Internationale Liga für Menschenrechte

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Türkei: Willkürliche Verhaftung von Frauenrechtsverteidigerinnen in Diyarbakır

In den frühen Morgenstunden des 16. März 2022 führte die Polizei in Diyarbakır eine Razzia in den Wohnungen von 24 Frauenrechtlerinnen und Aktivistinnen durch und nahm sie willkürlich fest. Am 18. März 2022 wurden 11 von ihnen verhaftet. Die Beobachtungsstelle für den Schutz von Menschenrechtsverteidigerinnen und -verteidigern (FIDH-OMCT), die Menschenrechtsvereinigung (İnsan Hakları Derneği-İHD) und die Menschenrechtsstiftung der Türkei (HRFT, Türkiye İnsan Hakları Vakfı-TİHV) verurteilen diesen neuen Angriff auf Frauenrechtsverteidigerinnen in der Türkei und fordern die Behörden auf, sie unverzüglich und bedingungslos freizulassen. Sie fordern die türkische Regierung auf, die gerichtlichen Schikanen gegen alle Menschenrechtsverteidigerinnen, einschließlich kurdischer Frauenrechtsverteidigerinnen, einzustellen.

Am Morgen des 16. März 2022 durchsuchten Polizeibeamte die Wohnungen von 24 Frauenrechtsverteidigerinnen und Aktivistinnen verschiedener zivilgesellschaftlicher Organisationen, Gewerkschaften und Mitgliedern der Demokratischen Volkspartei (HDP) in Diyarbakır.

Infolge dieser Razzien wurden die nachstehenden Frauenrechtlerinnen und Aktivistinnen festgenommen und in die Antiterror-Abteilung der Sicherheitsdirektion der Provinz Diyarbakır gebracht: Adalet Kaya, Vorstandsvorsitzende der Rosa Women’s Association (RWA), Nevin Oyman, Vorstandsmitglied der RWA, Fatma Gültekin, Mitglied der RWA; Zekiye Güler, Aktivistin der Bewegung Freier Frauen (Tevgera Jinen Azad – TJA); Remziye Sızıcı, Co-Vorsitzende der HDP Yenişehir District; Filiz Buluttekin, Co-Bürgermeisterin der Gemeinde Sur, die durch einen Bevollmächtigten ersetzt wurde; Fatma Yıldızhan, Leiterin der Gewerkschaft beschäftigter Frauen im Gesundheits- und Sozialwesen (SES) von Diyarbakır; Nihal Yanık, Co-Vorsitzende von TÜMBEL-SEN, Gewerkschaft aller städtischen Angestellten; Hatice Efe, Leiterin für Bildung der Eğitim-Sen, Gewerkschaft der Beschäftigten in Bildung und Wissenschaft, Bahar Uluğ, Frauenleiterin der BTS, Vereinigte Transportarbeitergewerkschaft, Sakine Karadeniz; Birsen Güneş; Gülşen Özer; Muhibet Özcanlı; Fatma Kavmaz; Esma Efetürk; Xezal Yıldırım; Jale Okkan; Yıldız Kardeş; Emine Akşahin; Songül Kapancı; Emine Kaya; Evin Yelboğa; und Safiye Akdağ.

Für die inhaftierten Frauen wurde ein 24-stündiges Besuchsverbot für Anwälte verhängt, das später auf Einspruch der Anwälte wieder aufgehoben wurde. Dennoch begann die Polizei erst gegen Mitternacht am 17. März 2022 mit der Aufnahme ihrer Aussagen. Unter dem Vorwurf der „Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung“ (Artikel 314/2 des türkischen Strafgesetzbuchs) befragte die Polizei die Frauen zu Versammlungen, Protesten, Zusammenkünften und Presseerklärungen in Diyarbakır, u. a. anlässlich des Weltfriedenstags am 1. September 2021, des Internationalen Tags zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen am 25. November 2021, des Internationalen Frauentags am 8. März 2022 und der Aufkündigung der Istanbul-Konvention durch dir Türkei.

Am 18. März 2022 wurden Jale Okkan, Emine Kaya, Sakine Karadeniz, Fatma Kavmaz, Remziye Sızıcı, Gülşen Özer, Esma Efetürk, Filiz Buluttekin, Bahar Uluğ, Songül Kapancı und Fatma Yıldızhan auf Beschluss des Friedensstrafgerichts verhaftet und ins Gefängnis von Diyarbakır verbracht. Yıldız Kardeş wurde von der Staatsanwaltschaft freigelassen, die übrigen Menschenrechtsverteidigerinnen und Aktivistinnen wurden unter richterlichen Kontrollauflagen entlassen.

Die unterzeichnenden Organisationen bedauern, dass Frauenrechtsverteidigerinnen in Diyarbakır nicht zum ersten Mal zur Zielscheibe werden. In der Tat fanden ähnliche Razzien und Verhaftungswellen bereits im Mai 2020, Juli 2020 und April 2021 im Rahmen von Ermittlungen gegen Aktivitäten der TJA und der Rosa Women’s Association statt. Diese Ermittlungen führten zur Inhaftierung und Verurteilung mehrerer Frauenrechtsverteidigerinnen unter verschiedenen fadenscheinigen Anschuldigungen, unter anderem auf der Grundlage der türkischen Antiterror-Gesetzgebung, die systematisch dazu missbraucht wird, Menschenrechtsverteidigerinnen, Journalistinnen, Dissidentinnen und Oppositionspolitikerinnen, insbesondere HDP-Mitglieder, gerichtlich zu verfolgen.

Die Beobachtungsstelle, İHD und HRFT verurteilen diese Razzien und die anschließenden Verhaftungen von Frauenrechtsverteidigerinnen aufs Schärfste, die offenbar eine Vergeltung für ihre legitimen Menschenrechtsaktivitäten darstellen. Die unterzeichnenden Organisationen bringen ihre Besorgnis über die eklatanten und wiederholten Verletzungen des Rechts auf Meinungs-, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit durch die Behörden in der Türkei gegenüber allen Menschenrechtsverteidigern, einschließlich kurdischer Frauenrechtsverteidigerinnen, zum Ausdruck.

Wir fordern die Behörden auf, alle oben genannten willkürlich verhafteten Frauenrechtsverteidigerinnen unverzüglich und bedingungslos freizulassen und alle Anklagen gegen sie aufzuheben. Wir fordern die Regierung außerdem auf, alle Schikanen gegen Frauenrechtsverteidigerinnen und alle Menschenrechtsverteidiger in der Türkei zu beenden, auch auf gerichtlicher Ebene. Wir fordern die türkischen Behörden ferner auf, unter allen Umständen das Recht zu gewährleisten, wie es in den internationalen Menschenrechtsnormen und insbesondere in den Artikeln 19, 21 und 22 des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte verankert ist und zu deren Einhaltung und Umsetzung sich die Türkei verpflichtet hat.

Die Internationale Liga für Menschenrechte unterstützt die Forderungen ihrer Schwesterligen in der FIDH von bedingungsloser Freilassung der willkürlich inhaftierten Kurdinnen und unterstreicht ihre selbstverständlichen Rechte auf freie Meinungsäußerung, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit.

2018 verlieh die Liga der kurdischen Co-Bürgermeisterin von Cizre Leyla Imret die Carl-von-Ossietzky-Medaille. Sie hatte sich seit 2014 für die Menschenrechte der kurdischen Bevölkerung sowie für eine friedliche und gerechte Lösung des Konfliktes mit der türkischen Zentralregierung eingesetzt. Nach ihrer zwangsweisen Amtsenthebung wegen unhaltbarer Terrorismusvorwürfe und nach mehrmaliger Inhaftierung sah sie sich 2017 gezwungen, aus der Türkei nach Deutschland zu flüchten, wo sie ihr Engagement für Menschenrechte und Frieden in der Türkei trotz weiterer Bedrohungen fortsetzt.

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