Internationale Liga für Menschenrechte

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Geheimdienste und Demokratie sind unvereinbar

Rolf Gössner über Gefahren neuer Aufrüstungspläne
WESER-KURIER / BREMER NACHRICHTEN 29.12.2015 (pdf)

Terroranschläge, so schrecklich sie sind, beleben das Geschäft mancher Branchen und Institutionen. Waffenschmieden und private Security-Firmen gehören dazu, aber auch staatliche Sicherheitsorgane – vorneweg die Geheimdienste. Da gerät ganz rasch in Vergessenheit, was gerade dieses „Gewerbe“ so alles verbrochen, vergurkt und vertuscht hat.

Deshalb zur Erinnerung: In den letzten Jahren mussten wir erkennen, wie der „Verfassungsschutz“ im Kampf gegen Nazismus versagt, wie er sich mit seinem unkontrollierbaren V-Leute-System heillos in Neonaziszenen verstrickt, wie er seine kriminellen V-Leute gegen Polizeiermittlungen schützt und dass die NSU-Mordserie trotz – oder wegen? – zahlreicher V-Leute nicht verhindert oder aufgedeckt werden konnte. Und der Bundesnachrichtendienst zeigt sich heillos verstrickt in die menschenrechtswidrige NSA-Massenüberwachung, betreibt illegale Regierungs- und Wirtschaftsspionage – willfährig im Dienst der NSA und auch auf eigene Faust. Alles im Namen von Sicherheit und Antiterrorkampf, Freiheit und Demokratie!

Dieses Treiben wird befördert, weil sich Geheimdienste kaum kontrollieren lassen: Das zeigen die verzweifelten Versuche, ihre Skandale aufzuarbeiten. Regelmäßig blicken die Kontrolleure in Abgründe eines skrupellosen Vertuschungssystems. Die parlamentarische Kontrolle erfolgt geheim, also wenig demokratisch. Gerichtsprozesse mutieren mitunter zu Geheimverfahren mit geschwärzten Akten und gesperrten Zeugen. Rechtsstaatlichkeit sieht anders aus.

Ausgerechnet solche Geheimdienste erhalten nach den Pariser Anschlägen wieder Auftrieb, werden abermals aufgerüstet, personell und finanziell ausgebaut, anstatt endlich aus den Riesenskandalen Lehren zu ziehen und das dafür verantwortliche Geheimsystem zu knacken. Denn die Skandale haben System – schließlich widersprechen Geheimdienste demokratischen Prinzipien, weil sie weder transparent noch wirklich kontrollierbar sind; deshalb neigen sie auch in Demokratien zu Verselbstständigung und Machtmissbrauch – mit dem fatalen Trend zum Staat im Staate.

Beim „Verfassungsschutz“ kann man all das machen, „was man schon immer machen wollte; aber man ist straflos“. So warb kürzlich der Chef des Bundesverfassungsschutzamts, Hans-Georg Maaßen, im MDR um neues Personal. Als Beispiel nannte er Telekommunikation überwachen – oder, so ließe sich ergänzen: bespitzeln, unterwandern, täuschen, sich krimineller V-Leute bedienen und vertuschen: alles straflos und unkontrollierbar. Umso mehr gilt auch und gerade in Zeiten des Terrors: Mit demokratiewidrigen Geheimdiensten lassen sich Demokratie und Verfassung nicht schützen. Wer sie weiter aufrüstet und straflos stellt, statt sie zumindest wirksam zu zügeln, schädigt Demokratie, Bürgerrechte und Rechtsstaat.

Gastautor: Rolf Gössner ist Anwalt, Publizist und Vizepräsident der Internationalen Liga für Menschenrechte. Der Mitherausgeber des „Grundrechte-Reports“ stand 38 Jahre unter rechtswidriger Beobachtung des Verfassungsschutzes.

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