriegswaffen nicht genehmigt werden darf, wenn „die Gefahr besteht“, dass die gelieferten Waffen „bei einer friedensstörenden Handlung, insbesondere bei einem Angriffskrieg“ eingesetzt werden. Der Wortlaut des Kriegswaffenkontrollgesetzes lässt jedoch dem Wirtschaftsministerium bei der Einzelfallentscheidung einen großen Ermessensspielraum. Innerhalb dieses Ermessensspielraums schreiben die Politischen Grundsätze vor, wonach im Einzelfall abzuwägen ist.
Die Politischen Grundsätze enthalten konkretere Regelungen zum Export von Kriegswaffen, Rüstungsgütern und Dual-Use Gütern, als die Gesetzestexte und dienen daher insbesondere dann als Orientierung, wenn der gesetzliche Rahmen einen Ermessensspielraum lässt. Sie gelten verbindlich für alle staatlichen Stellen, die über Rüstungsexportgenehmigungen entscheiden.
Die Politischen Grundsätze legen fest, dass Deutschland seine Rüstungsexportpolitik restriktiv gestalten soll und eine Exportgenehmigung für Güter nicht erteilt wird, wenn diese zur internen Repression oder systematischen Menschenrechtsverletzungen missbraucht werden können. Die Politischen Grundsätze sind inhaltlich sehr eng angelehnt an den Gemeinsamen Standpunkt der EU (GASP: Gemeinsame Außen und Sicherheitspolitik).
Der Gemeinsame Standpunkt soll einen Mindeststandard aller EU-Mitgliedstaaten beim Rüstungsexport gewährleisten. Zu diesem Zweck sind in den Gemeinsamen Standpunkten Kriterien festgelegt, anhand derer über die Genehmigung von Rüstungsexporten in Drittstaaten entschieden werden soll. Ziel ist, damit zu einer Harmonisierung der Regeln innerhalb der EU bei der Rüstungsexportkontrolle zu kommen.
Das Außenwirtschaftsgesetz gilt als Regelwerk für den Export von Rüstungsgütern und Dual-Use Gütern. Es enthält ausschließlich Regeln, wann der Rüstungsexport verboten werden kann, aber keine Pflichten, wann der Export versagt werden muss. Rüstungsexporte können untersagt werden, um „die wesentlichen Sicherheitsinteressen“ Deutschlands zu gewährleisten, um „eine Störung des friedlichen Zusammenlebens der Völker zu verhüten“, um eine „erhebliche Störung der auswärtigen Beziehungen“ zu vermeiden und um Sanktionen der EU oder der UN umzusetzen. Zusätzlich sollen die staatlichen Stellen bei der Genehmigungsentscheidung weitere Gesichtspunkte, beispielsweise die Beachtung der Menschenrechte durch den Empfängerstaat, mit einbeziehen.
Die Außenwirtschaftsverordnung setzt das Außenwirtschaftsgesetz um. Sie beschreibt detailliert, für welche Güter eine Genehmigung prinzipiell erforderlich ist.
Die EG-Dual-Use-Verordnung regelt, unter welchen Umständen der Export von Gütern mit doppeltem Verwendungszweck nicht genehmigt werden sollte. Ziel der Verordnung ist es, eine einheitliche Genehmigungspraxis aller EU-Mitgliedstaaten zu erreichen. Die Verordnung legt insbesondere fest, dass bei der Genehmigung von Dual-Use Güterexporten darauf geachtet werden muss, dass internationale Vereinbarungen zur Nichtverbreitung von Massenvernichtungswaffen gewahrt bleiben. Die Verordnung dient der Einhaltung von Sanktionen und Nichtverbreitung bestimmter Waffenarten. Sie überlässt es aber den ausführenden nationalen Stellen zu entscheiden, ob ein konkreter Ausfuhrantrag diese Ziele gefährden würde.
Parlamentarische Kontrolle der Rüstungsexportpolitik
Für die deutsche Rüstungsexportpolitik gibt es zwar umfangreiche normierende Vorgaben (Gesetze, Verordnungen, Politische Grundsätze, etc.), jedoch hat man den Eindruck, dass die Genehmigungspraxis die Normen aushöhlt. Fehlende Transparenz bei Rüstungsexporten, die häufig unzureichenden Begründungen für Rüstungstransfers und fehlende parlamentarische Kontrollmöglichkeiten des exekutiven Handelns führen dazu, dass Spionagesoftware aus Deutschland und Europa in großer Zahl von repressiven Staaten genutzt wird und dort zur Aushebelung von Menschenrechten führt.
Der Rüstungsexport wird als außenwirtschaftliche Angelegenheit oder unter arbeitsplatzpolitischen Gesichtspunkten behandelt. Die Entscheidungsfindung wird nicht von friedens- und rechtspolitischen Aspekten bestimmt. Das Wissen um die negativen Folgen von Rüstungsgeschäften für Frieden und Entwicklung verlangt nach einer restriktiven Rüstungsexportpolitik. Die Begründungspflicht für die Weitergabe von Kriegswaffen muss ausgedehnt werden auf die Genehmigung von Ausfuhren sonstiger Rüstungsgüter und Dual-Use-Güter, die zur Unterdrückung von Freiheitsbewegungen und zur Aushebelung von Menschenrechten genutzt werden können. Die stark steigende Nachfrage nach Überwachungstechnologie aus autoritären Staaten erfordert eine gesellschaftspolitische Debatte.
Eine europäische Lösung ist notwendig
In der Europäischen Union pochen die Mitgliedstaaten auf ihr Recht, souverän über Rüstungsproduktion und Rüstungshandel zu entscheiden. Im Zweifelsfall haben nationale außenpolitische Interessen und der Erhalt eigener Rüstungskapazitäten Vorrang. Es ist sehr fraglich, ob die Europäische Union unter diesen Umständen ihr Instrument zur Kontrolle europäischer Rüstungsausfuhren, das im Jahr 2008 zu einem „Gemeinsamen Standpunkt“ aufgewertet worden war, in einen effektiven Rüstungskontrollapparat umwandeln kann.
Den Kern des Gemeinsamen Standpunktes der EU bildet einen Katalog von Kriterien, die die Genehmigungspraxis von Rüstungsausfuhren bestimmen sollen. Demnach sind Exportgenehmigungen unter anderem dann zu verweigern, wenn im Empfängerland durch die Lieferung Menschenrechtsverstöße unterstützt oder erst ermöglicht werden und wenn das Risiko einer Weitergabe an Dritte besteht. Doch trotz aller hehren Bekenntnisse hat er der Expansion der europäischen Rüstungsausfuhren keinen Einhalt geboten. Denn der Gemeinsame Standpunkt ist kein leistungsfähiges Regelwerk, da sich seine Rechtsverbindlichkeit in der Verabredung der Mitgliedstaaten erschöpft, ihn im Rahmen ihrer nationalen Regeln zu berücksichtigen. Die Einzelstaaten handhaben ihre Rüstungsexportpolitik weiterhin nach eigenen Vorgaben.
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